Bei den Vereinten Nationen in Genf hatten bereits Ende Dezember Experten über "Den Weg hin zu einer post-liberalen Weltordnung" diskutiert. Referentin Arancha Gonzalez, Leiterin des Internationalen Handelszentrums in Genf verteidigte dabei den Neoliberalismus. Sie sagte: "Dem Neoliberalismus wird zunehmende Diskriminierung vorgeworfen. Jedoch weltweit betrachtet haben vom Wachstum und von der Armutsbekämpfung der letzten 30 Jahre der Großteil der Menschen profitiert, nicht nur wenige."

Ich sprach mit Monsignore Professor Dr. Obiora Ike über die Themen und dargelegten Positionen bei der Veranstaltung. Der nigerianische Geistliche ist unter anderem Leiter von "Globethics.net", einer in Genf ansässigen, an der UN akkreditierten Nichtregierungsorganisation (NGO).

Bei Frau Gonzales klingt es so, als ob der Neoliberalismus doch nicht ganz so schlecht ist?

MONSIGNORE IKE: "Bei allem Respekt – Frau Gonzales liegt mit dieser Hypothese sehr sehr falsch. Etwas weniger als 0,2 Prozent der Weltbevölkerung besitzt und genießt 85 Prozent des Reichtums der Weltbevölkerung. Das kann nicht der profitierende 'Großteil' sein, was Armutsbekämpfung durch Neoliberalismus betrifft.  Wir haben weltweit 65 Millionen Flüchtlinge, das hat es vorher noch nie gegeben... und der Neoliberalismus produziert die Waffen, mit denen die Kriege geführt werden. Denn der Profit kommt durch die Waffen und ...es sind immer die Armen, die darunter leiden. Die Aussage ist also sehr sehr falsch. Ich denke, der Neoliberalismus, starrer Neoliberalismus, geht seinem Ende entgegen – und die Neoliberalisten wissen das.  Johannes Paul II. hat es in Centesimus Annus ganz klar formuliert: Neoliberalismus ist ebenso von Übel wie kommunistische Kompromisslosigkeit, Orthodoxie  in kommunistischen Systemen. Er stellt beide auf eine Stufe. Aus zwei Gründen: Sie widersprechen dem Wesen des Menschen, sie widersprechen der menschlichen Ethik.

Jeremy Corbyn, britischer Oppositionsführer, Gewerkschaftsfunktionär und Labour-Parteichef sagte, der "orthodoxe, starre, kompromisslose" Neoliberalismus sei gescheitert. 30 Jahre nachdem strukturelle Anpassungsprogramme zum ersten Mal verheerende Auswirkungen auf große Teile der Welt hatten, und ein Jahrzehnt nach der Finanzkrise von 2008, bricht das zusammen, was dafür verantwortlich war – die neoliberale Orthodoxie, das kompromisslose Festhalten an neoliberalem Gedankengut."

MONSIGNORE IKE: "Das ist völlig richtig. Die neoliberale Orthodoxie war für die Menschheit in den vergangenen 100 Jahren die größte Katastrophe. Neoliberalismus ist die Extremform des Kapitalismus: Der Mensch wird unwichtig und der einzige Beweggrund, Wirtschaft zu betreiben, ist Gewinne zu machen und zu maximieren...

Papst Johannes XXIII hat in seiner Enzyklika Mater et Magistra bereits davon gesprochen und besonders Papst Johannes Paul II denkt 100 Jahre nach Rerum Novarum in Centesimus Annus über angemessene Wirtschaftsformen nach. Er fasst die soziale Marktwirtschaft ins Auge. Soziale Marktwirtschaft ist sozial, das heißt, die dient dem Menschen, sie ist ein Markt, das heißt, Preise können frei festgelegt werden und sie ist eine Wirtschaft, eine Dienstleistung. Soziale Marktwirtschaft bedeutet also weder Liberalismus noch Kommunismus, der zentral kontrolliert ist, sondern eine Wirtschaftsform, die der Mehrheit der Menschen dient."

Nikhil Seth, Leiter des UN-Instituts für Training und Forschung (UNITAR) meinte, dass es eine neue Herausforderung für Staaten sei, diese Situationen auf einer menschenrechtlich ausgerichteten Basis anzugehen: "Eine erneuerte Verpflichtung zu internationaler Zusammenarbeit in Sachen Entwicklung scheint die einzig intelligente Antwort für eine Zukunft zu sein, wie wir sie uns wünschen."

"Die Zukunft, wie wir sie uns wünschen"… Da stellt sich die Frage, wer eigentlich dieses "wir" ist. Sind die Katholiken bei diesem "wir" dabei?

MONSIGNORE IKE: "Reden wir mal über Religion hinaus über Menschen – Bürger in Ländern, zu denen Katholiken gehören, Muslime, verschiedene kulturelle Gruppen, Arme und Reiche – wo diese alle dazu gehören. Hier muss der Ansatz, den Bedürfnissen der Menschen durch Menschenrechte gerecht zu werden, verfolgt werden, weil Menschenrechte die Würde des Menschen respektieren. Das lehrt auch die Kirche. Und sie versucht, diese Würde, diese Rechte für alle voranzubringen. Es ist klar, dass Katholiken hier mit dabei sind, und wir müssen an vorderster Front dabei sein, weil das Christentum der Zündfunke war für eine weltweite Vereinbarung von Menschenrechten. Denn Christus wurde Mensch, Gott hat die die Natur des Menschen angenommen. Deshalb ist der Mensch auch Gott ähnlich und muss respektiert und sein Leben geschützt werden. Und man muss ihm das Recht der freien Meinungsäußerung, Bewegungsfreiheit und der Gedanken- und Gewissensfreiheit zusichern, und ihn würdevoll und gut behandeln."

Der Heilige Stuhl bekräftigte ebenfalls im Dezember im Rahmen der 11. Sitzung der Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation in Buenos Aires, multilaterale Ansätze zu unterstützen.

Erzbischof Ivan Jurkovič, Ständiger Vertreter des Heiligen Stuhls bei der UNO Genf und anderen internationalen Organisationen:

"Abschliessend möchte ich in dieser Konferenz versichern, dass sich der Heilige Stuhl weiterhin verpflichtet fühlt, den Multilateralismus zu stärken und aktiv die Arbeit der Welthandelsorganisation in allen Bereichen zu unterstützen."

Meiner Meinung nach kann man mit Sicherheit davon ausgehen, dass in diesem Fall der Heilige Stuhl und die Vereinten Nationen in Genf zusammen an einem Strick ziehen – hin zu einem auf Menschenrechten basierenden, multilateralen Denkansatz, der besonders schwächeren und kleineren Staaten sicherere Rahmenbedingungen bietet.

Dieser Beitrag wurde von U.N.-Korrespondent Christian Peschken in Genf verfasst. Das Thema wird auch bei EWTN – Katholisches Fernsehen zu sehen sein im Rahmen des Magazins 'Vatikano'. Weitere Informationen zu Christian Peschken unter www.peschken.media 

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