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Die Logik der pastoralen Barmherzigkeit in „Amoris laetitia“

Papst Franziskus

Die Zerbrechlichkeit der Ehe, besonders in der Moderne, ist ein weit verbreitetes Phänomen. Die Frage, ob Gläubige, die das Sakrament einander spenden wollen, wirklich auch sakramentsfähig sind, wird noch immer zu selten diskutiert. Papst Franziskus spricht in „Amoris laetitia“ eine Reihe von Schwierigkeiten und Problemen an, die speziell mit dem „Bruche des Ehebandes“ verbunden sind.

Die Kirche sei, so der Papst, ein „Feldlazarett“, doch zunächst würdigt er das Sakrament der Ehe: „Die christliche Ehe, ein Abglanz der Vereinigung Christi und seiner Kirche, wird voll verwirklicht in der Vereinigung zwischen einem Mann und einer Frau, die sich in ausschließlicher Liebe und freier Treue einander schenken, einander gehören bis zum Tod, sich öffnen für die Weitergabe des Lebens und geheiligt sind durch das Sakrament. Dieses Sakrament schenkt ihnen die Gnade, um eine Hauskirche zu bilden und ein Ferment neuen Lebens für die Gesellschaft zu sein. Andere Formen der Vereinigung widersprechen diesem Ideal von Grund auf, doch manche verwirklichen es zumindest teilweise und analog.“

Die Förderung der christlichen Ehe ist eine wesentliche Aufgabe der Hirten in der Seelsorge, aber auch die Begleitung jener Menschen, die nicht oder nicht mehr im Sakrament der Ehe verbunden sind. In Gemeinschaft mit den Synodenvätern erinnert Franziskus an den besonderen Wert der Barmherzigkeit. Verurteilungen der komplexen Situationen, in denen Menschen leben, seien zu vermeiden: „Es geht darum, alle einzugliedern; man muss jedem Einzelnen helfen, seinen eigenen Weg zu finden, an der kirchlichen Gemeinschaft teilzuhaben, damit er sich als Empfänger einer ‚unverdienten, bedingungslosen und gegenleistungsfreien‘ Barmherzigkeit empfindet. Niemand darf auf ewig verurteilt werden, denn das ist nicht die Logik des Evangeliums! Ich beziehe mich nicht nur auf die Geschiedenen in einer neuen Verbindung, sondern auf alle, in welcher Situation auch immer sie sich befinden. Selbstverständlich kann jemand, wenn er eine objektive Sünde zur Schau stellt, als sei sie Teil des christlichen Ideals, oder wenn er etwas durchsetzen will, was sich von der Lehre der Kirche unterscheidet, nicht den Anspruch erheben, Katechese zu halten oder zu predigen, und in diesem Sinn gibt es etwas, das ihn von der Gemeinschaft trennt (vgl. Mt 18,17). Er muss erneut der Verkündigung des Evangeliums und der Einladung zur Umkehr Gehör schenken.“

Papst Franziskus wirbt für pastorale Sicht- und Zugangsweisen und nimmt besonders die „Geschiedenen in einer neuen Verbindung“ in den Blick. Doch es gibt auch „irreguläre Situationen“. Wie ist damit umzugehen? Franziskus führt aus: „Um in rechter Weise zu verstehen, warum in einigen sogenannten ‚irregulären‘ Situationen eine besondere Unterscheidung möglich und notwendig ist, gibt es einen Punkt, der immer berücksichtigt werden muss, damit niemals der Gedanke aufkommen kann, man beabsichtige, die Anforderungen des Evangeliums zu schmälern. Die Kirche ist im Besitz einer soliden Reflexion über die mildernden Bedingungen und Umstände. Daher ist es nicht mehr möglich zu behaupten, dass alle, die in irgendeiner sogenannten ‚irregulären‘ Situation leben, sich in einem Zustand der Todsünde befinden und die heiligmachende Gnade verloren haben. Die Einschränkungen haben nicht nur mit einer eventuellen Unkenntnis der Norm zu tun. Ein Mensch kann, obwohl er die Norm genau kennt, große Schwierigkeiten haben ‚im Verstehen der Werte, um die es in der sittlichen Norm geht‘ oder er kann sich in einer konkreten Lage befinden, die ihm nicht erlaubt, anders zu handeln und andere Entscheidungen zu treffen, ohne eine neue Schuld auf sich zu laden.“

Franziskus erinnert an die Gewissensbildung. Er weist darauf hin, dass es Situationen gebe, die „objektiv nicht den generellen Anforderungen des Evangeliums entsprechen“, aber dass auch eine Offenheit für „neue Phasen des Wachstums und für neue Entscheidungen, die erlauben, das Ideal auf vollkommenere Weise zu verwirklichen“ bestünden: „Es ist kleinlich, nur bei der Erwägung stehen zu bleiben, ob das Handeln einer Person einem Gesetz oder einer allgemeinen Norm entspricht oder nicht, denn das reicht nicht aus, um eine völlige Treue gegenüber Gott im konkreten Leben eines Menschen zu erkennen und sicherzustellen.“ Besondere Situationen sollten nicht dazu dienen, eine „unerträgliche Kasuistik“ durchzuexerzieren: „Daher darf ein Hirte sich nicht damit zufrieden geben, gegenüber denen, die in ‚irregulären‘ Situationen leben, nur moralische Gesetze anzuwenden, als seien es Felsblöcke, die man auf das Leben von Menschen wirft. Das ist der Fall der verschlossenen Herzen, die sich sogar hinter der Lehre der Kirche zu verstecken pflegen, ‚um sich auf den Stuhl des Mose zu setzen und – manchmal von oben herab und mit Oberflächlichkeit – über die schwierigen Fälle und die verletzten Familien zu richten‘.“

Franziskus wirbt für die „Unterscheidung“ und legt dar: „In dem Glauben, dass alles weiß oder schwarz ist, versperren wir manchmal den Weg der Gnade und des Wachstums und nehmen den Mut für Wege der Heiligung, die Gott verherrlichen.“ Er benennt darum eine „Logik der pastoralen Barmherzigkeit“, die auch die Ehe stärken, nicht schwächen soll: „Lauheit, jegliche Form von Relativismus oder übertriebener Respekt im Augenblick des Vorlegens wären ein Mangel an Treue gegenüber dem Evangelium und auch ein Mangel an Liebe der Kirche zu den jungen Menschen selbst. Außergewöhnliche Situationen zu verstehen bedeutet niemals, das Licht des vollkommeneren Ideals zu verdunkeln, und auch nicht, weniger anzuempfehlen als das, was Jesus dem Menschen anbietet. Wichtiger als eine Seelsorge für die Gescheiterten ist heute das pastorale Bemühen, die Ehen zu festigen und so den Brüchen zuvorzukommen.“ Die Kirche sei keine „Zollstation“.

Besonders an die Moraltheologen sind die folgenden Überlegungen des Papstes adressiert: „Die Lehre der Moraltheologie dürfte nicht aufhören, diese Betrachtungen in sich aufzunehmen, denn obschon es zutrifft, dass auf die unverkürzte Vollständigkeit der Morallehre der Kirche zu achten ist, muss man besondere Achtsamkeit darauf verwenden, die höchsten und zentralsten Werte des Evangeliums hervorzuheben und zu ihnen zu ermutigen, speziell den Primat der Liebe als Antwort auf die ungeschuldete Initiative der Liebe Gottes. Manchmal fällt es uns schwer, der bedingungslosen Liebe in der Seelsorge Raum zu geben. Wir stellen der Barmherzigkeit so viele Bedingungen, dass wir sie gleichsam aushöhlen und sie um ihren konkreten Sinn und ihre reale Bedeutung bringen, und das ist die übelste Weise, das Evangelium zu verflüssigen. Es ist zum Beispiel wahr, dass die Barmherzigkeit die Gerechtigkeit und die Wahrheit nicht ausschließt, vor allem aber müssen wir erklären, dass die Barmherzigkeit die Fülle der Gerechtigkeit und die leuchtendste Bekundung der Wahrheit Gottes ist.“

Es sei die Aufgabe der Hirten, nicht eine „kalte Schreibtisch-Moral“ an die erste Stelle zu setzen, sondern sich in die „pastorale Unterscheidung voll barmherziger Liebe“ zu begeben: „Ich lade die Gläubigen, die in komplexen Situationen leben, ein, vertrauensvoll auf ein Gespräch mit ihren Hirten oder mit anderen Laien zuzugehen, die ihr Leben dem Herrn geschenkt haben. Nicht immer werden sie bei ihnen die Bestätigung ihrer eigenen Vorstellungen und Wünsche finden, doch sicher werden sie ein Licht empfangen, das ihnen erlaubt, ihre Situation besser zu verstehen, und sie werden einen Weg der persönlichen Reifung entdecken. Und ich lade die Hirten ein, liebevoll und gelassen zuzuhören, mit dem aufrichtigen Wunsch, mitten in das Drama der Menschen einzutreten und ihren Gesichtspunkt zu verstehen, um ihnen zu helfen, besser zu leben und ihren eigenen Ort in der Kirche zu erkennen.“

Wer diese Gedanken von Papst Franziskus verkürzt und auf eine Entweder-oder-Frage nach der Zulassung wiederverheiratet Geschiedener zum Sakrament der Eucharistie zusammenstutzt, der zieht holzschnittartige Entscheidungen pastoralen Unterscheidungen vor. Wer aber die Morallehre der Kirche auf eine bloße, überkommene oder subjektive Meinung verkürzt und eine pastorale Indifferenz mit dem Namen „Barmherzigkeit“ etikettiert, der handelt nicht im Sinne von Papst Franziskus.

Hinweis: Meinungsbeiträge wie dieser spiegeln die Ansichten der jeweiligen Gast-Autoren wider, nicht notwendigerweise jene der Redaktion von CNA Deutsch.

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