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Ikone der DNA des Gottessohnes

Der flämische Maler Juan de Flandes malte um 1498 “Die Auferstehung Christi und drei Frauen am Grab“
Im "Codex Pray" in Budapest erscheinen die Grabtücher Christi aus der Stunde Null der Christenheit um das Jahr 1180 erstmals fast realistisch gemeinsam im Bild.
Das Antlitz Christi auf dem Volto Santo
Josef von Arimathea und Johannes legen dem toten Jesus das Schweißtuch auf. Tafelbild von Joan Mates aus Barcelona aus dem Jahr 1429.

Das Schweißtuch aus dem Grab Christi ist wesentlich durchsichtig. Transparenz ist sein Aggregatzustand, wie wir vor drei Jahren wieder auf dem Libretto bestaunen durften,  das Papst Franziskus 2019 für die Teilnehmer an der Liturgie seiner Ostermette im Petersdom drucken ließ, dessen Titel eine Bildtafel aus dem Jahr 1498 von Juan de Flandes schmückte, wo „Maria aus Magdala, Maria, die Mutter des Jakobus, und Salome“ zum Grab kamen, wie es bei Markus heißt.  „Sie sahen auf der rechten Seite einen jungen Mann sitzen, der mit einem weißen Gewand bekleidet war; da erschraken sie sehr. Er aber sagte zu ihnen: Erschreckt nicht! Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden; er ist nicht hier. Seht, da ist die Stelle, wohin man ihn gelegt hat.“ Dabei stellte der flämische Maler in Spanien das leere Grab fälschlicherweise als einen Sarkophag im Freien dar, was zeigt, dass er nie in Jerusalem war. Rom und seine Schätze hingegen kannte er offensichtlich, wie er hier zeigt. Denn über dem Rand dieses Sarkophags hängt bei ihm sehr realistisch ein durchsichtiger Schleier, auf den der Engel zeigt. Das war das Sudarium. Es war jene Herrenreliquie, die zu Lebzeiten des Malers in Europa tausenden Rompilgern bekannt war, seit Papst Innozenz VIII diesen Schleier an einem Sonntag im Januar 1208 erstmals barfuß vom Petersdom in die nahe Hospitalkirche Santo Spirito getragen hatte. Auch dieser Schleier war durchsichtig und rätselhaft wie die Auferstehung selbst, das Herzstück unseres Glaubens. 

Denn die Wesensmitte der Christenheit ist ja weder der Kölner noch der Petersdom, sondern allein die Auferstehung Christi aus dem Reich der Toten, wie unmöglich sie auch immer scheint.  Doch ohne den Glauben an eben diese Unmöglichkeit wäre unser ganzer Glaube ein Dreck, sagt schon Paulus. Dann könnten auch wir die Kirche sogleich mit den Scharen aller anderen Flüchtlinge verlassen und müssten nicht eigens mit Petrus fragen: „Herr, wohin sollen wir gehen?“ Denn dann wäre Christus erstens nicht mehr unser Herr und zweitens würde uns schon einfallen, wohin wir mit den gesparten Kirchensteuern fliehen möchten, egal, wie unmöglich es auch ist, einen Ort oder eine Gesellschaft von Menschen ohne Missbrauch zu finden und ohne Lüge, Betrug, Verbrechen und Gewalt.  

Ist hingegen Christus wahrhaftig von den Toten auferstanden, dann ist alles möglich. Dann wird auch die Kirche wieder aus der Todeszone des Missbrauchs erwachen und neu aufblühen, in Köln, in Deutschland und überall. Dennoch haben sich viele Theologen der letzten Jahrhunderte bemüht, die Anstößigkeit der Auferstehung Christi mit schriftgelehrten Tricks zu minimieren und zeitgeistkompatibler zu machen. Glasperlenspiele dieser Art  waren Ikonenschreibern oder bildenden Künstlern nie möglich, solange sie sich noch ernsthaft mit dem Kern unseres Glaubens auseinandersetzten. 

Theologen wie Maler teilen sich allerdings ein gemeinsames Problem: es gibt keine Zeugen vom Akt der Auferstehung Christi von den Toten. Keiner der Evangelisten war dabei. Alle vier berichten nur davon, wie es nach der Auferstehung in Jesu Grab aussah. Matthäus berichtet von einem „Engel“ in schneeweißem Gewand, der drei Frauen in der Grabkammer sagt: „Er ist nicht hier“. Ähnlich steht es bei Markus. Bei Lukas ist von „zwei Männern in leuchtenden Gewändern“ die Rede.  Und bei Johannes erfahren wir, wie Petrus mit dem „Jünger, den Jesus liebte“ frühmorgens das Grab Christi in Augenschein nahm. - Nur eins sagt keiner der vier Evangelisten: dass das Grab leer war. Das war es offensichtlich nicht. Jesus war nicht mehr da. Es lagen aber Tücher am Tatort, von denen der Geschichtsschreiber Wipo (+ 1048) in seiner Ostersequenz „Victimae paschali laudes“ sagte, Maria habe zwei „engelgleiche Zeugen“ gesehen, nämlich das „Schweißtuch und die Leinentücher“ (lat: sudarium et vestes). Diese  Zeugnisse haben sich Gottseidank unverwest und materiell erhalten, mit der DNA des Gottessohnes.  

Da ist zuerst das heilige Sudarium aus Rom, das sich heute in Manoppello befindet, und die Santa Sindone, das weltberühmte Leinen in Turin. Beide Textilien begegnen uns erstmals in der Zeugenaussage des Johannes, der den Ostermorgen so beschrieb: „Da kam auch Simon Petrus, der ihm gefolgt war, und ging in das Grab hinein. Er sah die Leinenbinden liegen und das Schweißtuch (griech: soudarion), das auf dem Kopf Jesu gelegen hatte; es lag aber nicht bei den Leinenbinden, sondern zusammengebunden daneben an einer besonderen Stelle. Da ging auch der andere Jünger, der zuerst an das Grab gekommen war, hinein; er sah und glaubte.“ Das ist die Schlüsselstelle dieses Evangeliums, die allerdings nur plausibel wird, wenn sie im Zusammenhang mit den konkreten Tüchern gelesen wird, die Johannes hier erwähnt. 

Die „Santa Sindone“ oder das Grabtuch von Turin wird nur selten gezeigt und ist dennoch  erforscht wurden wie kein Gewebe sonst auf der Welt, von einer eigenen Wissenschaft, der Sindonologie, die sich im letzten Jahrhundert um diese Leinwand in den Maßen (436 mal 110 cm) gebildet hat und die das Panorama und die Tortur der Geißelung, der Dornenkrönung und Kreuzigung Christi auf unerklärliche Weise wie mit einem detaillierten Drehbuch festhält und die anschließende Durchbohrung seines Herzens und Auslöschung seines letzten Lebensfunkens durch eine Lanze. Dieses Tuch enthält Blut und Wasser.

Das Sudarium hingegen ist ein höchst zarter Schleier, der Jahrhunderte lang in Rom verwahrt wurde und danach lange in Manoppello, wo er bis 1923 allerdings ähnlich verborgen war das Grabtuch in Turin. Seit fast 100 Jahren aber lässt sich dieses Wunderwerk hier täglich von morgens früh bis abends über dem Hauptaltar von jeder Pilgerin und jedem Pilger aus nächster Nähe beobachten und studieren wie nie zuvor. Bei besonderem Licht zeigt er das Antlitz Christi mit offenen Augen und geheilten Wunden. 

Ohne eigene Lichtquellen aber gibt der Schleier vor allem eine vollkommene Transparenz als sein inneres Wesensmerkmal frei - als sei Ostern das Fest der Durchsichtigkeit zum Himmel hin und zur Ewigkeit Gottes in einer anderen Welt. Gut hundert Jahre vor Juan de Flandes hat deshalb auch der katalanische Maler Joan Mates (1370 – 1431) diesen Wesenszug des Schweißtuchs Christi meisterhaft in seiner Bildtafel der „Beweinung Christi“ zum Ausdruck gebracht, wo wir Nikodemus sehen, der Jesus nach der Kreuzabnahme ein durchsichtiges Gewebe auf‘s Gesicht legt.  Vorbild für diese Darstellung kann auch hier nur das römische „Sudarium“ der Päpste aus dem Petersdom gewesen sein, die „wahre Ikone“, die seit dem Mittelalter dort auch „Veronika“ genannt wurde. Zahllose Bilder der Kunstgeschichte bezeugen diese österliche Transparenz ebenso wie der heutige Augenschein. Einer der Kronzeugen dieses Rätsels aber ist Dr. Martin Luther, der den Schleier auf seiner Romreise 1511 gesehen hatte und noch im Jahr 1545 spottete, dass des „Herren Angesicht in seinem Schweißtüchlein“, das regelmäßig in Sankt Peter gezeigt würde, nichts denn „ein klaret lin“ sei. Mit anderen Worten: Doktor Luther hatte hier nur ein „durchsichtiges Linnen“ gesehen. 

Das ganz und gar nicht durchsichtige große Grabtuch hingegen taucht erstmals im Jahr 1355 in Lirey in der Champagne auf und wurde erst 233 Jahre später im Jahr 1578 auf das Betreiben von Karl Borromäus feierlich von Chambéry in Savoyen nach Turin gebracht, wo die westliche Christenheit es allmählich kennenlernte. Davor war die Sindone kostbarster Teil der Schätze des Kaisers von Byzanz und blieb für die Pilger Europas bis 1578 mehr oder weniger ein Gerücht. Aus dem Jahr 1192 (spätestens) aber stammt ein Bilddokument in der Széchényi-Bibliothek des Nationalmuseums von Budapest, das für alle Grabtuchforscher seit Jahrzehnten so etwas wie eine neue Gründungsurkunde ihrer hochkomplexen Wissenschaft geworden ist. Es ist eine kleine kolorierte Zeichnung auf Pergament in einem alten Codex in den Maßen 24 mal 15 Zentimetern, die ebenfalls die Auferstehung Christi von den Toten ins Bild hebt – und die Grablegung des gekreuzigten Herrn.  Oben sehen wir deshalb Jesus tot, mit friedvollem Gesicht auf einem Laken liegen, das auf einem Stein ausgerollt ist. Augen und Mund sind geschlossen, ein schütterer Bart und lange Haare mit Mittelscheitel verbergen die Ohren und umrahmen sein Antlitz. Am Kopfende Jesu steht Josef von Arimathäa, der Ratsherr des Sanhedrin,  an den Füßen des Herrn steht Johannes. Beide fassen das Tuch, mit dem der Leichnam vom Kreuz abgenommen worden war, während Nikodemus eine Flasche mit kostbaren Aromen über dem Leichnam entleert, wie wir im Johannes-Evangelium (19,39) lesen. Die Steinplatte darunter erinnert an den so genannten „Salbungsstein“ der Grabeskirche Jerusalems, der lange als wichtigste Reliquie der Pantokrator-Kirche Konstantinopels verehrt wurde. Einzigartig sind an dieser Darstellung drei markante Details. Erstens ist der Körper Jesu nackt. Zweitens hält er seine Hände über der Scham verkreuzt, die Linke über der Rechten. Drittens zeigen beide Hände jeweils nur vier Finger und keinen Daumen. Jesus wird also hier als reales Opfer einer antiken Kreuzigung abgebildet, bei der ihm die Nägel durch die Handwurzeln (und nicht die Handteller) getrieben worden waren. Bei dieser Tortur verkrampften die Daumen durch die Verletzung des 'nervus medianus' nach innen in die Handflächen. Und für diese Darstellung gibt es nur eine einziges „Bild“ im Bildersaal der Geschichte, das dafür als Vorbild und Modell gedient haben muss. Das ist das Grabtuch Christi, das diese signifikanten Details aufweist, doch lange bevor dieses Leinen in Europa auftauchte! 

Und diese Zeichnung wurde auch mindestens 133 Jahre vor jenem Termin gefertigt, der 1988 in einer Aufsehen erregenden Radiokarbonuntersuchung ermittelt wurde, der zufolge das Grabtuch zwischen 1260 bis 1390 gewebt worden sein sollte. Diese Zeichnung aus Budapest, die es wie mit einem Beweisfoto dokumentiert, stammt aber spätestens von 1192. Denn im  Jahr 1150 war der Botschafter Ungarns anlässlich einer geplanten Hochzeit in Konstantinopel von Manuel II. Komnenos empfangen worden, wobei der Kaiser von Byzanz ihm und seiner Delegation die verborgenen Schätze seiner Blachernen-Kapelle zeigte. Dabei muss sich das Grabtuch Christi einem Teilnehmer der ungarischen Delegation detailgenau eingeprägt haben.  Unterhalb der Grablegung sehen wir – wie  Jahrhunderte später bei Juan de Flandes – deshalb auch noch drei Frauen von rechts zum Grab kommen, wo ihnen links ein Engel mit ausgestrecktem rechtem Zeigefinger die Auferstehung Christi an diesem ersten Ostermorgen deutet. Zwischen dem Engel und den Frauen sehen wir auf eine große gefaltete Stoffbahn, die auf der Innenseite mit griechischen Kreuzen bedeckt ist und außen mit Zickzacklinien, die in der Forschung als Versuch gedeutet werden, das Fischgrätmuster des Grabtuchs zeichnerisch nachzubilden. Vier kleine Löcher bilden vier alte Brandschäden ab, die sich bis jetzt in der „Santa Sindone“ wiederfinden. Über diesem Grabtuch aber sehen wir, unter dem Finger des Engels, noch ein anderes gefaltetes kleines Tuch, wie wehend, oder auch „zusammengebunden, daneben, an einer besonderen Stelle“, das auf dem Antlitz des toten Jesu gelegen hatte, wie wir von Johannes wissen. 

Dieser Schleier über dem großen Leinen hat eine Lebendigkeit, als würde Wind in ihn hineinfahren. Und unter seinem rechten Rand können wir durch das Gewebe hindurch noch Teile vom Muster des Grabtuchs erkennen. Den Schleier ganz und gar durchsichtig darzustellen, hat das Vermögen des Autors dieser fast kindlichen Zeichnung offensichtlich überfordert. Dennoch erscheint das Sudarium im Kontrast zu dem großen Grabtuch so bewegt wie die Stola des Engels daneben. Und auf jeden Fall begegnen uns die beiden Tücher hier auf fast realistische Weise erstmals gemeinsam im Bild, aus der Stunde Null der Christenheit. Und beide ohne „Bilder“, ohne Körperabbildung und ohne Gesicht, zumindest für unsere Augen. 

Das bedeutsamste Detail dieser Darstellung wird dennoch oft übersehen im Streit vieler Debatten um die Grabtücher Christi. In dieser Darstellung im Codex Pray aus Budape

st, dem so überaus wichtigen Bindeglied für die Geschichte des Turiner Grabtuchs, zeigt der Engel am Ostermorgen nicht auf das große Leinen, sondern - wie Juan de Flandes Jahrhunderte später in Spanien! - zuerst auf das transparente Schweißtuch Christi, das uns wie kein „Bild“ sonst auf das österliche Geheimnis dieser österlichen Stunde blicken lässt. 

Zuerst erschienen im VATICAN-Magazin. Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung.

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