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Ein bayerischer Konstantin?

Nicht Markus Söder, sondern Kaiser Konstantin, dargestellt auf einer historischen Statue aus dem Museum am Kapitol in Rom.

Die Aufregung um das vom Bayerischen Kabinett beschlossene Aufhängen des Kreuzes im Eingangsbereich von Dienstgebäuden erscheint übertrieben. In diesem Zusammenhang von Häresie und Blasphemie zu sprechen ist völlig abwegig. Generell wird die Konstantinische Wende von Theologen seit den 1960-er Jahren zu kritisch gesehen. Als Römer wusste Konstantin, dass ein politisches Gemeinwesen ohne metaphysisch-religiöses Fundament auf Dauer keinen Bestand haben kann. Er sah ein, dass die altrömische Religion dazu nicht mehr in der Lage war. Das Christentum hatte sich als eine gesellschaftlich prägende Kraft in der Antike über einen Zeitraum von gut dreihundert Jahren bewährt. Warum sollte es nicht auch in der Lage sein, einen Beitrag zur normativen Grundlegung eines Staates zu leisten? Zwar zielt Jesu Botschaft nicht auf die Gründung eines Staates, sie verwirft den Staat aber auch nicht als ein prinzipiell gottloses Gebilde. Paulus erwartet von den Christen, dass sie die Gesetze des Staates, in dem sie leben, achten. In seiner Ermahnung setzt er voraus, dass sich der Staat bei der Anwendung von Gewalt an das Recht hält (Röm 13,1-7). Unrechtmäßige Gewalt (violentia) soll durch rechtmäßige Gewalt (potestas) in Grenzen gehalten werden. Damit steht Paulus in gut biblischer Tradition. Die Eingrenzung unrechtmäßiger Gewalt durch rechtmäßige Gewalt gehört nach Auskunft der Bibel zu den normativen Grundlagen eines Rechtsstaates (vgl. Gen 9,5-6; Ri 17-21). Wenn sich nun ein Staat dazu bekennt, seine normativen Grundlagen vom christlichen Glauben her prägen und diese Bereitschaft auch öffentlich symbolisch sichtbar werden zu lassen, dann ist dagegen weder aus christlicher noch aus staatspolitischer Sicht grundsätzlich etwas einzuwenden.

Streng laizistische Staatskonzeptionen sind, wie das französische Beispiel zeigt, besonders krisenanfällig. Es dürfte kein Zufall sein, dass sich französische Politiker in jüngster Zeit Gedanken machen, ob die bisweilen militant laizistische Ausrichtung des französischen Staates angesichts der wachsenden Bedeutung von Religionen noch zeitgemäß ist. Es widerspricht dem Selbstverständnis wohl der meisten Religionen, wenn sie aus dem Raum der Öffentlichkeit und der Gestaltung des gesellschaftlichen und staatlichen Lebens ausgeschlossen werden. Der radikale, sich auf eine einseitige Interpretation der Französischen Revolution berufende westlich-laizistische Weg scheint ein Sonderweg zu sein, der an Grenzen stößt und für viele Kulturen der Welt nicht in Frage kommt. Dieser Weg weist selbst in einigen seiner Ausprägungen religiös-fanatische Züge auf. Wer meint, er könne das Bekenntnis zur Bibel durch ein Bekenntnis zur Französischen Revolution ersetzen, sei daran erinnert, dass nicht nur der Terror, sondern auch die Legitimation des Terrors zu den Begleiterscheinungen der Französischen Revolution gehörten. Ihr fielen allein in der Vendée rund 200.000 Katholiken zum Opfer. Einige Historiker sprechen von einem Genozid. Die Französische Revolution wurde damit zwar nicht nur, aber doch auch zu einer Vorläuferin des Terrors des 20. Jahrhunderts, eine ihrer dunklen Seiten, die oft übersehen wird.

Israel versteht sich als eine jüdische Demokratie. Alle im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien haben sich jüngst zum Existenzrecht dieses jüdischen Staates bekannt. Jüdischer Staat heißt aber nicht, dass darin andere Religionen benachteiligt oder gar verfolgt werden. Ein Staat, der sich in besonderer Weise dem normativen Gehalt einer Religion verpflichtet weiß und sich dazu auch in symbolischer Weise öffentlich bekennt, wie etwa der Staat Israel in seiner Staatsflagge mit dem Davidstern oder in öffentlichen Gebäuden mit dem Anbringen der Mesusa, muss also keineswegs notwendigerweise zu religiöser Intoleranz führen. Im Gegenteil könnten in einer Zeit,  da die Bedeutung der Religionen wächst, ein lebendiger Wettbewerb zwischen ihnen in dem Sinne stattfinden, dass sie auf ihre je eigene Weise einen Beitrag zur Humanisierung der Gesellschaft und der Staaten und ihrer Beziehungen untereinander leisten. Eine Ansammlung laizistischer Einheitsstaaten nach westlich-säkularistischem Kanon scheint mir kein reizvoller Ausblick auf die Zukunft zu sein.

Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung von Ministerpräsident Söder keineswegs so abwegig wie von manchen Eiferern behauptet wird. Gerade der universale Anspruch des christlichen Glaubens kann den Freistaat Bayern vor den Gefahren einer Provinzialisierung bewahren. In diesem offenen Sinn von "Menschenwürde, Nächstenliebe und Toleranz" hat Markus Söder den Beschluss interpretiert. Es besteht nicht die Gefahr, dass Bayern seine Weltoffenheit und Toleranz verliert. Das Land ist nach wie vor höchst attraktiv und bei vielen Menschen, Einheimischen wie Zugereisten, sehr beliebt. Es hat Großes bei der Aufnahme von Flüchtlingen geleistet und tut es noch immer. Es widerspricht nicht der christlichen Botschaft, wenn auch Politiker zu der Einsicht gelangen, die der frühere Bundespräsident Joachim Gauck in einem Vortrag an der Universität Bochum kürzlich zur Flüchtlingspolitik wie folgt zum Ausdruck gebracht hat: "Wer ernsthaft über Begrenzung nachdenkt, muss daher keineswegs ein Gegner menschenrechtlicher Politik sein."

Ludger Schwienhorst-Schönberger ist katholischer Theologe und Universitätsprofessor für Alttestamentliche Bibelwissenschaft an der Universität Wien.

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