16. März 2025
Mit einem lokalen Projektpartner und exzellenten Kenner der Verhältnisse in Nigeria, Franco Majok, hat Pfarrer Peter Fuchs, der Geschäftsführer von „Christian Solidarity International“ (CSI) Deutschland, gesprochen. Es geht um die Lage der Christen, die fortwährenden Angriffe und die Unfähigkeit des Staates, die Angriffe einzugrenzen.
Lieber Franco Majok, die Gewalt gegen Christen in Nigeria scheint kein Ende zu nehmen. Warum bekommt der Staat das Problem nicht in den Griff?
Die Gewalt gegen Christen in Nigeria hält vor allem im Norden und im Zentrum, dem sogenannten Mittleren Gürtel an, weil die staatlichen Akteure, insbesondere die Gouverneure, nicht aufrichtig mit dem Problem der Gewalt gegen Christen umgehen. Entweder sind sie voreingenommen oder sie nutzen die Krise zu ihrem eigenen politischen Vorteil.
Einige Landesregierungen nutzen die Gewalt, um sich zu bereichern, indem sie Mittel für Hilfsmaßnahmen bereitstellen, die dann auf privaten Konten landen. Sie nutzen das System des Teilens und Herrschens, indem sie eine Gruppe oder Religion gegen die andere ausspielen, um ihren Machterhalt zu sichern. Diese Erfahrung haben die Christen im Bundesstaat Kaduna gemacht.
Was sind die Ursachen der Gewalt gegen Christen?
Im Bundesstaat Kaduna, wo die Regierung immer von Muslimen geführt wird, ist die Politik immer zugunsten des Islam und gegen das Christentum gerichtet. Das ist in den meisten nördlichen Bundesstaaten Nigerias der Fall. Das sehen wir auch auf Bundesebene. Die Gewalt gegen Christen geht also immer zuerst von der Regierung selbst aus, bevor irgendetwas anderes geschieht.
Zweitens sind Hassreden sowohl von politischen als auch von religiösen Führern, insbesondere im Islam, eine weitere Ursache für Gewalt gegen Christen in Nigeria. Einige dieser politischen oder religiösen Führer schüren Gewalt gegen Christen. Einige Politiker benützen die Fulani-Hirten, um Christen zu bekämpfen, besonders im Norden. Dasselbe gilt für islamische Geistliche, von denen man hört, dass sie in ihren Predigten oder öffentlichen Reden zur Gewalt gegen Christen aufrufen.
Drittens sind die Fulani-Hirten darauf aus, in christlichen Gegenden Land für ihr Vieh zu ergattern, da sie im hohen Norden nicht genügend fruchtbares Land für Weide- und Ackerbau haben. Deshalb lassen sie sich immer dann, wenn sie die ursprünglichen Bewohner von Gemeinden vertrieben haben, dort nieder, um dort zu weiden und gleichzeitig Landwirtschaft zu betreiben.
Viertens führt die wachsende Bevölkerung in einigen Bundesstaaten, in denen überwiegend Muslime leben, zu Abwanderung, weil es nicht genug Platz für die Bevölkerung gibt. Die Abwanderung führt in einigen Gebieten zu Konflikten, da die Muslime auf der Suche nach Siedlungsplätzen sind und sich diese mit Gewalt nehmen, wenn sie sie von den Einheimischen nicht erhalten.
Fünftens kommen Muslime regelmäßig in von Christen dominierte Bundesstaaten und streben dort nach Führungspositionen oder kämpfen sogar um Einheimischenförderung, und wenn sie diese nicht bekommen, kommt es zu Gewalt.
Sechstens ist das hohe Maß an Analphabetismus im Norden, insbesondere unter den armen Almajiris, eine weitere Ursache für Gewalt gegen Christen. Sie sind immer das Werkzeug, mit dem die Gewalt gegen Christen ausgeübt wird. Der Großteil der Mitglieder von Boko Haram, besteht aus jungen Almajiris.
Man hört immer wieder, dass der Konflikt nicht religiöser Natur ist, sondern durch den Gegensatz zwischen Hirten und Bauern begründet sei. Ist das richtig oder greift diese Erklärung zu kurz?
Die Wahrheit ist, dass der Konflikt zu 80 Prozent religiös bedingt ist. Die Bauern haben kein Problem mit den Hirten. Die Bauern und die Hirten haben jahrelang friedlich nebeneinander gelebt, ohne sich darum zu kümmern, ob man Muslim oder Christ ist. Aber das Problem entstand, als einige Fanatiker anfingen, Zwietracht zwischen beiden Gruppen zu säen. Muslimische Fanatiker erklärten, dass sie ganz anders als Christen seien. Ihre Religion sei ja überlegen und sie seien dazu bestimmt, zu herrschen. Dieser Gedanke setzte sich in den Köpfen vieler Fulani fest und sie begannen, die Christen zu bekämpfen, um ihre religiöse Überlegenheit zu demonstrieren und um die Vorherrschaft zu erlangen. Sie betrachten die Christen nicht mehr als ihre Freunde oder Nachbarn, sondern als Feinde. Trotz dieser Haltung und dieses Hasses tolerieren die Christen sie bis heute und nehmen sie auf. Einige der muslimischen Geistlichen bringen ihren Leuten bei, dass sie im Paradies belohnt werden, wenn sie einen Christen töten, weil die Christen keine wahre Religion haben. Deshalb führt jede Gelegenheit oder kleinste Provokation oder jedes Missverständnis zu Gewalt, zum Wunsch zu töten oder zu zerstören. Der Fulani-Mann schätzt sogar sein Vieh mehr als jeden, der sich als Christ bezeichnet.
Folgen die Übergriffe der größeren Idee des Dschihad?
Die Fulani glauben immer noch, dass ihnen das Land Nigeria gehört, weil Usman dan Fodio (1754–1817) es für sie erobert hat. Deshalb kommt es an den meisten Orten, vor allem im Norden, immer dann zu Gewalt, wenn die Führung nicht in ihren Händen liegt. Was sie jetzt versuchen, ist, den Kampf um Expansion und Vorherrschaft fortzusetzen. Dies ist einer der Gründe für die Entstehung von Boko Haram im heutigen Nigeria. Auch das Scharia-Gesetz in einigen Regionen des Nordens ist Teil der Dschihad-Agenda. Für die Fulani-Hirten oder die Muslime ist der Dschihad ein religiöser Auftrag, den sie ausführen sollen, und Gott unterstützt ihn. Er ist heilig, weil er von Gott gebilligt wird.
Auch im vergangenen Jahr kam es zu schweren Übergriffen gegen Christen während der Weihnachtstage. Warum gerade zu dieser Zeit?
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Dies geschieht in der Regel, um den Christen den Geist von Weihnachten zu zerstören. Und da es eine festliche Zeit ist, in der viele Menschen zurück nach Hause kommen, sind auch diejenigen das Ziel, die zum Feiern in die Heimat kommen, vor allem die Säulen der Gemeinden, die in der Stadt arbeiten und nach Hause kommen, um mit ihren Familien zu feiern. Manche dieser Söhne und Töchter kommen nach Hause und werden entweder getötet oder verschwinden auf mysteriöse Weise.
Mittlerweile kommt es immer wieder zu Entführungen und hohen Lösegeldforderungen, die die Angehörigen unmöglich aufbringen können. Wie gehen die Menschen damit um und was geschieht mit den Entführungsopfern, wenn die Forderungen nicht erfüllt werden?
Meistens kommen die Opfer nicht frei, wenn das Lösegeld nicht gezahlt wird. Die Entführten werden getötet und man legt die Leichen dort ab, wo sie gefunden werden. Manchmal brechen die Entführer die Kommunikation ab, wenn das Lösegeld nicht gezahlt wird. In diesen Fällen kann man nicht feststellen, ob das Opfer noch lebt oder bereits tot ist. Manchmal wird das Lösegeld gezahlt und die Entführten werden trotzdem getötet. Manchmal werden die Entführungsopfer in die Verbrechergruppe zwangsrekrutiert, um deren Schlagkraft zu verstärken.
Die andauernden Übergriffe führen auch zu einer massiven Landflucht der Bevölkerung. Gibt es diesbezüglich nigeriaweite Zahlen und wohin gehen die Menschen, wenn sie ihre Heimatdörfer verlassen?
Ja, es stimmt, dass aufgrund der Angriffe einige eher isolierte Gemeinden, die keinerlei Schutz haben, an Orte abwandern, die relativ sicher sind oder über eine gewisse Präsenz von Sicherheitskräften verfügen. Einige wandern in die Städte ab, weil die Städte sicherer sind als die Dörfer, da dort gewisse Sicherheitsmechanismen für hochgestellte Personen und zum Schutz von Regierungseigentum und Infrastruktur eingerichtet wurden. Die Abwanderung findet eher im Norden statt. Man könnte die Zahl auf 45 Prozent beziffern.
Welche Möglichkeiten sehen Sie, um ein friedliches Miteinander herzustellen?
Es gab eine Reihe von Dialogen und Gemeindeversammlungen zwischen Bauern und Hirten sowie zwischen Christen und Muslimen, den beiden größten religiösen Gruppen des Landes. Außerdem wird die Regierung immer wieder aufgefordert, in ihrer Politik aufrichtig, fair und gerecht zu sein, um eine friedliche Koexistenz zu gewährleisten. Die Regierung sollte keine Religion zur Staatsreligion erheben. Insbesondere den Christen wird immer wieder geraten, denjenigen, die sie verfolgen, entgegenzukommen, um Frieden zu schaffen. Einige Bundesstaaten arbeiten hart daran, ihren Bürgern mehr Sicherheit zu bieten, und das kann zu einem friedlichen Zusammenleben beitragen.
Wie helfen internationale Organisationen wie „Christian Solidarity International“ (CSI) den Menschen im Land?
„Christian Solidarity International“ hat bei der Wiederansiedlung geholfen, indem man Opfern des Dschihad, deren Häuser zerstört wurden, Unterkünfte zur Verfügung gestellt hat. Außerdem werden Lebensmittel und Kleidung bereitgestellt. CSI garantiert Medikamente für die Verletzten und Bildung für Kinder und Jugendliche, die von den Angriffen betroffen sind, insbesondere für Waisen, deren Eltern getötet wurden. CSI unterhält auch ein Empowerment-Programm, durch das Witwen und Witwer sowie Jugendliche finanzielle Unterstützung erhalten, damit sie Kleinunternehmen aufbauen können. CSI trägt ganz aktuell durch die Fastenaktion 2025 Christen im Feuersturm des Dschihad viel dazu bei, den Opfern dieser Anschläge Linderung und Hoffnung zu bringen.
Auch in den Nachbarländern Nigerias sind Islamisten auf dem Vormarsch, zum Beispiel in Mali. Sehen Sie ein übergeordnetes Problem in der Region?
Nach dem, was derzeit geschieht, ist Westafrika leider eine fruchtbare Region für islamistische Aktivitäten. Das gilt für Niger, Tschad und einen Teil Kameruns, wo die muslimische Bevölkerung täglich zunimmt. Sie wollen in der Region Einfluss nehmen, indem sie die islamische Religion fördern. In den meisten Fällen wirken sich ihre Aktivitäten negativ in der betroffenen Region aus.
Vor wenigen Tagen wurden 70 Christen in einer Kirche in der Demokratischen Republik Kongo brutal dahingeschlachtet. Rollt eine Welle des Dschihad auf Afrika zu, die sich weiter ausbreiten könnte?
Afrika wird als der Grundstein des Islam angesehen, daher besteht die Möglichkeit, dass gewisse Kräfte den Dschihad auf den gesamten Kontinent ausweiten wollen. Aus diesem Grund breiten sich die extremistischen Gruppen zusehends aus.
Einerseits wächst die Zahl der Christen in Afrika stetig. Auf der anderen Seite nimmt die Gewalt gegen Christen immer heftigere Züge an. Was bedeutet dieses Spannungsfeld für die Zukunft des Kontinents?
Für die meisten nicht-muslimischen Menschen in Afrika, insbesondere in Nigeria, ist das Christentum bereits zu einer Kultur und nicht nur zu einer Religion geworden. Je mehr die Gewalt zunimmt, desto stärker leben die Menschen den Glauben, denn für sie ist er ein Geschenk Gottes und etwas, das ihnen Hoffnung und Kraft gibt, vor allem in Zeiten der Not. Ich denke, je mehr Menschen sich zum christlichen Glauben bekennen, desto stabiler und friedlicher wird der Kontinent.
Hinweis: Interviews wie dieses spiegeln die Ansichten der jeweiligen Gesprächspartner wider, nicht notwendigerweise jene der Redaktion von CNA Deutsch.