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Gottes Ostern im Karsamstag der Menschen: Ostersonntagspredigt von Kardinal Koch

"Als es noch dunkel war..." Sonnenaufgang über dem Ölberg
Das Heilige Grab
Iesus Hominum Salvator von Andreas Ritzos. Geschrieben im 15. Jahrhundert auf Kreta
Das Antlitz Christi auf dem Schleier von Manoppello. Dahinter die Hand von Kardinal Kurt Koch.

In der Kirche am Campo Santo Teutonico hat am heutigen Ostersonntag der Schweizer Kurienkardinal Kurt Koch gepredigt. CNA Deutsch dokumentiert den Wortlaut der Predigt mit freundlicher Genehmigung.

GOTTES OSTERN IM KARSAMSTAG DER MENSCHEN[1]

"Frühmorgens, als es noch dunkel war", kam Maria von Magdala zum Grab Jesu. Sie sah zwar, dass der Stein vom Grab weggenommen war, und sie begegnete sogar zwei Engeln in weißen Gewändern, die sie danach fragten, warum sie denn weine. Ihre Antwort aber war ebenso einfach wie traurig: "Man hat meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wohin man ihn gelegt hat." Diese Frau steht im Mittelpunkt des Evangeliums am Ostertag, der uns die Auferstehung Jesu Christi verkündet. Maria von Magdala selbst aber hat die Schwelle zu Ostern noch nicht überschritten; sie lebt vielmehr noch am Karsamstag und kümmert sich allein darum, wohin man ihren Herrn wohl gelegt haben mag.

Menschliches Leben am Karsamstag

Steht diese Frau nicht stellvertretend für uns Menschen und selbst Christen heute? Wir feiern am heutigen Sonntag Ostern, das Fest der Auferstehung, die Botschaft vom neuen Leben. Wir dürfen im Licht von Ostern leben: im Zeichen des Sieges des Lichtes über die Nacht, im Zeichen des Sieges des Lebens über den Tod, im Zeichen des Sieges der Hoffnung über die Angst. Mit der Auferstehung Jesu Christi hat unser Leben eine neue Orientierung erhalten, und zwar im besten Sinne des Wortes: ex oriente lux! Es ist uns im Osten ein neues Licht aufgegangen. Wir dürfen in der Zuversicht leben, dass der Himmel über uns offen ist und dass dies unserem Leben Weite gibt. An Ostern entscheidet sich deshalb die Grundhaltung in unserem Leben, ob wir uns nach dem neuen österlichen Leben, das uns Christus schenkt, ausstrecken, oder ob wir uns als Dauernörgler am real existierenden Leben auf dieser Erde erweisen.

Wir dürfen bereits in dieser Welt als österliche Menschen leben, wozu uns Paulus in seinem Brief an die Kolosser aufruft: "Ihr seid mit Christus auferweckt; darum strebt nach dem, was im Himmel ist, wo Christus zur Rechten Gottes sitzt" (Kol 3, 1). Wenn wir ehrlich zu uns selbst sind, müssen wir freilich bekennen, dass auch an Ostern und nach Ostern der Karsamstag in unserem Leben und in der Welt weiterhin gegenwärtig und wirksam ist - wie bei Maria von Magdala. Der Karsamstag ist der Tag, der dem Wesen des menschlichen Lebens gemäß ist, das noch auf Ostern wartet, aber ihm doch vertrauensvoll entgegen geht. Der Karsamstag ist sogar der Tag, der der Situation von uns Menschen in dieser Welt am ehesten entspricht. Denn er stellt die elementare Frage, wie es denn nach dem Karfreitag weitergehen kann und soll. Der Karsamstag ist der Tag der Verborgenheit Gottes und seines Schweigens in der Welt, den wir auch nach Ostern immer wieder erfahren müssen, zumal in der heutigen Welt, in der Gott so oft zum Schweigen gebracht wird.

Der Karsamstag ist das Zeichen der Unerlöstheit von uns Menschen, das auch nach Ostern weiterdauert. Wie können wir da an die Auferstehung Jesu Christi glauben oder zum Glauben kommen? Diese Frage stellt sich vor allem in der heutigen Zeit, in der es die Osterbotschaft keineswegs leicht hat. Denn vielen Menschen und selbst Christen fällt die Annahme schwer, dass Gott in der Welt handelt und sogar Tote auferweckt.

Auferstehung und Schöpfung

Angesichts dieser weitverbreiteten Mentalität wird uns neu bewusst, dass diese Annahme einen personalen Gott voraussetzt, von dem man überzeugt ist, dass er in der Geschichte von uns Menschen, und zwar bis in unseren Tod hinein, gegenwärtig ist und handelt. Ohne einen persönlichen und in der Geschichte der Menschen gegenwärtigen Gott kann es auch keine Auferstehung der Toten geben. Denn der Glaube an die Auferstehung setzt voraus, dass Gott auch mit der Materialität der ganzen Schöpfung und deshalb auch mit der Leiblichkeit des Menschen in Berührung ist. In der heutigen Welt und teilweise auch in der Kirche herrscht jedoch die Tendenz vor, Gott, wenn überhaupt, nur im Geistigen und Spirituellen als gegenwärtig zu sehen. Darin besteht – trotz aller Lobpreisung der Materie und trotz aller Anklage der Kirche auf Leibfeindlichkeit – jener moderne subtile Gnostizismus, der das Wirken Gottes aus dem Bereich der Materie verdrängt und es letztlich auf die reine Innerlichkeit der menschlichen Seele reduziert.

Die Osterbotschaft des christlichen Glaubens aber besagt, dass Gott auch das Leibliche des Menschen, ja die ganze Schöpfung retten wird. Das österliche Wort der Auferstehung hängt deshalb eng mit dem Glaubenswort der Schöpfung zusammen: "Der, der unsere Welt aus dem Nichts ins Dasein ruft, der ist auch der, der uns allein vor dem Tod, vor diesem Nichts bewahren kann."[2] Den Tod des Menschen überwinden und Tote auferwecken kann nur Gott, der Schöpfer der Welt. Niemand in der Welt ist in der Lage, es mit dem Tod aufzunehmen. Den Tod zu entmachten vermag nur Gott. Allein Gott kann, um mit Walter Benjamin zu reden, den "Tigersprung" ins Vergangene, nämlich in den Bereich des Todes, wagen und deshalb den der Vergangenheit anheimgegebenen Toten neues Leben schenken. Der Tod des Todes ist die Auferstehung, die Gott an seinem Sohn vollzogen und damit bestätigt hat, dass er der Schöpfer der Welt ist, der das Leben, das er erschaffen hat, nicht ins Nichts fallen lässt, sondern in sein ewiges Leben heimbringt. An Ostern hat sich Gott vollends als wahrer Brückenbauer, als Pontifex maximus zwischen dem menschlichen Todesbereich und dem göttlichen Reich der lebendigen Ewigkeit erwiesen.

Darin besteht der Ernstfall des christlichen Glaubens überhaupt, wie eine kleine Episode aus der Theologiegeschichte des 19. Jahrhunderts verdeutlichen kann[3]: An der Berliner Fakultät bemerkte der liberale Theologe Adolf Harnack zu seinem orthodoxen Gegenpart Adolf Schlatter in einem versöhnlich gemeinten Ton, sie beide seien sich eigentlich ganz einig, es trenne sie doch nur eine Kleinigkeit, nämlich die Wunderfrage. Da jedoch rief Schlatter energisch entgegen: "Nein, uns trennt die Gottesfrage, denn in der Wunderfrage geht es in der Tat darum, ob Gott Gott ist oder ob er nur dem Bereich der Subjektivität zugehört." In der Tat wäre ein Gott, der seine eigene Schöpfung so gegen sich selbst abgeschlossen hätte, dass er in ihr nicht mehr handeln könnte, kein Gott mehr. Das Wunder aber ist das Zeichen dafür, dass Gott in seiner Schöpfung gegenwärtig ist und handelt. Sein größtes Wunder ist die österliche Überwindung des Todes in der Auferweckung seines Sohnes.

Neues Leben im Reich des Todes

Dieses österliche Geheimnis bekennen wir im Apostolischen Credo mit den Worten: "Hinabgestiegen in das Reich des Todes, am dritten Tag auferstanden von den Toten." Damit tritt die helle Seite des dunklen Karsamstags vor unsere Augen. Der Karsamstag ist der Tag der Verborgenheit und des Schweigens Gottes und damit das Ende aller Hoffnung und Zuversicht. Das Befreiende unseres Glaubens besteht aber darin, dass gerade dieses dunkelste Geheimnis unseres Glaubens zugleich das hellste Zeichen einer grenzenlosen Hoffnung geworden ist. Denn unser Glaube verheisst uns, dass sich in diesem Reich des Todes die größte Revolution der Weltgeschichte und die kräftigste Explosion des Lebens ereignet hat. Um die Größe dieses Geschehens zu beschreiben, hat Papst Benedikt XVI. sogar die Sprache der Evolutionslehre verwendet und im Geschehen der Auferstehung Jesu Christi "die größte, den absolut entscheidenden Sprung in ganz Neues hinein"[4] erblickt. Denn der Karsamstag führt uns vor Augen, dass beim Hinabsteigen in das Reich des Todes der Gottessohn selbst an den Ort der größten Einsamkeit, der totalen Beziehungslosigkeit und der absoluten Gottferne gegangen ist, an diesem Ort aber mit seiner grenzenlosen Liebe die toten und von Gott entfernten Menschen umgriffen und mit seiner wärmenden Liebe in die Totenstarre der Unterwelt Bewegung gebracht hat.

Seitdem Christus an den Ort des Todes die Liebe gebracht hat, gibt es Leben mitten im Tod, gibt es Ostern mitten am Karsamstag. Hier liegt der tiefste Grund, dass der Karsamstag, der Tag des Schweigens Gottes, bereits Ostern, den Tag des neuen Lebens vorwegnimmt und auf jeden Fall zu Ostern hinführt. Auch in diesem Sinn ist der Karsamstag der Tag, der unserer menschlichen Situation am meisten entspricht. Auch wir alle warten noch auf unser persönliches Ostern und gehen ihm entgegen in der Hoffnung, am Ostern Jesu Christi endgültig Anteil erhalten zu dürfen.

Dieses Geheimnis kommt in einer tröstlichen und sehr anschaulichen Weise zum Ausdruck in der Osterfrömmigkeit der östlichen Christenheit. Diese zeigt nicht die bei uns im Westen bekannte einsame Auferstehung des Siegers über den Tod in die Höhe des Himmels, sondern gleichsam seine Auferstehung in die Tiefe, seine Auferstehung zu den Toten hin: Auf der ostkirchlichen Osterikone ist zumeist dargestellt, wie der Auferweckte mit seinen Füssen die Pforten der Unterwelt zertritt und sie aus den Angeln hebt. Auf ihnen steigt er wie auf einer Brücke ins Totenreich hinab, um mitten in der Welt des Todes die Botschaft der Erlösung zu verkünden und wirksam zuzusprechen. Er streckt Adam und Eva die Hand entgegen, und diese blicken sehnsüchtig-wartend zum Auferweckten empor. Fest ergreift Christus die Hände Adams und Evas und zieht beide aus dem Grab, und schwer beladen mit ihnen steigt er auf in die Höhe, hinein in die himmlische Herrlichkeit seines Vaters. Die Stammeltern, durch die nach der Überzeugung der Heiligen Schrift Sünde und Tod in die Welt gekommen sind, sind die ersten, denen die österliche Erlösung geschenkt wird; sie stehen da aber stellvertretend für alle Menschen.

Die helle Seite des Karsamstag

(Die Geschichte geht unten weiter)

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Ohne diese Menschen will Christus offenbar nicht auferstehen. Deshalb geht Christus nicht auf direktem Weg zu seinem Vater. Er macht vielmehr gleichsam einen Umweg zu den toten Menschen, um das Licht seiner Auferstehung auch bis in die hintersten Ecken der Todeswelt der Menschen zu bringen, um die Ketten des Todes zu lösen und um die Gefangenen aus der tödlichen Gewalt des Todes zu befreien. Dies ist ein wahrhaft österliches Bild, das tröstet und froh macht, weil es uns zeigt, dass Ostern nicht das Fest von Jesus Christus, dem Auferstandenen, allein ist. Es ist auch das Fest seines ganzen Leibes. Christi Auferstehung ist erst dann an ihr Ziel gekommen, wenn der ganze Leib Christi ins Leben hinüber gegangen sein wird.

Jetzt aber leben wir auch an Ostern und nach Ostern noch immer am Karsamstag. Wir haben aber am neuen Leben der Auferstehung Jesu Christi in unserer österlichen Taufe bereits Anteil erhalten. In der Taufe auf Tod und Auferstehung Jesu Christi hat sich an uns ganz persönlich Ostern bereits ereignet. In der Taufe sind wir aufgenommen in die Bewegung Jesu Christi vom Tod ins Leben der Auferstehung und wir befinden uns auf dem Weg vom Karsamstag nach Ostern.

Bitten wir den lebendigen Gott, dass er uns mitten im Karsamstag unseres eigenen Lebens und der Geschichte der Menschen immer mehr zu österlichen Menschen verwandelt, die wir karsamstäglich auf unser eigenes Ostern vertrauensvoll zugehen. Denn Christus ist auferstanden und zum himmlischen Vater vorausgegangen. Dies ist der tiefste Grund unserer Hoffnung, für die wir Gott danken und die wir an unsere Mitmenschen weitergeben – wie Maria von Magdala im heutigen Evangelium, die zu den Jüngern ging und verkündete: "Ich habe den Herrn gesehen."

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[1]  Homilie am Hochfest von Ostern in der Kirche des Campo Santo Teutonico am 21. April 2019.

[2]  K. Kardinal Lehmann, Auf dem Weg zum Leben. Geistliche Impulse für die Passions- und Osterzeit (Leipzig 2005) 53.

[3]  Zit. bei J. Kardinal Ratzinger, Skandalöser Realismus? Gott handelt in der Geschichte (Bad Tölz 2005) 8.

[4]  Benedikt XVI., Predigt bei der Ostervigil im Petersdom am 15. April 2006.

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