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Gottes weihnachtliche Vorliebe zum Kleinen: Eine Predigt von Kardinal Kurt Koch

Kardinal Kurt Koch

CNA Deutsch dokumentiert im Wortlaut die Weihnachtspredigt von Kurienkardinal Kurt Koch am Campo Santo Teutonico im Vatikan:

Ein Fest im Zeichen des Kindes

Weihnachten ist in der heutigen Gesellschaft ohne Zweifel das Fest der Christenheit, das bei den Menschen am weitesten verbreitet und am beliebtesten ist. Die Menschen werden von den Symbolen und Ritualen dieses Festes berührt, und zwar unabhängig von ihrer weltanschaulichen Position, ihrer Religion und ihrer Zugehörigkeit zur Kirche. Alle Menschen feiern auf ihre Weise Weihnachten: Für die einen ist dieses Fest der Inbegriff von Freude und Zufriedenheit, für andere Menschen ist Weihnachten immer wieder die Zeit, in der sie ihre Not und Einsamkeit am deutlichsten spüren und deshalb vor den weihnächtlichen Festtagen Angst haben. Weihnachten zieht alle so sehr in seinen Bann, dass eigentlich niemand Weihnachten nicht feiern kann.

Dies dürfte damit zusammenhängen, dass im Mittelpunkt dieses Festes ein Kind steht. Denn es ist gerade die Kleinheit und Unberührtheit eines Kindes, die uns Menschen unmittelbar anrührt. Der Anblick eines Kindes geht uns zu Herzen. In der Begegnung mit einem Kind, zumal einem neu geborenen, werden wir der eigenen Geschöpflichkeit und Verletzbarkeit ansichtig. Wir spüren instinktiv, dass das Kind unsere eigene Angewiesenheit und Bedürftigkeit lebt, die wir als erwachsene Menschen freilich so gerne verstecken oder verdrängen.

Weil ein Kind jeden Menschen unmittelbar berührt, hat Gott die Gestalt des Kindes gewählt, um sich uns zu offenbaren und um uns nahe sein zu können. Der unendliche, erhabene und unfassbare Gott wird greifbar in der Armut und Ohnmacht eines Kindes. Größer könnte der Abgrund gar nicht sein, der zwischen der Ewigkeit Gottes und der Geschöpflichkeit eines Kindes besteht! Doch diesen Abgrund hat Gott ein für allemal überbrückt mit der Kindwerdung seines eigenen Sohnes. Jesus Christus ist deshalb der wahre Brückenbauer zwischen Gott und Mensch und der wahre Pontifex zwischen Himmel und Erde. Ja, Jesus Christus selbst ist die Brücke, die uns einlädt, sie zu begehen und auf ihr dem Gott entgegenzugehen, der uns zuerst entgegengekommen ist.

Das Weihnachtsfest lädt uns ein, unseren Blick ganz auf das Geheimnis der Menschwerdung des Gottessohnes in der Gestalt des Kindes zu richten. Denn dieses Kind hat Gott ausersehen, um sich uns Menschen zu offenbaren. Mit diesem Kind will uns Gott seine ganze Liebe erweisen und zugleich zeigen, wie er selbst ist. Denn das Kind in der Krippe ist das Ziel des ganzen Weges, den Gott mit uns Menschen gegangen ist und auch heute geht. Dieser Weg besteht darin, dass Gott immer das Kleine und Unscheinbare gewählt hat, um uns Menschen sich selbst zu geben.

Gottes Wahl für das Kleine

Das Wählen des Kleinen ist charakteristisch für die Geschichte Gottes mit uns Menschen. Diese Geschichte beginnt schon damit, dass Gott die Erde zum Schauplatz seines rettenden Handelns ausgewählt hat. Angesichts der unermesslichen und unfassbaren Weite des Kosmos mit seiner unendlichen Vielzahl von Planeten und Galaxien erscheint es fast zufällig und willkürlich, dass Gott unsere Erde auserwählt hat, um seine Geschichte mit uns Menschen zu führen. Gottes Wählen für das Kleine hat ihn aber für die Erde entscheiden lassen, um sich uns Menschen schenken zu können.

Auf dieser kleinen Erde hat Gott Israel, ein politisch praktisch machtloses Volk, dazu auserwählt, der entscheidende Träger seiner Geschichte mit uns Menschen zu sein. Angesichts der Vielzahl von viel potenteren Völkern scheint die Wahl Gottes für Israel beinahe abenteuerlich. Das Alte Testament zeigt denn auch, dass die Wahl Israels für Gott voller Risikos gewesen ist. Doch auch hier hat sich Gott für das Kleine entschieden und ist mit seinem Volk den Weg durch die Geschichte gegangen.

In Israel ist es Betlehem, ein Ort außerhalb der Stadt Jerusalem, den Gott gewählt hat, um uns Menschen nahe zu sein. Die Wahl Betlehems erscheint vollends waghalsig, wie der weitere Verlauf der Weihnachtsgeschichte zeigt. Denn kaum ist das Kind Jesus geboren, droht ihm von den Mächtigen seiner Zeit bereits Gefahr für Leib und Leben, und es findet Rettung allein auf den Armen von Josef und Maria. Und selbst die Geburt Jesu übertrifft alle Kleinheit unserer Welt.

In Jesus und seiner Geburt in Betlehem findet Gottes Wahl für das Kleine seinen unüberbietbaren Höhepunkt. Darin zeigt das Handeln Gottes in der Welt seine klare und eindeutige Linie. An Weihnachten wird vollends offenbar, dass es die Größe Gottes ausmacht, dass er sich ganz klein machen kann. Darin besteht die Kernmitte des weihnächtlichen Glaubens an die Menschwerdung des Sohnes Gottes, wie sie der katholische Schweizer Theologe Hans Urs von Balthasar treffend einmal so formuliert hat: „Das Tiefste am Christentum ist die Liebe Gottes zur Erde. Dass Gott in seinem Himmel reich ist, wissen andere Religionen auch. Dass er zusammen mit seinen Geschöpfen arm sein wollte, dass er in seinem Himmel an seiner Welt leiden wollte, ja gelitten hat und durch seine Menschwerdung sich instand setzte, dieses sein Leiden der Liebe seinen Geschöpfen zu beweisen; das ist das Unerhörte bisher.“

Weihnachtliche Herausforderung des Glaubens

Dass dieses „Unerhörte bisher“ wirklich geworden ist, davon zeugt Weihnachten. Dieses Fest stellt uns Christen und Christinnen vor die alles entscheidende Frage, ob wir dies denn wirklich zu glauben vermögen, dass Christus der wahre Sohn Gottes ist, dass in ihm wirklich Gott als Mensch unter uns gegenwärtig ist und dass er folglich der entscheidende Weg zu Gott ist.

In diesem Glauben steckt eine große Herausforderung, zumal in der heutigen Zeit. Denn man wäre blind, wenn man nicht sehen würde, dass dieser erzchristliche Glaube zur weit verbreiteten Tendenz in der heutigen Welt und teilweise auch in der Kirche quer steht, die sich schwer damit tun, in Jesus Christus die Offenbarung Gottes schlechthin zu sehen. Man erblickt in Jesus vielmehr nur eine Offenbarungsgestalt unter vielen anderen, und zwar in der Annahme, dass das Geheimnis Gottes sich in keiner Offenbarungsgestalt ganz zeigen könne. So behaupten heute etwelche religionspluralistische Theologen, dass es unmöglich sei, dass sich Gott selbst in der historischen Gestalt Jesus von Nazareth endgültig geoffenbart habe, dass er sich in ihm höchstens für uns Menschen in Europa gezeigt habe. Dementsprechend gebe es nicht nur eine Vielfalt von Religionen, sondern auch eine Pluralität von Offenbarungen Gottes, und demgemäß sei Jesus Christus ein religiöses Genie neben vielen anderen.

Diese Tendenzen machen eine Grundannahme des modernen Menschen sichtbar, die davon ausgeht, dass wir Gott selbst nicht erkennen können, dass vielmehr auch der christliche Glaube nur eine symbolische Darstellung Gottes unter vielen anderen bietet. Hier liegt der Grund, dass man den Christusglauben möglichst klein schreiben möchte, zumal in der Begegnung mit anderen Religionen.

Mit der Bestreitung, dass Jesus Christus der eine und einzige und damit zugleich universale Mittler des Heils für alle Menschen ist, ist der wohl zentralste und fundamentalste Punkt des christlichen Glaubens berührt. Denn dabei steht die Identität des Christentums und der christlichen Kirche auf dem Spiel, wie sie an Weihnachten offenbar geworden ist. In der Kindwerdung des Sohnes Gottes ist überdeutlich geworden, dass Gott ein ganz konkreter Gott ist, dass er in Jesus Christus ganz leibhaft geworden und dass sein Geheimnis in dieser Konkretheit keineswegs kleiner, sondern noch viel größer geworden ist.

(Die Geschichte geht unten weiter)

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Heruntersteigende Liebe Gottes

An Weihnachten sind wir herausgefordert, Christus in seiner ganzen Größe wahrzunehmen und an ihn zu glauben. Die Botschaft, dass Gottes Größe gerade darin besteht, dass er sich ganz klein machen kann, dürfen wir der heutigen Welt nicht vorenthalten. Denn diese Botschaft ist vernünftig, weil sie teilhat an jenem Wort, von dem wir im Evangelium gehört haben und das Jesus Christus selbst ist.

Mit dieser Botschaft gibt Gott selbst Antwort auf unsere urmenschliche Versuchung des Hochmutes. Er ist im Grunde die Wurzel der menschlichen Sünde, die im Kern darin besteht, sich selbst zu Gott machen zu wollen. Demgegenüber zeigt sich wahre Liebe darin, dass sie sich nicht erhebt, sondern heruntersteigt. Die Liebe Gottes, wie sie an Weihnachten offenbar ist, bringt es an den Tag, „dass gerade das Heruntersteigen der eigentliche Aufstieg ist“. Gott macht sich an Weihnachten klein, um den hochmütigen Menschen wieder in das rechte Maß zurückzubringen.

Dieses Gesetz des Kleinseins gilt deshalb auch für uns Menschen, wenn wir es Gott gleich tun und gerade dadurch groß werden, dass wir uns klein machen für andere. Auch wir kommen in die Höhe, und zwar in die Höhe Gottes, wenn wir herunterkommen und einfach werden und wenn wir uns zu den Armen und Leidenden herunterbeugen, wie es Gott selbst im Kind in der Krippe getan hat.

Wenn wir in diese Bewegung Gottes einsteigen, werden wir verspüren, dass wir an Weihnachten nicht einfach die Geburt irgendeines Kindes feiern, sondern die Geburt jenes Kindes, in dem Gott selbst konkret geworden ist, um uns Menschen die Hand des Friedens und der Versöhnung zu reichen. Nehmen wir diese uns dargebotene Hand Gottes dankbar an! Dann kann es wirklich Weihnacht werden, die ich Ihnen von Herzen wünsche: Ein von Gott gesegnetes und gnadenreiches Weihnachtsfest im begonnenen Heiligen Jahr 2025. Amen.

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