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"Das Bild Gottes in jedem Menschen suchen": Gebetswoche für Einheit der Christen eröffnet

Kerzen brennen beim Ökumenischen Gebet in Lund am 31. Oktober 2016.
Die Neustädter Kirche in Hannover
Erzpriester Radu Constantin Miron
Paulus in Malta: Gemälde von Adam Willaerts, entstanden um 1621.

Mit einer zentralen Feier in der evangelischen Neustädter Hof- und Stadtkirche St. Johannis ist am Wochenende die alljährlich abgehaltene "Gebetswoche für die Einheit der Christen" eröffnet worden.

Dabei betonte der Prediger, Erzpriester Radu Constantin Miron, dass die christliche Menschenliebe "im Grunde das Erkennen des göttlichen Bildes im Mitmenschen bedeutet".  

Maltas christliche Wurzeln

In diesem Jahr ist das Thema der Gebetswoche ein Beitrag aus Malta. Auf dieser Insel landete – wie die Apostelgeschichte der Bibel erzäht – der heilige Paulus nach einem Schiffbruch und wurde freundlich aufgenommen: Ursprung und apostolischer Auftakt für das Christentum auf Malta. Das Thema der Weltwoch ist daher auch ein Verweis auf Apg 28,2: "Sie waren uns gegenüber ungewöhnlich freundlich". Dazu erklärt die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in der Schweiz: 

"Das Beispiel aus der Apostelgeschichte macht uns deutlich, wie aus einer zufälligen Begegnung Gemeinschaft entstehen kann. Gemeinschaft über Grenzen hinweg mindert Not. Die Kirchen sehen sich in der Pflicht, solche Gemeinschaft zu fördern. Dies wird ihnen umso mehr gelingen, je mehr sie auch untereinander Gemeinschaft pflegen und Versöhnung suchen."

Um das Anliegen der Einheit aller Christen und die Ökumene geht es in der alljährlich abgehaltenen Veranstaltung, die in ihren Ursprüngen bis auf das Jahr 1910 zurückgeht. 

Menschenliebe als Attribut Gottes

Traditionell findet die Woche vom 18. bis 25. Januar statt und wird vom Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen zusammen mit dem Ökumenischen Rat der Kirchen organisiert.

Bei der ökumenischen Eröffnungsfeier in Hannover knüpfte der Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschand, Erzpriester Radu Constantin Miron, in seiner Predigt an die Gastfreundschaft Maltas an und vertiefte diese mit dem Begriff der Philantropia – der Menschenliebe "als Attribut Gottes. Diese sei ausgedrückt in der Ebenbildlichkeit des Menschen, erklärte er.

"Wenn unser wichtigster Wert der absolute Respekt vor der menschlichen Person und dem menschlichen Leben ist, ist das natürlich abgeleitet von dieser grundlegenden Überzeugung, dass der Mensch nach dem Bild und zur Ähnlichkeit Gottes geschaffen wurde und dass die menschliche Person einen einmaligen Wert besitzt. Genau aus diesem Grund ist die Philanthropia eines jeden Christen uneingeschränkter Bestandteil seiner Existenz, der nicht verhandelbar ist", so der Erzpriester.

"Es geht darum, das Bild Gottes in jedem Menschen zu suchen und zu entdecken. Dies geschieht nach dem Vorbild Gottes und zur Ehre Gottes. Denn er ist gütig und liebt die Menschen."

Miron ist Ökumenereferent der Griechisch-Orthodoxen Metropolie von Deutschland und seit 2019 Vorsitzender des Arbeitskreises in Deutschand.

CNA Deutsch dokumentiert den vollen Wortlaut der Predigt, wie ihn der ACK veröffentlicht hat.

Eröffnungsgottesdienst
Gebetswoche für die Einheit der Christen
Neustädter Hof- und Stadtkirche St. Johannis, Hannover

19. Januar 2020

Predigt

Erzpriester Radu Constantin Miron, Vorsitzender Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland

Eine Vorbemerkung:

1987 legte ein Forscher namens Heinz Warnecke in seiner Dissertation dar, dass der Apostel Paulus entgegen der vorherrschenden Lehrmeinung nicht auf Malta, sondern auf der westgriechischen Insel Kephalonia gestrandet sei und überwintert habe. Die Verortung auf Malta beruhe auf einer Fehlinterpretation des in der Apostelgeschichte verwendeten Inselnamens Melite. Warnecke wurde zunächst als Hobbyforscher und Amateur belächelt und stieß auf überraschten Unglauben. Allmählich fand dann aber seine Beweisführung breite Beachtung und wurde vielfach anerkannt. Heute ist Heinz Warnecke Ehrenbürger von Kephalonia. Ein Gerücht besagt allerdings, dass gegen ihn auf Malta ein lebenslanges Einreiseverbot erlassen wurde, denn für die zutiefst empörten Malteken ist der Schiffbruch des Paulus ein identitätsstiftendes Alleinstel- lungsmerkmal, das man nicht – um im Bild zu bleiben – einfach über Bord werfen könne.

Kommen wir zur Predigt, die von eben diesem Schiffbruch handeln soll.

Zu den beglückenden Erfahrungen der Ökumene gehört, liebe Gemeinde, die Tatsa- che, dass ein jeder von uns in der Ökumene die Gelegenheit hat, auf Bekanntes und Vertrautes mit den Augen des Anderen zu schauen. (Ich bin sogar der Auffassung, dass diese uns geschenkte Möglichkeit eine Pflicht für uns alle darstellt.)

So geht es uns auch mit diesem Text. Der Schiffbruch des Paulus, eigentlich eine ganz einfache vordergründige Begebenheit, kann zum Anlass werden, einen biblischen Text mit anderen Augen zu lesen, mit anderen Ohren zu hören, in diesem Fall mit orthodo- xen Ohren.

Wenn wir in der Lutherbibel 2017 im 28. Kapitel der Apostelgeschichte lesen:

„Und als wir gerettet waren, erfuhren wir, dass die Insel Malta hieß. Die Leute da er- wiesen uns nicht geringe Freundlichkeit, zündeten ein Feuer an und nahmen uns alle auf wegen des Regens, der über uns gekommen war, und wegen der Kälte.“ Dann schauen wir aus Gewohnheit noch einmal in den griechischen Urtext und lesen dort:

1 Καὶ διασωθέντες τότε ἐπέγνωσαν ὅτι Μελίτη ἡ νῆσος καλεῖται. 2 οἱ δὲ βάρβαροι παρεῖχον οὐ τὴν τυχοῦσαν φιλανθρωπίαν ἡμῖν· ἀνάψαντες γὰρ πυρὰν προσελάβοντο πάντας ἡμᾶς διὰ τὸν ὑετὸν τὸν ἐφεστῶτα καὶ διὰ τὸ ψῦχος.

Der entscheidende Satz lautet:

οἱ δὲ βάρβαροι παρεῖχον οὐ τὴν τυχοῦσαν φιλανθρωπίαν ἡμῖν·Bάρβαροι und φιλανθρωπία – zwei Begriffe, die man versteht, selbst wenn man kein Griechisch kann bzw. auch wenn das Studium des Griechischen schon einige Zeit zurückliegt.

Die Einwohner von Malta werden als Barbaren bezeichnet, also eigentlich als Leute, die kein Griechisch sprechen. (So vermerkt dies wörtlich etwa die Neue Genfer Über- setzung). Irgendwie hört man aber aus dieser Bezeichnung, mehr als nur eine Sprach- barriere heraus; da klingt doch auch eine gewisse Verachtung für den Fremden mit. Im Sinne von: Jeder, der nicht so ist wie ich, ist ein Barbar. Ich glaube, dass dies durch die Luther’sche Formulierung „die Leute da“ ausgedrückt werden soll. „Die Leute da“ klingt ja etwas despektierlicher als „die Leute dort“.

Und diese BARBAROI – ausgerechnet diese Barbaren! – erweisen den Schiffbrüchi- gen „eine nicht geringe Freundlichkeit“. Ihr Verhalten scheint also nicht eine Selbstver- ständlichkeit im Sinne des Internationalen Übereinkommens von 1979 zur Seenotret- tung zu sein, wenn diese Freundlichkeit hier eigens erwähnt wird. (Wobei ja Seenot- rettung, wie wir wissen, auch heute keine Selbstverständlichkeit ist...)

Doch halt: im griechischen Text steht da ja nicht Freundlichkeit oder Gefälligkeit oder Wohlwollen oder Solidarität, da steht vielmehr, wie gesagt, PHILANTHROPIA. Ein Be- griff, den wir auch kennen, aber im Deutschen doch für etwas veraltet halten. Und wenn wir ihn verwenden, dann wird Philanthropie oft auf ihren materiellen Aspekt be- schränkt und mit Bereitstellung privater finanzieller Mittel für gemeinnützige Zwecke gleichgesetzt. Man denkt da an Großspenden und an die Errichtung von Stiftungen, man denkt an Sponsoren und Mäzene, an Bill Gates oder Buffett Warren. Und man denkt womöglich auch gleich an die Kritik dieser Philanthropie der Reichen und der Superreichen, die ja nur existieren und funktionieren kann, eben weil diese Reichen immer reicher werden und nicht mehr wissen, wohin mit ihrem Geld. Einer von ihnen, Henri Ford II hat es auf den Punkt gebracht mit der einfachen Formel: Philanthropie ist letztlich „a creature of capitalism“ (ein Produkt des Kapitalismus).

Jetzt kommen wir zu den orthodoxen Ohren:

Der orthodoxe Christ/die orthodoxe Christin hört dieses Wort PHILANTHROPIA näm- lich anders. Für uns ist dieser Begriff ein vertikaler Begriff von oben nach unten.

Ich kann dies beweisen: 14 Mal kommt in den gottesdienstlichen Texten der sonntäg- lichen Liturgie meiner Kirche (und Sie wissen: in der Liturgie gibt es keinen Unterschied zwischen Griechen und Serben und Russen und Rumänen usw.) das Wort Philan- thropos, Philanthropia vor. Und da ist also nicht die Rede von Zuckerberg oder Rocke- feller, die Menschenliebe ist ein Attribut Gottes, vielleicht sogar DAS eigentliche Attri- but Gottes. Für uns ist PHILANTHROPIA also ein vertikaler Begriff: von oben nach unten, Solidarität wäre das horizontale Pendant.

Gestatten Sie mir an dieser Stelle, etwas von dieser Theologie der Philanthropia vor- zuschwärmen, ausgehend von Joh 3,16: „Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern ewiges Leben hat.“ Und die Liebe Gottes zur Welt ist nicht irgendeine kosmi- sche Hinwendung zu einer unpersönlichen Welt, sondern die personale Liebe Gottes zum Menschen.

Aber für uns Christen ist Theologie immer auch Anthropologie, sagt das Reden über Gott auch immer etwas über den Menschen aus. Wenn ich das biblische Sprechen vom Menschen, der nach dem Bild und zur Ähnlichkeit Gottes geschaffen wurde, ernst 

nehme, ist das, was Gott ausmacht, in abgeleiteter Form auch über den Menschen zu sagen.

George Racoveanu, ein rumänischer Theologe des 20. Jahrhunderts, bezeichnet dies als die „ursprüngliche Herrlichkeit“ des Menschen. Er verwendet den rumänischen Be- griff Omenia dafür und erklärt ihn folgendermaßen: „Wenn man das Wort Omenia durch Gastfreundschaft, durch Schicklichkeit, durch Höflichkeit, durch Rechtlichkeit, durch Ehrbarkeit, oder einfach durch Menschlichkeit übersetzt, bedeutet das, es nur teilweise übersetzt zu haben. Als Wirklichkeit, als Lebenszeugnis erweist sich Omenia als einheitliches Ganzes, bestehend aus zahlreichen wesentlichen Komponenten. Sie ist nicht nur eine einzige Tugend. Vielmehr ist sie eine Anthologie, eine Blütenlese von sittlichen Tugenden. Liebe zum Fremdling, Treue zum gegebenen Wort, Ehrgefühl, Gerechtigkeit, Opferbereitschaft, Hochherzigkeit, Demut und Glaube an Gott sind die Zierden der Omenia.“

Das klingt irgendwie nach einem Wertekatalog oder einer Liste von Tugenden. Ich glaube aber, dass PHILANTHROPIA im Grunde das Erkennen des göttlichen Bildes im Mitmenschen bedeutet.

Das Verständnis des Menschen als Bild Gottes, der nicht auf das Bewusstsein, nicht auf irgendein diskursives oder reflexives Denken, nicht auf den Willen oder andere Aspekte seines Daseins reduziert werden darf, hat dann ethische Folgen. Orthodoxe Theologen nennen dies gern die Personalität des Menschen. Eine solche Verstehens- weise des Menschen bedeutet, dass nichts, aber wirklich nichts an den Besonderhei- ten eines Menschen, ihn vorübergehend oder andauernd daran hindern kann, ihn als Bild Gottes zu ehren und zu respektieren.

Anders gesagt: Die Personalität als Wesenskennzeichen des Menschen, das aus sei- nem Geschaffensein als Bild Gottes abgeleitet wird, ist unveräußerlich. Und dies be- deutet: sie begründet die Gleichheit aller Menschen. Und sie begründet die Freiheit aller Menschen.

Ganz offensichtlich geht es, wenn ich meinen orthodoxen Augen trauen darf, bei un- serer Geschichte vom Schiffbruch um viel mehr als um ein wärmendes Lagerfeuer an einem verregneten Strand auf Malta oder woanders.

Es geht – und damit sind wir doch wieder in der Aktualität gelandet – um die Frage nach unserem Menschenbild – warum nicht auch in der Flüchtlingsfrage?

Wenn unser wichtigster Wert der absolute Respekt vor der menschlichen Person und dem menschlichen Leben ist, ist das natürlich abgeleitet von dieser grundlegenden Überzeugung, dass der Mensch nach dem Bild und zur Ähnlichkeit Gottes geschaffen wurde und dass die menschliche Person einen einmaligen Wert besitzt. Genau aus diesem Grund ist die Philanthropia eines jeden Christen uneingeschränkter Bestand- teil seiner Existenz, der nicht verhandelbar ist.

Deshalb ist das personalitätsbezogene Handeln jedes Gläubigen mehr als nur eine humanitäre Pflicht. Es ist ein zutiefst spirituelles Ereignis, ja, ein tätiges Zeugnis des Glaubens...

Letztendlich ist es also egal, wo Paulus Schiffbruch erlitten hat, ob auf Malta oder auf Kephalonia. Es geht darum, das Bild Gottes in jedem Menschen zu suchen und zu entdecken. Dies geschieht nach dem Vorbild Gottes und zur Ehre Gottes. Denn er ist gütig und liebt die Menschen. Amen.

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(Die Geschichte geht unten weiter)

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