Utrecht, 20 Mai, 2023 / 3:00 PM
Kardinal Wilhelm Jacobus Eijk hat keine Zweifel: Die Verbreitung neuer Dienste und Angebote künstlicher Intelligenz erfordert eine Reaktion und Betrachtung von Seiten der katholischen Kirche.
Eijk ist nicht nur Kardinal und Erzbischof, sondern auch ausgebildeter Arzt und Experte für Sexualität und Bioethik. Für ihn steht fest: Einerseits ist es notwendig, dass die Kirche auch präsent ist für Chatbots wie ChatGPT oder Googles Bard, ja, sie zu "evangelisieren", damit die Antworten auch den religiösen Gesichtspunkt einbeziehen, so der Kardinal-Erzbischof von Utrecht (Niederlande). Andererseits bedarf es einer umfassenderen Betrachtung der Auswirkungen der künstlichen Intelligenz und insbesondere der Frage, wie sich der Einsatz von KI auch im Bereich der Seelsorge und der medizinischen Pflege und Versorgung auf die Art und Weise auswirkt, wie Gesellschaften den Menschen wahrnehmen.
Er hat diese Fragen in einem Interview mit der ACI-Gruppe der Nachrichtenagenturen, zu denen CNA Deutsch gehört, am 26. Mai angesprochen.
Der Kardinal, der dafür bekannt ist, dass er eine kirchliche Klärung des Themas Gender-Ideologie gefordert hat, ist überzeugt: Die Kirche muss sich auch mit einem offiziellen Dokument zu den Auswirkungen der künstlichen Intelligenz auf den Menschen äußern. Gleichzeitig sagte er, dass die Zeit noch nicht reif sei, weil es einer viel umfassenderen Betrachtung bedürfe.
"Es ist schwierig, einen Überblick über all das zu bekommen, was künstliche Intelligenz für uns tun kann, weil sie noch ein wenig bekanntes Feld ist. Aber Technologien der künstlichen Intelligenz, wie Chatbots, können auch etwas über religiöse Fragen aussagen".
Der Erzbischof von Utrecht sagte, dass er in einer Predigt ein Beispiel anführte, das er in einem Buch gelesen hatte, und sich auf Thomas von Aquin bezog: "Ein Diakon aus meiner Erzdiözese, der auch Dogmatikprofessor an unserer theologischen Fakultät in Utrecht ist, konnte sich jedoch nicht daran erinnern, diese Geschichte über Thomas von Aquin gehört zu haben. Also fragte ein junger Priester einen Chatbot, und der antwortete, das Beispiel stamme von St. Albert dem Großen und nicht von St. Thomas von Aquin.
"Was ist also die Wahrheit? Die Antwort des Chatbots resultiert aus einer Berechnung der künstlichen Intelligenz. Das bedeutet aber auch, dass das Hinzufügen von vielen religiösen Informationen zu Chatbots die Antworten beeinflussen kann. Dafür müssen wir versuchen, auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz präsent zu sein".
Auch wenn KI viel mehr kann als "nur" Text: Chatbots als textbasierte Dialogsysteme machen derzeit Furore. Sie werden für Zwecke wie Online-Ratgeber oder FAQs verwendet und haben inzwischen ein solches Maß an Interaktion erreicht, dass sie antworten können, indem sie Daten sammeln und diese mit Hilfe von Anwendungen der künstlichen Intelligenz in eine Reihenfolge oder einen Kontext bringen.
Ein prominentes Beispiel ist "Bing" von Microsoft, das mit KI-Technologie von der Suchmaschine zum Chatbot mit Internetzugang evolviert it.
Chatbots wie Bing oder Bard sind problemlos in der Lage, Gespräche mit Heiligen zu simulieren, basierend auf den Informationen, die über das Leben und die Worte der Heiligen verbreitet werden.
Kardinal Eijk räumt ein, dass eine gewisse Vorsicht geboten ist, aber gleichzeitig gilt: "Wenn wir zu lange warten, werden andere mehr Informationen eingegeben haben, die die Antworten bestimmen werden. Wir müssen also nicht lange warten, um auf diesem Gebiet aktiv zu werden. Wir kennen die Folgen des weit verbreiteten Einsatzes von Chatbot-Software nicht, aber wir können bereits ein bestimmtes Szenario vorhersehen. Es heißt, dass diese Software Fehler macht, aber wie werden sie in 10, 20 oder sogar fünf Jahren sein? Es wird andere Arten von künstlicher Intelligenz geben, viel stärkere Rechner, die viel präzisere Antworten geben können. Jetzt können wir Einfluss auf die Antworten nehmen."
Der Erzbischof von Utrecht unterstreichte, dass "es verständlich ist, Angst vor der Entwicklung zu haben, denn künstliche Intelligenz kann auch sehr negative Folgen für unsere Gesellschaft haben."
Das KI-Thema, so der Kardinal, berühre nicht nur den Einsatz von Software zur Interaktion, sondern das umfassendere Thema der "Robotisierung unserer Gesellschaft, die zum Verlust vieler Arbeitsplätze führen könnte, vor allem von Menschen, die keine speziellen Studien absolviert haben."
Eijk weiter: "Der Roboter ist letztlich eine Art von Mitarbeiter, der nicht nach einer Einkommenserhöhung fragt, der rund um die Uhr arbeitet, ohne müde zu werden. Das kann unsere Gesellschaft radikal verändern, und ich habe den Eindruck, dass man sich weder in der Kirche noch in der Gesellschaft darüber im Klaren ist, welch tiefgreifende Veränderungen in den nächsten Jahren auf uns zukommen werden".
Eine echte Gefahr sei auch das Risiko eines neuen "Transhumanismus", bei dem der Mensch wie eine Maschine behandelt und wahrgenommen werden kann. So erinnert Kardinal Eijk daran, dass "wir bereits Pflegeheime haben, in denen Roboter das Essen austeilen. Die Essensausgabe an die Kranken war auch der Moment des menschlichen Kontakts mit den Patienten, und der ist bereits verloren gegangen".
Der Übergang von der einfachen Essensverteilung zur Patientenversorgung in einigen praktischen Dingen macht den menschlichen Kontakt immer unmerklicher. Wenn zum Beispiel - so der Kardinal - "sogar ein Roboter einen Patienten aus dem Bett holt und ihn unter die Dusche stellt, dann besteht die Gefahr, dass der menschliche Kontakt ganz verloren geht. Auch weil der Roboter vielleicht anfangs schlecht programmiert ist, nimmt er den Patienten um 3 Uhr morgens und duscht ihn kalt. Doch mit einer verbesserten Software und weniger Fehlern steht diesem Schritt nichts mehr im Wege".
(Die Geschichte geht unten weiter)
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Eijk stellte fest, dass sich diese Veränderungen und Entwicklungen "in einer sehr schnellen Zeit vollziehen" und "es ist kein Zufall, dass selbst Personen wie Elon Musk ein Moratorium für die Entwicklung der KI gefordert haben. Deshalb müssen wir die zukünftigen Auswirkungen dieser Technologien auf die Gesellschaft besser untersuchen".
Wenn alles einem "Algo", also der Berechnung überlassen wird, könnte es sogar leicht werden, über die "Sterbehilfe" — sprich Euthanasie — eines Patienten zu entscheiden, wenn der Roboter, der die Behandlung übernimmt, die Daten auswertet und feststellt, dass die Lebenschancen des Patienten gering sind.
Kardinal Eijk sagte, er halte diese Entwicklung für möglich, denn "Behandlungen sind kostspielig, und die Regierungen geben einen Großteil der Steuergelder für die Pflege der Menschen aus, aber irgendwann wird es schwierig, das aufrechtzuerhalten. An diesem Punkt wird es also einen sozialen Druck geben, diese Roboter einzuführen, automatische Maschinen, die von einer sehr ausgeklügelten Software gesteuert werden und die notwendige Pflege leisten können."
Diese Situation have auch noch andere Auswirkungen, wie das Gefühl der Einsamkeit und des Verlassenseins der so behandelten Patienten, denn "wenn sie in isolierten Häusern und in der Einsamkeit leben, verlieren sie jede Art von menschlichem Kontakt."
Daher ist es notwendig, "gut nachzudenken, bevor wir all diese Maschinen in unser Leben einführen. Auch wenn diese Maschinen einen sehr positiven Einfluss auf die Pflege haben können, müssen wir ein Gleichgewicht zwischen dem menschlichen und dem mechanischen Element finden."
In einer solchen Welt werde es auch schwieriger, Raum für die vom katholischen Glauben gepredigte "Zivilisation der Liebe" zu finden. Für Kardinal Eijk wird es die Zivilisation der Liebe jedoch immer geben. Der Grund dafür ist, dass "es in der Kirche nicht möglich sein wird, alles zu automatisieren. Ein Priester muss zum Beispiel immer die Liturgie feiern und die Beichte abnehmen. Das sind Tätigkeiten, die nicht durch künstliche Intelligenz ersetzt werden können. Wir können uns zwar vorstellen, dass die Katechese von einem Roboter gehalten wird. Aber das griechische Verb katechezein impliziert den persönlichen Kontakt in der Art und Weise, wie der Glaube an Christus weitergegeben wird. Der Glaube Christi wird mit anderen geteilt und es gibt keinen anderen Weg. Daher glaube ich, dass die Kirche einer der Orte sein wird, an dem das menschliche Element trotz allem auch in Zukunft erhalten bleiben wird".
Im Moment bestehe die Notwendigkeit, zu evangelisieren und diese neuen Orte zu bewohnen.
Eijk betonte: Mit der Zeit "wird ein Dokument notwendig sein, aber es muss gut durchdacht sein. Die Kirche hat schon immer Zeit gebraucht, um über neue Techniken und ihre Entwicklungen nachzudenken. Manchmal hat diese Zeit der Betrachtung viele Jahre gedauert. Zum Beispiel wurde das erste Kind, das mit Hilfe der In-vitro-Fertilisation gezeugt wurde, 1978 geboren; die Instruktion der Glaubenskongregation zu diesem Thema, Fidei Donum, kam erst 1987, neun Jahre später. Das kirchliche Lehramt hatte bereits in den 1950er Jahren die Antworten von Pius XII. auf die Frage der künstlichen Befruchtung, aber es blieb eine Debatte. Aus diesem Grund ist es jetzt zu früh, ein solches Dokument zu fordern".
Er kommt zu dem Schluss, dass es von entscheidender Bedeutung ist, "zu evangelisieren, aber auch dieses Thema unter Theologen zu diskutieren und dafür zu sorgen, dass die Menschen sich der neuen Techniken bewusst werden. Das wird einige Zeit dauern".
Übersetzt, korrigiert und überarbeitet aus dem englischen Original.
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