CNA Deutsch dokumentiert im Wortlaut die Predigt, die Kardinal Kurt Koch am 31. Dezember 2025 anlässlich des dritten Todestags von Papst Benedikt XVI. im Petersdom hielt.

Wir sind in der St.-Peter-Basilika zusammengekommen, um den dritten Jahrestag des Heimgangs von Joseph Ratzinger – Benedikt XVI. zu begehen, Seiner in der Heiligen Messe zu gedenken und Ihm für sein Leben und Wirken als Priester, Theologe, Bischof und Papst zu danken. Joseph Ratzinger hat am letzten Tag im bürgerlichen Jahr unsere irdische Welt verlassen und ist in die ewige Heimat bei Gott heimgekehrt. Am letzten Tag im bürgerlichen Jahr sieht die Liturgie der Kirche als Evangelium den Prolog im Johannesevangelium vor, der mit den Worten beginnt: „Am Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott.“ Ist es nicht wunderbar, dass am letzten Tag im bürgerlichen Jahr der christliche Glaube einen ganz neuen Angang setzt und damit verheisst, dass das irdische Ende des menschlichen Lebens nicht das Ende überhaupt, sondern einen neuen Anfang bedeutet und dass der letzte Tag im irdischen Leben des Menschen der Anfang eines neuen Lebens, des ewigen Lebens bei Gott ist!

Diesen neuen Anfang kann uns nur eine Wirklichkeit geben, die den Namen trägt: „Liebe“. Dies leuchtet vor allem dann ein, wenn wir den radikalen Ernst des Todes des Menschen bedenken. Die Tragik des Todes besteht darin, dass er nicht nur ein biologisches Geschehen in dem Sinne ist, dass der körperliche Organismus zerfällt. Der Tod reisst vielmehr auch das Netz aller menschlichen Beziehungen ab und zerstört damit alle Verheissung und Hoffnung, oder mit den Worten von Papst Benedikt XVI.: „Der Tod ist immer auch die Zerstörung einer Liebe, einer Freundschaft, und das ist wahrhaft das tragischste Faktum in der Erfahrung des Todes.“ Der innerste Infekt des Todes besteht somit darin, dass er der Ort der völligen Verlassenheit und der totalen Einsamkeit ist, insofern an diesem Ort auch die menschlichen Beziehungen gestorben sind und deshalb auch die menschliche Liebe tot.

An diesem Ort kann nur die Liebe Gottes einen neuen Anfang schenken. Nur wenn Gott selbst an diesem Ort der grössten Einsamkeit und der totalen Beziehungslosigkeit mit seiner Liebe gegenwärtig wird, ist ein neuer Anfang möglich. Genau darin aber besteht die grosse Verheissung des christlichen Glaubens: „Im Reich des Todes ist die Stimme Gottes erklungen. Das Undenkbare ist geschehen: die Liebe ist vorgedrungen in das ‚Reich des Todes‘.“ Mit diesen Worten hat Papst Benedikt XVI. – wohl mit Bedacht bei der Betrachtung des Grabtuches in Turin – die Verheissung zum Ausdruck gebracht, die in der Liturgie mit dem Karsamstag verbunden ist und die heisst: Indem Christus an den Ort des Todes die göttliche Liebe gebracht hat, gibt es Leben mitten im Tod und gibt es am Ende des irdischen Lebens einen neuen Anfang.

Was Christus im Reich des Todes am Karsamstag bewirkt hat, dies geschieht auch im Sterben und Tod des einzelnen Menschen: Wie Christus in das Reich des Todes gegangen ist und mit seiner wärmenden Liebe Bewegung in die Totenstarre des Reiches des Todes gebracht hat, so bringt er auch heute in den Tod des Menschen hinein seine Liebe und öffnet die beziehungslose Einsamkeit des Todes mit neuer Gemeinschaft, mit der Gemeinschaft mit Gott selbst. Der Kommunikationslosigkeit des Todes gegenüber schenkt er die Kommunikation und Kommunion des ewigen Lebens bei Gott.

Im Blick auf den Tod des Menschen hat Papst Benedikt XVI. mit seiner Theologie und zunächst mit seinem eigenen Glaubensleben uns vor allem die Einsicht ans Herz gelegt, dass das ewige Leben die Konsequenz der Liebe Gottes zu uns Menschen ist. Diese Wahrheit ist ja bereits in der menschlichen Erfahrung der Liebe in einem elementaren Sinn angelegt. Denn menschliche Liebe zielt auf Unendlichkeit und Unzerstörbarkeit, sie ist gleichsam ein Schrei nach Ewigkeit. Der französische Denker Gabriel Marcel hat deshalb mit Recht betont: einen Menschen lieben bedeute zu ihm sagen, dass er nicht sterben werde.

Wie sehr bereits menschliche Liebe auf Unendlichkeit hin angelegt ist, so sehr wissen wir Menschen aber aus Erfahrung, dass menschliche Liebe allein Ewigkeit nicht zu geben vermag, weil sie zusammen mit dem Leben im Tod untergeht. Nur die Liebesgemeinschaft mit Gott vermag zu schenken, was der Liebe des Menschen wesentlich ist, was er aber aus sich heraus nicht zu geben vermag, nämlich Ewigkeit. Dies aber bedeutet, dass wir Menschen nicht aus unserem Eigenen heraus unsterblich sind, sondern weil wir das ewige Leben der unzerstörbaren Liebesbeziehung Gottes zu uns verdanken. Als glaubende Menschen wissen wir, dass wir deshalb nicht total untergehen können, weil wir von Gott erkannt und geliebt sind. Denn die Liebe Gottes will Ewigkeit, ja sie will sie nicht nur, sondern sie wirkt sie und ist sie selbst: „Deus caritas est“ – „Gott selbst ist die Liebe“.

Wir sind erlöst und dürfen in der Ewigkeit Gottes leben, weil wir von Gott geliebt sind. Wenn es sich so verhält, dann ist das ewige Leben das eigentliche Leben, das nicht erst nach dem Tod beginnt, sondern für den glaubenden Menschen bereits im jetzigen Leben seinen neuen Anfang nimmt. Jesus selbst hat diese Überzeugung in seinem Abschiedsgebet mit den Worten ausgesprochen: „Das ist das ewige Leben: Dich, den einzigen wahren Gott zu erkennen, und Jesus Christus, den Du gesandt hast“ (Joh 17,3).

Wenn das ewige Leben in der Gemeinschaft mit Gott bestehen wird, sind wir gut beraten, uns bereits im irdischen Leben darauf vorzubereiten, wie es Joseph Ratzinger in seinem ganzen Leben intensiv getan hat. „Suchet immerdar sein Angesicht“: Diesen Psalmvers hat er mit seinem Leben gefüllt und ihn als emeritierter Papst mit den Worten ausgelegt: „Dieses ‚immerdar‘ gilt die ganze Ewigkeit. Gott ist so gross, dass wir nie fertig sind. Er ist immer neu. Es gibt eine immerwährende unendliche Bewegung neuen Entdeckens und neuer Freude.“ Wenn das ewige Leben darin bestehen wird, „in den grossen Ozean der Freude und der Liebe“ einzutauchen, dann kommt es bereits im jetzigen Leben entscheidend darauf an, das Angesicht des Herrn zu suchen und Aug-in-Aug mit ihm zu leben. Da das ewige Leben in der Gemeinschaft mit Gott besteht, ist das Bekenntnis zum ewigen Leben in seinem innersten Kern nichts anderes als das Bekenntnis dazu, dass Gott lebendig und dass er die wahre Wirklichkeit ist.

Das Angesicht des Herrn hat Joseph Ratzinger dabei stets in der Begegnung mit Jesus Christus gesucht und gefunden. Denn in ihm hat sich Gott selbst offenbart und sein wahres Gesicht gezeigt. Christus hat er ein Leben lang gesucht und auch sein grosses Jesus-Buch als „Ausdruck meines persönlichen Suchens ‚nach dem Angesicht des Herrn‘“ (vgl. Ps 27, 8) verstanden. Wenn sich nämlich Gott in Jesus Christus als Gott gezeigt hat, dann gibt es ewiges Leben, und dann ist der Tod nicht ein Weg ins Nichts, sondern eine Strasse der Hoffnung in die ewige Gemeinschaft mit Gott hinein.

Dieses neue Gesicht erhält der Tod von daher, dass wir als glaubende Menschen an ihm bereits Anteil erhalten haben in unserer Taufe. Denn die Taufe ist in erster Linie ein Todesvorgang. In ihr muss der alte Mensch in uns sterben, um als neuer Mensch zusammen mit Christus zu neuem Leben aufzuerstehen. Und das neue Menschsein besteht darin, dass wir in Christus und in seinem Leib, der die Kirche ist, leben, so dass wir mit Paulus sagen können: „Ich bin mit Christus gekreuzigt worden; nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir. Soweit ich aber jetzt noch in dieser Welt lebe, lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich für mich hingegeben hat“ (Gal 2,20).

Wenn wir mit Papst Benedikt XVI. diesen tiefen Ernst unserer Taufe realisieren, dann verläuft die eigentliche Grenzlinie zwischen Tod und Leben nicht in unserem biologischen Tod, den wir noch vor uns haben, sondern in der Taufe, in der wir zu neuen Menschen geboren worden sind. Die eigentliche Scheidelinie in unserem Leben ist folglich nicht der leibliche Tod, sondern die Taufe; und die Scheidelinie besteht darin, ob wir wirklich in und mit Christus leben, der das wahre Leben ist, oder ob wir in der sündigen Isolation weiterleben, die sich diesem Mitsein verweigert. Insofern besteht das ganze christliche Leben darin, dass wir unsere Taufe konsequent leben und dereinst unseren Tod als endgültige Realisierung unserer Taufe verstehen und vollziehen.

Die Taufe ist der eigentliche Beginn des ewigen Lebens. Denn mit ihr sind wir bereits in jene Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott hineingenommen, die uns in Tod und Auferstehung Jesu Christi geschenkt ist und die darin besteht: dass wir in Ewigkeit Aug-in-Aug mit dem lebendigen Gott leben und seine grenzenlose Liebe geniessen dürfen. Denn wer mit Gott lebt, stirbt nicht; Gottes Liebe schenkt Ewigkeit. So ist das ewige Leben wirklich dies: „Dich, den einzigen wahren Gott, zu erkennen und Jesus Christus, den Du gesandt hast“.

Dieses Abschiedsgebet lässt Jesus in die Bitte münden: „Vater, verherrliche du mich jetzt bei dir mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, bevor die Welt war“ (Joh 17,5). In diese Bitte stimmt im ewigen Leben gewiss auch Joseph Ratzinger – Benedikt XVI. ein, indem er sie auch auf sich bezieht und um seine Vollendung in der ewigen Gegenwart Gottes bittet. Und wir machen uns seine Bitte zu eigen, wenn wir Seiner gedenken in der Heiligen Messe, mit der wir das Geheimnis unseres Glaubens feiern, dass das Leben über den Tod siegt und dass sehr viel stärker als der Tod des Menschen die ewige Liebe Gottes ist. Amen.

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