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Warum die Kirche ihre Glaubwürdigkeit nicht rein menschlich gewinnen kann

Die katholische Kirche Franz von Assisi in Lincoln (Nebraska, USA).

Ist es nicht höchst erstaunlich, dass es den Glauben an Jesus Christus nach 2000 Jahren Sündengeschichte der Kirche immer noch gibt? Und ist es nicht erstaunlich, dass es den Glauben an den Vater Jesu Christi noch gibt? Ich meine: Es ist höchst erstaunlich, dass die Sache Jesu Christi bis heute weitergeht – trotz aller Bosheit und Dummheit der meisten Gläubigen und der Kirchenleute. Der Glaube an Jesus Christus ist eine höchst erstaunliche Sache. Eigentlich ist es ein Wunder. Er ist vielleicht unschlagbar. Das Reich wird nicht untergehen, heißt es in der Bibel.

Im heutigen Evangelium macht Jesus den Versuch, die Botschaft vom Vater nicht nur durch seine zwölf Apostel zu verbreiten, sondern durch weitere Siebzig. Er sagt ihnen auch voraus, dass sie es schwer haben werden, dass sie abgelehnt werden.

In diesen Tagen wurden die Zahlen der Kirchenaustritte aus der katholischen Kirche vom letzten Jahr mitgeteilt. Es waren im Jahr 2021 rund 360.000 getaufte Katholiken. Wir sind erschüttert. Aber liegt es primär an dem sexuellen Missbrauch durch Priester und Vertuschung durch Bischöfe? Ich glaube: Nein. Es hat viel tiefere Gründe und Wurzeln und eine lange Vorgeschichte. Es gelingt uns Priestern und Katecheten zu wenig, von der Sache Jesu Christi zu überzeugen. Die Menschen werden längst vorher geistig gefangen durch Marketingleute, die irgendwelche Sachen verkaufen wollen. Die tägliche Berieselung ist an die Stelle der Sonntagpredigt getreten. Durch Jahrhunderte waren Kinder in Mitteleuropa durch ihre Eltern in den Glauben hineingewachsen. Das ist vorbei. Es scheint also mit dem Christentum in Mitteleuropa zu Ende zu gehen. Der synodale Weg versucht, diesen Niedergang zu stoppen.

Ich meine aber: Wenn wir auch nur eine kleine Ahnung von Jesus Christus und dem Anfang seiner Gemeinschaft haben, dann können wir sagen: Es ist ein Wunder, dass die Botschaft Jesu und seine Gemeinschaft überhaupt angesprungen sind und bis heute weiterlebt.

Jesus hat den Seinen kein Konzept der Öffentlichkeitsarbeit gegeben. Er hat ihnen keine Strategie verordnet. Er hat den Markt nicht erkundet. Er hat nur gesagt: Geht zu den Leuten und sagt ihnen: Das Reich Gottes ist nahe und heilt die Kranken. Und Jesus hat gleich darauf hingewiesen: Ich sende euch wie Schafe mitten unter Wölfe. Nehmt kein Geld mit, keine Vorratstasche. Wenn ihr irgendwo aufgenommen werdet, dann nehmt die Einladung an, wenn ihr nicht aufgenommen werdet, dann geht weiter.

Ein moderner Wirtschafts- oder Politikstratege würde sagen: So funktioniert das nicht. Da müsst ihr schon eine bessere Taktik haben, da müsst ihr ein wenig Psychologie einsetzen und etwas von Soziologie verstehen. Nein – Jesus hat ganz schlicht angefangen. Das entscheidende war aber, dass seine Anhänger von ihm selbst fasziniert waren. Sie waren von seiner Persönlichkeit, von seinem Geheimnis hingerissen. Er hat sie überzeugt. Freilich: Sie blieben nicht nur Menschen, sie blieben auch Sünder. Sie waren auch ein wenig dumm, einfältig, eingebildet, eitel, eifersüchtig. Aber sein Geheimnis hat sie mitgenommen.

Und am Ende seines Lebens am Kreuz waren sie sogar davongelaufen, hatten sich versteckt.

Die Sache Jesu kann man nicht mit menschlichen Mittel organisieren. Die Ausgesandten Jesu werden auch nie alle voll glaubwürdig sein. Weder Priester, noch Bischöfe, noch Katecheten werden in der Mehrzahl Heilige sein. Aber sie sollen Sucher Jesu Christi sein, Menschen, die über das Geheimnis Jesu Christi staunen, nach ihm fragen, ihm nachlaufen. Eines ihrer Hauptgebete muss sein: Herr, ich glaube, hilf meinem Unglauben. Herr, wer bist Du, lass mich dich erkennen. Und das gilt für alle Christen. Ich finde es eine Irreführung, die Kirchenaustritte fast ausschließlich auf den sexuellen Missbrauch zurückzuführen. Die Sache Jesu Christi in der modernen Welt hat es schwer. Die Menschen werden überwältigt von materiellen Angeboten und Tageserlebnissen.

Vielleicht erleben wir in diesen Tagen mit den Kirchenaustritten das gleiche, was Jesus in Jerusalem erlebt hat: Dort in Jerusalem sind die Menschen ihm davongelaufen, dort haben sie gebrüllt: Kreuzige ihn. Oder sie haben sich wenigstens verführen lassen mitzubrüllen. Aber das ist nicht das Ende der Kirche. Alle Bemühungen, die Kirchenvertreter glaubwürdig zu machen, können menschlich nicht gelingen. Dazu braucht es den Heiligen Geist. Wenn alle sich vor Christus niederwerfen und ihn bitten: Hilf meinem Unglauben, dann kann der Heilige Geist kommen und dann geschieht das Wunder, dass die Kirche erblüht. Seltsamerweise erblüht der Glaube dort, wo die Christen verfolgt werden. Amen

Pater Eberhard von Gemmingen SJ war von 1982 bis 2009 Redaktionsleiter der deutschen Sektion von Radio Vatikan. 

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