Mbandaka - Donnerstag, 30. Juli 2020, 13:39 Uhr.
60 Jahre ist es her, dass 17 Staaten Afrikas ihre Unabhängigkeit erlangten – darunter Kamerun, Somalia, die Demokratische Republik Kongo, die Zentralafrikanische Republik und Nigeria. Das Jahr 1960 wird darum auch als "Afrikanisches Jahr" bezeichnet. In die Freude über Selbstbestimmung mischt sich Nachdenklichkeit: Nach wie vor befinden sich viele Länder Afrikas in tiefer Krise.
Das weltweite katholische Hilfswerk "Kirche in Not" blickt mit Professor Apollinaire Cibaka Cikongo auf 60 Jahre Unabhängigkeit zurück. Der Priester lehrt an der Universität von Mbuji-Mayi im Süden der Demokratischen Republik Kongo und hat unter anderem zahlreiche Werke zu gesellschaftspolitischen Themen verfasst.
Maria Lozano: Herr Professor Cikongo, Sie haben kürzlich gesagt, dass seit dem "Afrikanischen Jahr" 60 Jahre des Scheiterns vergangenen sind, die Afrika zum Kontinent der Gewalt gemacht haben. Ist diese Analyse nicht zu hart?
Appolinaire Cibaka Cikongo: Es ist die Wahrheit. Die gegenwärtige Gestalt Afrikas südlich der Sahara ist nicht das Ergebnis einer positiven Dynamik, sondern einer Dynamik der Gewalt. Sie wurde durch die westliche Eroberung hervorgerufen: Sklavenhandel, Kolonialisierung, Diktaturen und Schein-Demokratien. Subsahara-Afrika ist ein geopolitisches Gebilde, das auf Gewalt aufbaut, Gewalt erleidet und von Gewalt lebt.
Die Gewalt zeigt ihr grausamstes Antlitz in den kriegerischen Auseinandersetzungen. Sie haben die vergangenen 60 Jahre geprägt und dauern immer noch an. Warum?
Es gibt viele Faktoren, die zum Ausbruch dieser Kriege geführt haben; ich möchte drei hervorheben: Erstens die Konflikte, die durch eine "gescheiterte Koexistenz" aufgrund künstlicher geopolitischer Entscheidungen verursacht werden. Zweitens die Kriege, die durch Gier und Wirtschaftsinteressen einiger indigener Gruppen und internationaler Mächte verursacht werden. Und drittens die Religionskriege, durch die Völker gewaltsam bekehrt werden sollen und die sich gegenwärtig in einem gewalttätigen, blinden und grundlosen islamistischen Terrorismus zeigen.
Sie haben von Gier gesprochen. Zahlreiche afrikanische Länder verfügen über große natürliche Ressourcen. Doch die Menschen leiden dort paradoxerweise umso mehr unter Armut und Verwahrlosung. Was sind die Gründe dafür, warum sich daran auch nach 60 Jahren Unabhängigkeit nichts geändert hat?
Unsere Wirtschaft beruht auf den Interessen der Großmächte, die uns unterjocht haben – aber auch auf den Interessen der "neuen" Mächte, die aus Asien kommen. Noch heute profitieren diese Mächte aufgrund der ungerechten Gesetze einer grausamen Marktwirtschaft mehr von den vorhandenen Ressourcen als die eigentlichen Eigentümer. Darüber hinaus war die afrikanische Wirtschaft nicht in der Lage, sich zu entwickeln oder zu diversifizieren. Sie geht nicht über Gewinnung und den Verkauf von Rohstoffen hinaus.
Später kaufen wir die aus den Rohstoffen hergestellten Waren auf den vom Ausland dominierten Märkten zu einem hohen Preis zurück. Es gibt aber auch eine "Wirtschaft der Verschwendung und des Diebstahls" in den afrikanischen Ländern selbst: Das Wenige, das im Land bleibt, wird nicht zum Wohler aller Bürger eingesetzt, sondern für die Interessen und Launen der Mächtigen.
Einige afrikanische Projektpartner von "Kirche in Not" beklagen eine anhaltende "soziale Unterwerfung", was Lebensart und Kultur angeht. Es gibt Berichte, wonach internationale Organisationen als Voraussetzung für Hilfen Bedingungen stellen, die Auswirkungen auf Weltanschauung und Lebensbild der Afrikaner haben. Stimmt das?
Es handelt sich um eine kulturelle Gewalt von Seiten fremder Staaten und Interessensgruppen. Sie verleugnen die tief verwurzelten afrikanischen Werte, um uns fremde Sitten und Gebräuche aufzuzwingen, die oft im Widerspruch zum Naturrecht stehen. Dies geschieht vor allem im Hinblick auf das Leben und die Familie. Es gibt einen starken wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Druck. Es handelt sich auch um eine "anthropologische Gewalt": Sie nimmt uns das Recht auf Entscheidungsfreiheit. Ich denke, das ist das Hauptvermächtnis des Sklavenhandels, der Afrika in eine Hölle verwandelt hat.
Wie würden Sie die Rolle der katholischen Kirche Afrikas in den vergangenen 60 Jahren bezeichnen?
Die Kirche ist die am besten funktionierende Institution. In vielen Ländern, zum Beispiel in der Demokratischen Republik Kongo, ist die Kirche ein Art "Ersatz-Staat", ohne den es kein Leben, keine Hoffnung, keine Zukunft gibt. Das zeigt sich in vielen Bereichen, besonders in der Bildung und der Gesundheitsvorsorge. So leitet die Kirche etwa die Hälfte der Schulen, Krankenhäuser und Gesundheitszentren. Unter ihnen befinden sich die besten Einrichtungen des Landes, aber auch die einzigen in den Dörfern, die vom Staat oft vollkommen vergessen sind.
Mit welchen Schwierigkeiten hat die afrikanische Kirche derzeit zu kämpfen?
Die katholische Kirche leistet ihre pastorale und soziale Arbeit trotz Zerbrechlichkeit von innen und Feindschaft von außen. Wir leiden unter innerer Zerbrechlichkeit, weil viele Gläubige ihre Berufung in der Welt kaum leben. Das gesamte soziale Engagement ruht auf den Schulten der einzelnen Bischöfe und der Bischofskonferenzen. Darüber hinaus mangelt es am Geld; wir sind von der Großzügigkeit aus dem Ausland abhängig. Schließlich leben wir in einem Klima starker religiöser Konkurrenz, es gibt viele evangelikale Sekten. Außerdem sind unsere Mitgliederzahlen rückläufig, weil es uns nicht gelungen ist, unsere apostolische Tätigkeit zu erneuern.
Sie haben auch eine Feindseligkeit von außen genannt. Worin besteht die?
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Aufgrund ihres sozialen Engagements bedroht die Kirche viele Interessen. Deshalb ist es für viele Menschen ein Ziel, den Einfluss der Kirche zu verringern. Wir sind eine unbequeme Kirche, die von einigen Staaten gehasst oder sogar verfolgt wird. Einige Menschen oder Gruppen versuchen, jede kritische Äußerung mit Gewalt und Einschüchterung zum Schweigen zu bringen.
Weitere Methoden, die Kirche zu schwächen, bestehen darin, die Christen zu spalten oder die Korruption in der "religiösen Welt" durch Schaffung neuer christlicher Kirchen zu fördern, von denen viele reine Geschäftsbetriebe sind. In der Demokratischen Republik Kongo hat der Staat in den letzten 30 Jahren rund 17 0000 christlichen Gemeinschaften Rechtsstatus gewährt. Das bedeutet, dass im Schnitt alle zwei Tage drei neue "Kirchen" entstehen.
Sie zeichnen ein düsteres Bild. Was können wir tun, um nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung zu sein?
Nur eine Kirche, die Christus und dem Evangelium treu ist, kann aus der Kontemplation, der Demut, der Vorbildlichkeit und dem Engagement aller ihrer Mitglieder ihre Sendung erfüllen. Dies ist das einzige, was Christus von ihr verlangt, damit sie Tempel und Werkzeug seiner Liebe und Gnade ist.
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