Berlin, 21 November, 2024 / 1:00 PM
Ein von Vertretern der SPD und der Grünen am 14. November vorgestellter Gesetzentwurf sieht vor, dass eine Abtreibung auch ohne Beratung für die Frau bis zum Ende der zwölften Schwangerschaftswoche ohne strafrechtliche Folgen bleibt. Nur ein Arzt kann sich strafbar machen, wenn keine Beratung der Schwangeren erfolgt. Viele Rechtsbrüche werden nur noch als Ordnungswidrigkeit mit einem Bußgeld belegt, das gering ausfallen kann. Die dreitägige Wartefrist zwischen Beratung und Abbruch soll gestrichen werden. Abbrüche, denen eine Beratung vorausgegangen ist, verlieren ihren Unrechtscharakter; demnächst könnten sie sogar als rechtmäßig gelten. Und die Krankenkassen sollen in diesen Fällen immer die Kosten übernehmen.
„Wir stellen den Antrag zur Neuregelung von Schwangerschaftsabbrüchen, weil wir davon ausgehen, dass er noch in dieser Legislaturperiode beschlossen werden kann”, erklärten die Grünen-Abgeordnete Ulle Schauws und Carmen Wegge von der SPD gegenüber der Nachrichtenagentur dpa.
Den Gesetzentwurf haben auch Bundeskanzler Olaf Scholz, die beiden SPD-Parteivorsitzenden Saskia Esken und Lars Klingbeil sowie SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich unterschrieben, ebenso die Grünen-Minister Annalena Baerbock und Robert Habeck sowie die Grünen-Fraktionsvorsitzenden Katharina Dröge und Britta Haßelmann. Über die Vorlage soll nach dem Willen der Initiatoren noch vor der Neuwahl des Bundestags am 23. Februar abgestimmt werden. Es handelt sich um einen fraktionsübergreifenden Antrag.
Gleich am nächsten Morgen kündigte CDU-Fraktionschef Friedrich Merz Widerstand an. Bereits vor der Fraktionssitzung erklärte er öffentlich: „Es gibt einen Gruppenantrag aus der SPD und aus der Grünen-Fraktion sowie von Teilen der FDP, den Paragrafen 218 des Strafgesetzbuches abzuschaffen. Ich bin wirklich entsetzt darüber, dass derselbe Bundeskanzler, der immer wieder vom Zusammenhalt, vom Unterhaken und von Gemeinsinn spricht, mit auf der Liste dieses Gruppenantrags mit seiner Unterschrift erscheint. Ich fordere den Bundeskanzler auf, seine Unterschrift zurückzuziehen und ich fordere die restliche Koalition auf, diesen Antrag hier nicht zur Abstimmung zu stellen.“
Anschließend erklärte die familienpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Silvia Breher: „Ein so hoch emotionales Thema, ohne eine angemessene Beratungszeit durch das Parlament zu peitschen, ist verantwortungslos. Unsere Gesellschaft ist in der Frage gespalten. Die Befürworter dieses Antrages provozieren geradezu neue gesellschaftliche Unruhe, die vor allem den Frauen schaden wird, die sich in einem Schwangerschaftskonflikt befinden.“
Der rechtspolitische Sprecher der Union, Günter Krings, fügte hinzu: „Unsere Haltung ist eindeutig: Wir halten uns an die Verfassung, die auch das ungeborene Leben schützt.“ Und: „Die Befürworter dieses Antrags vermeiden eine gründliche Diskussion und wollen das durch den Bundeskanzler verursachte Regierungschaos im Hauruckverfahren für ihre Zwecke nutzen.“
Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende, Dorothee Bär (CSU), erklärte gegenüber der Nachrichtenagentur AFP: „Als CDU/CSU-Bundestagsfraktion werden wir uns mit aller Kraft dagegen wehren.“
Protest kommt auch von der rechtspolitischen Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Katrin Helling-Plahr. Zum juristischen Fachportal LTO sagte die Fachanwältin für Medizin- und Familienrecht: „Ich bin nicht Teil dieser Gruppe von Abgeordneten. Ich halte es überdies für höchst unangebracht, ein so komplexes medizinethisches Thema in so kurzer Zeit behandeln und für den Wahlkampf nutzen zu wollen. Statt nun eine Abstimmung übers Knie zu brechen, bräuchte es eine breite gesellschaftliche Debatte, um diesem Thema gerecht zu werden.”
Laut LTO unterstützt Frauenministerin Lisa Paus ebenfalls den Gruppenantrag. Frauen müssten eigenständig und selbstbestimmt über den Umgang mit der Schwangerschaft entscheiden können – „und zwar ohne kriminalisiert zu werden“, sagte die Grünen-Politikerin.
Damit geht die Bundesministerin auf Kollisionskurs zum geltenden Verfassungsrecht. In seiner Grundsatzentscheidung hatte das Bundesverfassungsgericht am 25. Februar 1975 erklärt: „1. Das sich im Mutterleib entwickelnde Leben steht als selbständiges Rechtsgut unter dem Schutz der Verfassung (Art. 2 Abs. 2 Satz 1, Art. 1 Abs. 1 GG). Die Schutzpflicht des Staates verbietet nicht nur unmittelbare staatliche Eingriffe in das sich entwickelnde Leben, sondern gebietet dem Staat auch, sich schützend und fördernd vor dieses Leben zu stellen. 2. Die Verpflichtung des Staates, das sich entwickelnde Leben in Schutz zu nehmen, besteht auch gegenüber der Mutter. 3. Der Lebensschutz der Leibesfrucht genießt grundsätzlich für die gesamte Dauer der Schwangerschaft Vorrang vor dem Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren und darf nicht für eine bestimmte Frist in Frage gestellt werden.“
Nach dem Stopp aus Karlsruhe hatte der Gesetzgeber eine Regelung geschaffen, welche vorgibt, die Rechte beider Betroffener zu berücksichtigen. Kern des Konzeptes ist eine Beratungspflicht, welche der Schwangeren nicht mehr zumutet, als sich mit dem Lebensrecht des ungeborenen Kindes auseinander zu setzen. Faktisch liegt die Entscheidung über eine vorgeburtliche Kindstötung bereits heute bei der Mutter, wenn sie sich an die Regularien hält: Abbruch in den ersten 12 Wochen, Beratung und dann frühestens Abtreibung drei Tage später durch einen Arzt.
Jede Fristenregelung, die keine Rücksicht auf das Leben des ungeborenen Kindes nimmt und von einer Abwägung absieht, ist allerdings verfassungswidrig. Ein späteres Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 28. Mai 1993 hat diese Rechtsprechung bestätigt. Deshalb steht der Vorwurf im Raum, dass der Gruppenantrag im Bundestag trotz Kenntnis der Rechtslage einen Bruch des geltenden Verfassungsrechtes plant. Auch neuere juristische Literatur kommt zu diesem Ergebnis.
Patrick Heinemann sieht in dem Versuch zur weitgehenden Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs „gefährliche Relativierungen von Lebens- und Menschenwürdeschutz“. In dem Juristen-Fachportal LTO spricht er von einer gefährlichen „Relativierung der Menschenwürde“. Den Abschlussbericht der Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin der Bundesregierung kommentierte er mit den Worten: „Ein derart abgestuftes Schutzmodell überzeugt mich nicht. Grundrechte gelten oder sie gelten nicht.“ Er sieht darin den Versuch, „ein vorbehaltloses Recht auf den Schwangerschaftsabbruch verfassungsrechtlich herleiten zu wollen“.
Der Bericht der von der Bundesregierung beauftragten Kommission, der bereits im April vorgelegt wurde, führe „schwere Schläge nicht nur gegen den Lebens-, sondern auch gegen den Würdeschutz des Nasciturus“ (des ungeborenen Kindes). Unter dem Grundgesetz könne es kein menschliches Leben ohne Würde geben. Vielmehr stellte Heinemann die Frage, „ob nicht jeder Versuch einer Relativierung der Menschenwürde – sei es auch durch das Bundesverfassungsgericht selbst – besser zurückgewiesen gehört“.
Dann hob er hervor: „Das Bundesverfassungsgericht geht in seiner früheren Rechtsprechung zum Schwangerschaftsabbruch sogar soweit, dass der Lebensschutz der Leibesfrucht für die gesamte Dauer der Schwangerschaft grundsätzlich Vorrang vor dem Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren genießt und daher insbesondere nicht für eine bestimmte Frist in Frage gestellt werden darf“ (BVerfGE 39, 1).
Abschließend wies er auf die Ewigkeitsgarantie des Grundgesetzes (Art. 79 Abs. 3 GG) hin, wonach der Schutz der Menschenwürde nicht einmal mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit aus dem Grundgesetz entfernt werden dürfe. Und er resümiert, dass es dem Kommissionsbericht offenbar nicht gelungen sei, gesellschaftliche Mehrheitserwartungen in Einklang mit dem Grundgesetz zu bringen.
(Die Geschichte geht unten weiter)
Erhalten Sie Top-Nachrichten von CNA Deutsch direkt via WhatsApp und Telegram.
Schluss mit der Suche nach katholischen Nachrichten – Hier kommen sie zu Ihnen.
In einem zweiten Gesetzentwurf mit der Überschrift „Versorgungslage von ungewollt Schwangeren verbessern“ fordert die fraktionsübergreifende Gruppe im Bundestag dazu auf, die Versorgungslage für abtreibungswillige Frauen zu verbessern und ihnen das gesetzliche Recht auf Methodenwahl bei einem Schwangerschaftsabbruch zu garantieren. Medikamentöse Abtreibungen und eine telemedizinische Behandlung sollen rechtssicher durchgeführt werden können. Krankenhäuser mit Gynäkologie sollen gezwungen sein, entweder selbst Abtreibungen durchzuführen oder an geeignete Stellen weiterleiten. Das Erlernen von Schwangerschaftsabbrüchen soll zudem in der ärztlichen Aus- und Weiterbildung verbindlich verankert werden.
Die Bundesregierung und die Länder hätten ferner „Sorge zu tragen, dass gegen rechtswidrige Gehsteigbelästigungen von Abtreibungsgegnerinnen und Abtreibungsgegnern vor Beratungseinrichtungen sowie Arztpraxen und Kliniken, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten Maßnahmen ergriffen werden“. Die Deutsche Bischofskonferenz hat bislang noch keine eigene Presseerklärung zu den beiden Gesetzentwürfen veröffentlicht.
Unsere Mission ist die Wahrheit. Schließen Sie sich uns an!
Ihre monatliche Spende wird unserem Team helfen, weiterhin die Wahrheit zu berichten, mit Fairness, Integrität und Treue zu Jesus Christus und seiner Kirche.
SpendenDie Besten katholischen Nachrichten - direkt in Ihren Posteingang
Abonnieren Sie unseren kostenlosen CNA Deutsch-Newsletter.