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Der geduldige Realismus von „Amoris laetitia“

Papst Franziskus

In „Amoris laetitia“ erörtert Papst Franziskus auch Erziehungsfragen, die für die moralische Bildung wesentlich sind. Hervorgehoben wird insbesondere die Aufgabe der Erziehung in der Familie und der entscheidende Einfluss, der den Eltern zukommt. Die Familie müsse ein „Ort des Schutzes“ sein. Es gelte, „in Einfachheit und Liebe“ über die wesentlichen Dinge des Lebens zu sprechen und achtsam zu sein, um jegliche Form von „schädlicher Invasion“ durch Außeneinflüsse zu vermeiden. Eine besondere Gefährdung des Kindeswohls sehen wir heute zunehmend auch in dem bestimmenden Einfluss, den die Gender-Ideologie nimmt, etwa in Kindergarten und Schule.

Papst Franziskus warnt auch vor „übertriebener Sorge“ in jeglicher Hinsicht, die „echte Selbständigkeit“ des Kindes gelte es zu fördern: „Wenn die Reifung nur in der Entfaltung von etwas bestünde, das von vornherein im genetischen Code enthalten ist, wäre nicht viel zu tun. Die Besonnenheit, das gute Urteilsvermögen und die Vernünftigkeit hängen nicht von bloß quantitativen Wachstumsfaktoren ab, sondern von einer ganzen Kette von Elementen, die im Innern der Person eine Synthese bilden, genauer gesagt: im Zentrum ihrer Freiheit. Es ist unvermeidlich, dass jedes Kind uns überrascht mit den Plänen, die aus dieser Freiheit aufkeimen und die unsere Vorstellungen durchkreuzen, und es ist gut, dass das geschieht. Die Erziehung schließt die Aufgabe ein, verantwortliche Freiheiten zu fördern, die in den entscheidenden Momenten mit Sinn und Verstand wählen; Personen, die ohne Vorbehalte verstehen, dass ihr Leben und das ihrer Gemeinschaft in ihren Händen liegt und dass diese Freiheit ein unermessliches Geschenk ist.“

Die moralische Erziehung müsse – neben der Schule – in den Händen der Eltern liegen. Bildungsanstalten können die Familie niemals ersetzen. Wichtig sei es, dass die Eltern „vertrauenswürdig“ sind, selbst sich als Vorbild erweisen und den Kindern mit „liebevollem Respekt“ begegnen: „Wenn ein Kind nicht mehr spürt, dass es seinen Eltern kostbar ist, obwohl es unvollkommen ist, oder wenn es nicht wahrnimmt, dass sie ehrlich um es besorgt sind, erzeugt das tiefe Verwundungen, die viele Schwierigkeiten in seiner Reifung verursachen. Diese Abwesenheit, diese affektive Verlassenheit löst einen tieferliegenden Schmerz aus als eine eventuelle Zurechtweisung, die es für eine schlechte Tat erhält.“

Die Eltern müssen durch ihre Erziehung zur „Entwicklung guter Gewohnheiten und gefühlsmäßiger Neigungen zum Guten“ beitragen. In der Gesellschaft – gerade in unserer Zeit – herrschen Lebensanschauungen, die dem Evangelium und der Lehre der Kirche entgegenstehen. Die Kinder sollen sich in die Gesellschaft integrieren, aber die Gesellschaft schenkt nicht die Orientierung, die erforderlich ist. Wichtig sei es, so Papst Franziskus, bei der moralischen Erziehung die „Sensibilität der Kinder und ihren eigenen Sprachgebrauch“ zu achten und aufzunehmen. Das „Wohlgefallen am Guten“ ist zu bilden und zu fördern. Er schreibt: „Sosehr unser Gewissen uns ein bestimmtes moralisches Urteil eingibt, haben hin und wieder andere uns anziehende Dinge mehr Macht, wenn wir es nicht erreicht haben, dass das vom Verstand erfasste Gute sich als tiefe gefühlsmäßige Neigung in uns eingewurzelt hat. Es ist dann wie ein Wohlgefallen am Guten, das schwerer wiegt als andere Attraktionen, und es führt uns zu der Einsicht, dass das, was wir als gut erfassen, auch „für uns“ hier und jetzt gut ist. Eine wirkungsvolle ethische Erziehung bedeutet, dem Menschen zu zeigen, wie weit es ihm selbst nützlich ist, gut zu handeln. Heute ist es gewöhnlich wirkungslos, etwas zu verlangen, das Anstrengung und Verzicht erfordert, ohne deutlich das Gute zu zeigen, das man damit erreichen kann.“

Die moralische Grundhaltung festigt sich auch in den äußeren Formen des Miteinanders, in einem guten und wertschätzenden Umgang, in dem Äußerungen wie „bitte“, „darf ich?“ und „danke“ nicht zu Leerformeln geworden sind, sondern die Tugendhaftigkeit der Person anzeigen: „Die Tugend ist eine in ein tragfähiges inneres Handlungsprinzip verwandelte Überzeugung. Folglich baut das tugendhafte Leben die Freiheit auf; es stärkt und erzieht sie und vermeidet so, dass der Mensch zum Sklaven zwanghafter entmenschlichender und unsozialer Neigungen wird.“

Papst Franziskus anerkennt auch den Wert von Strafen und Zurechtweisungen: „Man muss die Fähigkeit wecken, sich in die Lage des anderen zu versetzen und sein Leiden schmerzlich zu empfinden, wenn man ihm wehgetan hat. Einige Strafen – für unsoziales, aggressives Verhalten – können diesen Zweck teilweise erfüllen. Es ist wichtig, das Kind mit Nachdruck dazu zu erziehen, um Verzeihung zu bitten und den Schaden, den es anderen zugefügt hat, wieder gutzumachen.“ An Disziplin sollte es nicht mangeln, vor allem auch nicht an Selbstdisziplin. Kritisiert werden Formen der Zügellosigkeit oder auch des blindwütigen Zornes seitens der Erziehungsberechtigten.

Der Papst empfiehlt „geduldigen Realismus“: „Die moralische Erziehung beinhaltet, von einem Kind oder einem Jugendlichen nur das zu verlangen, was für ihn kein unverhältnismäßig großes Opfer bedeutet, und von ihm nur ein Maß an Anstrengung einzufordern, das keinen Unwillen auslöst oder rein erzwungene Handlungen veranlasst. Der gewöhnliche Weg besteht darin, kleine Schritte vorzuschlagen, die verstanden, akzeptiert und gewürdigt werden können und einen proportionierten Verzicht einschließen. Durch übermäßiges Fordern erreichen wir dagegen nichts: Sobald der Mensch sich von der Autorität befreien kann, wird er wahrscheinlich aufhören, gut zu handeln.“

Die Familie, so betont Franziskus, sei die „erste Schule der menschlichen Werte“. Doch gemeinsam mit den Synodenvätern hebt der Papst auch die Bedeutung der katholischen Schulen hervor. Sie „üben eine wichtige Funktion aus, wenn es darum geht, die Eltern bei der Aufgabe der Kindererziehung zu unterstützen […]. Die katholischen Schulen sollten in ihrer Sendung ermutigt werden, den Schülern zu helfen, zu reifen Erwachsenen heranzuwachsen, die die Welt durch den Blick der Liebe Jesu sehen können und das Leben als eine Berufung verstehen, Gott zu dienen. Zu diesem Zweck muss mit Entschiedenheit auf der Freiheit der Kirche bestanden werden, ihre eigene Lehre zu vermitteln, sowie auf dem Recht der Erzieher, aus Gewissensgründen Einspruch einzulegen.“ Wir wollen hoffen, dass im Jahr 2024 auch an katholischen Schulen in Deutschland die lebensfreundliche Morallehre der Kirche ungeschmälert unterrichtet wird.

Hinweis: Meinungsbeiträge wie dieser spiegeln die Ansichten der jeweiligen Gast-Autoren wider, nicht notwendigerweise jene der Redaktion von CNA Deutsch.

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