Die Menschenwürde ist antastbar geworden, auch in Deutschland, wenn über die Abschaffung von § 218 und die Möglichkeiten zur Legalisierung des assistierten Suizids gesprochen wird. Der wahre Skandal, ja das Verbrechen des Schwangerschaftsabbruchs – also die Tötung des ungeborenen Lebens –, wird geleugnet, die Abschaffung des Lebensschutzes als Weg zur Mündigkeit und Emanzipation verstanden. Wer für die Würde des Menschen und den unbedingten Schutz des Lebens eintritt – wie es der heilige Johannes Paul II. in seinem Pontifikat tat, wie es ganz normale gläubige Katholiken heute tun –, wird verhöhnt und verspottet, belächelt oder ignoriert und gewinnt so Anteil an der Passionsgemeinschaft mit dem Herrn. Die katholische Kirche, das Volk Gottes, Kleriker und Weltchristen, sind in dieser Stunde berufen, Zeugnis zu geben und für das Leben einzutreten – und die Botschaft des kirchlichen Lehramtes zu verbreiten, in einer Zeit, in der kaum jemand, innerhalb und außerhalb der Kirche, noch davon hören möchte.

1995 hat Johannes Paul II. in „Evangelium vitae“ unmissverständlich „Achtung und Liebe für das Leben aller“ gefordert: „Das Leben des Menschen kommt aus Gott, es ist sein Geschenk, sein Abbild und Ebenbild, Teilhabe an seinem Lebensatem. Daher ist Gott der einzige Herr über dieses Leben: der Mensch kann nicht darüber verfügen.“ Das Leben des Menschen liegt einzig in Gottes Hand. Gott agiert mit „liebevoller Umsicht und Sorge gegenüber seinen Geschöpfen“. Er hat sein Ja uns zugesprochen, und ein jeder Mensch ist „nicht das Ergebnis einer bloßen Zufälligkeit oder eines blinden Schicksals, sondern das Ergebnis eines Planes der Liebe, in den Gott sämtliche Lebensmöglichkeiten aufnimmt und den aus der Sünde entstehenden Kräften des Todes entgegenstellt“. Aus der „Heiligkeit des Lebens“ erwächst die „Unantastbarkeit“, die gemäß dem Naturrecht dem Menschen von Anfang an ins Gewissen eingeschrieben ist. Darum ist jeder Akt gegen das Leben nach dem Verständnis der katholischen Kirche, ob als Schwangerschaftsabbruch oder als Sterbehilfe, unzulässig. Der Mensch, so Johannes Paul II., weiß darum, dass alle Menschen Gottes geliebte Kinder sind, vom Augenblick der Empfängnis bis in die Sterbestunde hinein unbedingt schützenswert und schutzwürdig. Das Leben gehört nicht uns selbst, wir und jeder andere sind „Eigentum und Geschenk Gottes, des Schöpfers und Vaters“.

Johannes Paul II. ruft Worte aus dem Alten und Neuen Testament ins Gedächtnis, insbesondere die gebotene Liebe zum Nächsten, die im Neuen Testament in der Bergpredigt „zur Vervollkommnung“ gelangt und „ein mächtiger Appell zur Achtung der Unantastbarkeit des physischen Lebens und der persönlichen Integrität“ ist: „Durch sein Wort und sein Tun verdeutlicht Jesus die positiven Forderungen des Gebots von der Unantastbarkeit des Lebens noch weiter. Sie waren bereits im Alten Testament vorhanden, wo es der Gesetzgebung darum ging, Daseinsbeziehungen schwachen und bedrohten Lebens zu gewährleisten und es zu schützen: den Fremden, die Witwe, den Waisen, den Kranken, überhaupt den Armen, ja selbst das Leben vor der Geburt (vgl. Ex 21, 22; 22, 20-26). Mit Jesus erlangen diese positiven Forderungen neue Kraft und neuen Schwung und werden in ihrer ganzen Weite und Tiefe offenbar: sie reichen von der Sorge um das Leben des Bruders (des Familienangehörigen, des Angehörigen desselben Volkes, des Ausländers, der im Land Israel wohnt) zur Sorge um den Fremden bis hin zur Liebe des Feindes.

Der Fremde ist nicht länger der Fremde, sondern wird zum Nächsten. Auch der Feind ist zu lieben. Johannes Paul II. erinnert an das „Gebet für den Feind“, durch das der Beter „sich mit der sorgenden Liebe Gottes in Einklang bringt“: „Gottes Gebot zum Schutz des Lebens des Menschen hat also seinen tiefsten Aspekt in der Forderung von Achtung und Liebe gegenüber jedem Menschen und seinem Leben.“ Die Frohe Botschaft kündet also vom unbedingten Lebensschutz und zugleich von der Notwendigkeit, einander zu lieben, eine Liebe, die aufs Ganze geht, die den Feind miteinschließt und auch darum zum Frieden ruft. In allen Konflikten auf der Welt – und wir bezeugen die traurige Wirklichkeit brutaler, gewaltsamer Kriege, ob in der Ukraine, in Syrien oder anderswo – sind die Christen gerufen, nach Wegen zum Frieden zu suchen. Zugleich sind sie dazu bestellt, wachsam für den Schutz des Leben einzutreten, wo immer es bedroht wird.

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