Neu vorgelegter "Kanon der spirituellen Literatur" umfasst 17 Jahrhunderte

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Der Karmeliter und Theologe Michael Plattig stellt in seinem soeben erschienenen "Kanon der spirituellen Literatur" insgesamt 50 Autoren vor, die "Klassiker" zum geistlichen Leben verfasst haben. Von Cyrill von Jerusalem bis hin zu Henri Nouwen umfasst der Kanon 17 Jahrhunderte.

"Man könnte mutig und freilich auch etwas riskant formulieren: von den hier vorliegenden Büchern und Texten glauben wir, dass sie in hundert, ja unter Umständen in fünfhundert oder tausend Jahren noch gelesen werden", schreiben Plattig und P. Mauritius Wilde OSB aus der Abtei Münsterschwarzach im gemeinsamen Vorwort. Hier könnte man ein Problem verorten, denn die Auswahl von Texten aus den letzten 200 Jahren ist eben noch subjektiv – sie haben sich noch nicht als Klassiker erwiesen.

Sind Autoren wie Bischof Hélder Câmara, Frère Roger Schutz von Taizé oder Kardinal Basil Hume tatsächlich auf derselben Ebene anzusiedeln wie Augustinus, Benedikt, Bernhard, wie Gertrud von Helfta und Meister Eckhart, wie Franz von Sales und Thérèse von Lisieux?

Zwar beschränkt sich Plattig "auf die Literatur christlicher Prägung", doch bedeutet dies eben auch, dass einige protestantische Werke (darunter auch solche von Martin Luther) und orthodoxe Bücher (wie die Aufrichtigen Erzählungen eines russischen Pilgers) Aufnahme finden.

In den einzelnen Kapiteln stellt Plattig jeweils zunächst Autor und Werk vor, spricht dann über den Inhalt des "Klassikers" und gibt dann in einem Lesetipp Hinweise zur besseren Lektüre des Werkes. Abschließend folgen Literaturhinweise, damit sich der Leser tatsächlich in das Werk einarbeiten und darüber hinaus weiterführende Bücher zu Rate ziehen kann.

Stärken und Schwächen der Klassiker

Plattig versucht, ausgeglichen die Stärken und Schwächen der ausgewählten Bücher einzuordnen. Zu Franz von Sales heißt es diesbezüglich etwa:

Die Zeit des Franz von Sales wird auch die "Zeit der Methoden" genannt. Auf allen Gebieten einschließlich der Frömmigkeit suchte man nach Methoden. Unzählige Anleitungen und Einführungen wurden verfasst. Die Gefahr, die sich daraus ergab, ist eine gewisse Methodengläubigkeit, die auch vor der Frömmigkeit nicht Halt machte. Franz von Sales sieht das Problem, wenn er immer wieder auf das Fundament aller frommen Methodik, die Gottesliebe, verweist.

Andererseits besteht wohl heute eher die Gefahr, in einem einseitigen Verständnis von Unabhängigkeit zu glauben, dass Spiritualität keine Formen, keine Regelmäßigkeit und keine Übungen bräuchte. Man müsse Spiritualität kreativ gestalten und aus dem Augenblick heraus leben.

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Zum protestantischen Dichter Paul Gerhardt, dessen Lieder teilweise auch im "Gotteslob" abgedruckt wurden, schreibt er:

Das Singen berührt oft mehr als das Lesen vor allem die Gefühlswelt des Menschen. Darin liegt Chance und Gefahr zugleich. Die Chance besteht in einer ganzheitlicheren Aufmerksamkeit, einer größeren Offenheit nicht nur für das Verstehen, sondern für das "Erleben" der Botschaft des Evangeliums. Gleichzeitig besteht die Gefahr, in Emotionalität zu versinken und zu "entschweben" und die Bodenhaftung zu verlieren.

Fazit

Bis ins 19. Jahrhundert hinein liefert Plattig eine solide Auswahl spiritueller Werke (auch wenn die Einbeziehung von Martin Luther auf treue Katholiken befremdlich wirkt). Für die später erschienenen Bücher wird sich zeigen, welche Autoren und Werke sich tatsächlich langfristig als "Klassiker" erweisen.

Michael Plattig, "Kanon der spirituellen Literatur. 50 Klassiker im Porträt" ist im Verlag Herder erschienen und hat 336 Seiten.

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