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Selbstbestimmung und Achtung vor Leben: Abtreibung und Euthanasie in Kino und Fernsehen

Ein Kind und seine Mutter: Schwangerschaft ist aktuell ein Thema in Kino- und TV-Filmen.
Ungewollt schwanger wird im Film "Waitress" die Kellnerin Jenna, gespielt von Keri Russell.

Am 23. März strahlte das Erste zur besten Sendezeit den Fernseh-Spielfilm "Eine Handvoll Leben" aus. Darin entschied sich eine Mutter für das Leben ihres schwerkranken ungeborenen Kindes. In derselben Woche startete im Kino mit "Silent Heart – Mein Leben gehört mir" ein dänischer Spielfilm, der sich von Anfang an als ein Plädoyer für den assistierten Suizid verstand – das zeitliche Zusammentreffen zweier Filme mit gegensätzlicher Einstellung zur Achtung vor dem Leben von Anfang bis zum natürlichen Ende bietet einen Anlass, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, wie im fiktionalen Bereich Kino und Fernsehen mit solchen Fragen umgehen.

Wenn Eltern eine schwangere 16-Jährige unterstützen

Im Jahre 2007 feierte der Spielfilm "Juno" (Regie: Jason Reitman) einen weltweiten Erfolg, zu dem unter vielen anderen Auszeichnungen auch der Oscar für das Beste Original-Drehbuch gehörte. Im Mittelpunkt des Filmes steht die 16-jährige, vor Selbstbewusstsein nur so strotzende Schülerin Juno MacGuff. Als sie zweifelsfrei feststellt, dass sie schwanger ist, sucht Juno eine Abtreibungsklinik auf. Wie soll eine 16-Jährige eine Schwangerschaft physisch und psychisch überstehen? Doch es kommt anders. Vor dem Eingang der Abtreibungspraxis begegnet sie einer Mitschülerin, einer "Pro Life"-Aktivistin, die Juno darauf hinweist, dass der Fötus bereits über Fingernägel verfügt. Dies und die Stimmung in der Praxis selbst, in der sie wie ein Objekt behandelt wird, stimmt die 16-Jährige um: Abtreibung ist der falsche Weg. So entscheidet sich Juno, ihr Kind auszutragen. Sie sucht Adoptiveltern diese sind ganz einfach über eine Annonce in der örtlichen Zeitung zu finden für ihr Kind. Besonders aufschlussreich nimmt sich in Reitmans Film die Reaktion von Junos Eltern aus. Entgegen landläufigen Klischees, Eltern reagierten über die Schwangerschaft ihrer minderjährigen Tochter stets so entsetzt, dass sie das Mädchen regelrecht drängen, "das Problem wegzumachen", veranschaulicht "Juno" die umgekehrte Möglichkeit: Die Eltern einer schwangeren Minderjährigen können sehr wohl ihre Tochter in ihrer Entscheidung unterstützen, das Kind auszutragen.

Ein Kind nicht zu töten als Selbstverständlichkeit

Schwangere Minderjährige, die sich für ihr Kind entscheiden, standen allerdings bereits zwei Jahre vor "Juno" im Mittelpunkt einiger Kinofilme, so etwa die 17-jährige Maria im Drogenkurier-Drama "Maria voll der Gnade" (2005). Maria führt in der kolumbianischen Provinz kein einfaches Leben. Sie ist unzufrieden mit ihrer Arbeit und ihrer Familie, und den Kindeserzeuger liebt sie auch nicht mehr. In ihrem Spielfilmdebüt "Die Perlenstickerinnen" (2005) zeichnete die französische Regisseurin Eléonore Faucher ein Porträt der ebenso 17-jährigen Claire, die ebenfalls den Vater ihres zukünftigen Kindes nicht liebt. Dieser interessiert sich lediglich dafür, ob sie das Kind abtreiben will und Geld dafür braucht. Nein, abtreiben will Claire nicht, ebenso wenig wie Maria. Sowohl Maria als auch Claire entscheiden sich mit aller Selbstverständlichkeit für ihr Kind. Ebenfalls 2005 stellte die polnische Regisseurin Malgosia Szumowska ihren zweiten Spielfilm "Leben in mir" ("Ono") auf der Berlinale vor. "Leben in mir" handelt wiederum von der unbeabsichtigt schwanger gewordenen Eva. Auch Eva lebt in einer ähnlichen Situation wie Maria aus Kolumbien und Claire aus Frankreich. Sie arbeitet in einem schlecht bezahlten und sie nicht ausfüllenden Job, und der Mann, von dem sie das Kind erwartet, spielt ebenfalls keine Rolle mehr in ihrem Leben. Obwohl sie im Gegensatz zu Marie und Claire keine Minderjährige mehr ist, fühlt sich Eva dennoch zu jung für ein Kind. In ihrer trostlosen Lage entscheidet sich Eva zunächst gegen das Kind. Ein Zufall ändert allerdings ihre Entscheidung radikal: Im Krankenhaus erfährt sie, dass ihr Kind sie bereits hören kann. Nun versucht Eva, ihrem Kind die Welt – die Farben, die Klänge, die Formen – zu erklären. Sie beginnt, mit dem Ungeborenen in ihrem Bauch zu reden und ihm die Welt zu erklären. Mit ihrer Umkehr wird aus der mit ihrem Job und ihrem Leben Unzufriedenen eine liebevolle, aktive junge Frau, die endlich die schönen Seiten des Lebens entdeckt. Durch das intime Verhältnis zum ungeborenen Kind erfährt Evas Leben eine neue Wende.

Hollywood entdeckt ein Thema

Im Gefolge dieser Filme und insbesondere seit dem Welterfolg von "Juno" (2007) entstanden eine ganze Reihe Spielfilme, in denen entgegen der inzwischen in der Gesellschaft zum "Konsens" erhobenen Meinung, dass Abtreibung zwar schlimm, aber unvermeidlich sei, das Kino als Heldin die ungewollt schwanger gewordene junge Frau entdeckt, die sich allen Schwierigkeiten zum Trotz für ihr Kind entscheidet. Auch konventionelle Hollywood-Filme nehmen sich des Themas zunehmend an. In der klischeehaften Komödie "Beim ersten Mal" ("Knocked Up", 2007) kommen sich ein chaotischer Faulenzer und eine karrierefixierte Fernsehjournalistin trotz aller Unterschiede in einer Diskothek näher, als sie eigentlich beabsichtigt hatten. Als die junge Frau schwanger wird, steht für sie der Entschluss fest: "Ich will das Baby behalten". Eine Abtreibung kommt für sie von vorne herein überhaupt nicht in Frage, obwohl wenigstens auf den ersten Blick eine gemeinsame Zukunft mit dem Nichtsnutz kaum vorstellbar erscheint, und darüber hinaus für ihre berufliche Karriere eine Schwangerschaft eher hinderlich scheint. Von einer jungen Frau, der eine Schwangerschaft im Wege steht, handelt ebenfalls "Jennas Kuchen – Für Liebe gibt es kein Rezept" ("Waitress", 2007). Auch die charmante Kellnerin Jenna, die mit einem gewalttätigen Taugenichts verheiratet ist, wird ungewollt schwanger. Ihr kommt die Schwangerschaft insbesondere in die Quere, weil ihre einzige Hoffnung, von ihrem Macho-Ehemann wegzukommen, in einem Backwettbewerb liegt. Mit dessen Preisgeld würde sie ein neues Leben beginnen können. Und gerade dieser Ausweg wird ihr durch die Schwangerschaft verbaut. Jenna wird immer wieder von Zweifeln gequält, ob sie das Kind "wegmachen" sollte, bis sie sich zu der Einsicht durchringt: "Ich respektiere sein Recht auf Leben". Doch eine Zuneigung fürs Baby will sie im Keime ersticken – bis zur Geburt. In dem Moment, wo sie das Neugeborene erblickt, ist ihre Abneigung blitzartig verflogen. Dies hat sie gemeinsam etwa auch mit "Juno", nur dass hier bereits das Ultraschallbild des Ungeborenen diese Wirkung erzielt: Die Szene, in der sich Juno zusammen mit ihrer Freundin und ihrer Stiefmutter die Ultraschallbilder des ungeborenen Kindes anschaut, gehört zu den stärksten Augenblicken des Filmes.

Die Abtreibungspille wieder weglegen

Denn das Kino findet starke Bilder für eine solche Entscheidung für das Kind. Die Gegenüberstellung eines Ultraschallbildes des Kindes mit dem glückserfüllten Gesicht der Schwangeren gehört ebenso dazu wie etwa eine Szene aus dem schwedischen Film "Ciao Bella", ebenfalls aus dem Jahr 2007, die besonders in Erinnerung bleibt. Hier wird eine 17-Jährige, die nach einer flüchtigen "Urlaubsbekanntschaft" schwanger und von ihrem oberflächlichen Vater und dessen Freundin geradezu zur Abtreibung bedrängt wird, dass sie in einem bestimmten Augenblick eine Abtreibungspille in den Mund steckt. Dann schaut sie sich plötzlich in einem Spiegel in die Augen – und nimmt die Pille schleunigst wieder heraus.

Im Kino geht dieser Trend seitdem weiter. So brachten 2012 zwei junge französische Regisseurinnen unter dem Titel "17 Mädchen" ("17 Filles") ihr Spielfilmdebüt auf die Leinwand. Ausgehend von einer Begebenheit, die sich 2008 in den Vereinigten Staaten zugetragen haben soll, erzählen sie von einer Gruppe Schülerinnen, die sich verabredeten, um zur gleichen Zeit schwanger zu werden. Alles beginnt, als eine 17-jährige Schülerin erfährt, dass sie ungewollt schwanger ist. Sie entscheidet sich für das Kind, und andere Mädchen aus ihrer Clique kommen auf den Gedanken, es ihr nachzueifern. "17 Mädchen" reiht sich in eine seit einigen Jahren größer werdende Riege der Spielfilme ein, deren Protagonistinnen "Ja" zum ungeplanten Kind sagen. Einen neuen Aspekt brachte Pola Becks Spielfilmdebüt "Am Himmel der Tag" (2012). Der Film handelt von der 25-jährigen Lara, die zwar bald ein Architekturstudium abschließen wird, aber eigentlich nicht weiß, was sie will. Mit ihrer Freundin Nora zieht sie durch die Nachtclubs, aber auch daran hat sie schon lange keinen Spaß mehr. Nach einer durchzechten Nacht wird Lara ungewollt schwanger. Obwohl ihre Mutter sie zu einer Abtreibung drängt, fühlt sie sich von der Art und Weise, wie sie in der Beratungsstelle behandelt wird, abgestoßen. Sie beginnt das Kind als Chance zu begreifen. Mit dem Gefühl, das erste Mal für sich die richtige Entscheidung getroffen zu haben, entscheidet sich Lara für ihr Kind. Im sechsten Monat stirbt jedoch ihr Kind. Aus Angst, den gerade gefundenen Sinn ihres Lebens begraben zu müssen, behält Lara das tote Baby im Bauch und spielt ihrem Umfeld weiter die Schwangere vor.

Entscheidung für eine Spätabtreibung

Deshalb, weil im Kino jeweils nach einer Lösung gesucht wird, damit die Schwangere das Kind austragen kann, überraschte es, dass sich im einzigen deutschen Beitrag im Wettbewerb der diesjährigen Berlinale eine Frau zu einer Abtreibung entschließt: "24 Wochen" handelt von einer Frau, die während der Schwangerschaft eine niederschmetternde Diagnose erhält. Ihr Kind würde mit Down-Syndrom auf die Welt kommen. Obwohl sich die Eltern zunächst einmal trotzdem für die Geburt zu entscheiden scheinen, fangen sie an zu schwanken, als die Ärzte noch einen Herzfehler diagnostizieren, der mindestens eine Operation nötig machen wird. Die Frau entscheidet sich letztlich für eine Spätabtreibung in der 24. Woche.

Von eine ähnlichen Ausgangssituation geht der Ende März gesendete Fernsehfilm "Nur eine Handvoll Leben: Annette arbeitet als Lehrerin. Sie ist geschieden und bildet mit dem verwitweten Thomas eine sogenannte moderne Patchworkfamilie. In die zweite Ehe haben sie jeweils eine Tochter gebracht: Annettes fast 16-jährige Tochter Julia und die etwa 10-jährige Eva, Thomas’ Tochter. Das Glück der "Patchworkfamilie" soll mit einem gemeinsamen Kind perfekt werden, auch wenn Annette bereits die 40 überschritten hat. In der 22. Schwangerschaftswoche wird eine erschütternde Diagnose gestellt: Das Kind, ein Mädchen, leidet an "Trisomie 18" oder "Edward-Syndrom". Vom Spezialisten erfahren die werdenden Eltern, dass lediglich fünf Prozent dieser Kinder überhaupt die Geburt überleben. Und dann beträgt ihre Lebenserwartung höchstens 15 Tage. Deshalb raten die Ärzte zu einer Abtreibung. Doch Annette kann sich gar nicht dazu entschließen, zumal sie bereits für ihre Tochter einen Namen ausgesucht hat: "Willst Du mir erzählen, dass wir ihr etwas Gutes tun, wenn wir sie töten?", fragt sie etwa ihren Mann Thomas, der sich dem Urteil der Ärzte angeschlossen hat. Ohne je gefühlsduselig zu werden, inszeniert Regisseurin Franziska Meletzky "Nur eine Handvoll Leben" als lupenreines Melodram mit einem sehr emotionalen Höhepunkt. Das sich Annette letztlich für ihr Kind entscheidet, obwohl es nur einige Tage leben wird, steht im Einklang mit fast allen Spielfilmen, die sich des Themas in den letzten Jahren angenommen haben.

Beihilfe zum Selbstmord als ambivalente Frage

In Bezug auf die Frage des assistierten Suizids herrscht im fiktionalen Kino- und Fernsehbereich dagegen keine Einmütigkeit. Beihilfe zum Suizid steht im Mittelpunkt von Spielfilmen, seit 2005 zwei Filme mit diesem Sujet bei der Oscarverleihung ausgezeichnet wurden. In Alejandro Amenábars "Das Meer in mir" wird unverblümt für Sterbehilfe Partei ergriffen, weil sich der querschnittsgelähmte Protagonist jeglicher Diskussion mit dem Totschlagargument entzieht: "Urteile nicht über mich. Wenn du mich wirklich liebst, hilf mir zu sterben." Wegen dieses gefühlsmäßigen Totschlagarguments nannte die Frankfurter Allgemeine Zeitung seinerzeit "Das Meer in mir" "eine Überwältigungsmaschinerie". Denn der Regisseur "presst die Gemüter aus wie Zitronen, als wollte er sehen, was man mit dem Manipulationsmedium Kino alles anstellen kann." Anders Clint Eastwoods "Million Dollar Baby": Hier wird ein gläubiger Katholik mit der Frage der Beihilfe zur Selbsttötung konfrontiert. Nachdem dieser diesem Wunsch nachkommt, wird er als gebrochener Mann dargestellt. Die hellen Farben von "Das Meer in mir" kontrastieren mit einer von der Musik noch verstärkten düsteren Stimmung in "Million Dollar Baby". Am Ende bleiben die Worte eines Pfarrers in Erinnerung: "Wenn Sie das tun, sind Sie verloren, Sie werden nie wieder zu sich finden".

Suche nach Erlösung

(Die Geschichte geht unten weiter)

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Viel beachtet wurde darüber hinaus der Gewinner beim Filmfestival Cannes 2012 "Liebe" von Michael Haneke, der überdies ebenfalls mit dem Oscar als bester nichtenglischsprachiger Film ausgezeichnet wurde. "Liebe" setzt durch einige Kunstgriffe im Drehbuch und die hervorragenden schauspielerischen Leistungen ebenso auf Überwältigung des Zuschauers, um Sterbehilfe als ein Akt der Liebe darzustellen. Dennoch gibt es im fiktionalen Bereich auch Ausnahmen in der Einstellung gegenüber der aktiven Sterbehilfe: Mit dem Spielfilm "Ruhm" adaptierte Regisseurin Isabel Kleefeld im selben Jahr 2012 den gleichnamigen Roman von Daniel Kehlmann, von dem etwa eine halbe Million Exemplare verkauft wurden. Unter den sechs Geschichten, die der Episodenfilm miteinander verknüpft, nimmt der Abschnitt um die todkranke Rosalie insofern eine besondere Stellung ein, als Rosalie und deren Erzählstrang eine Erfindung der Zentralfigur in Roman und Film Leo Richter  ist. Zwar handelt es sich dabei um einen Roman im Roman beziehungsweise um einen Film im Film. Diese Nebenhandlung nimmt sich jedoch nicht minder aussagekräftig aus: Rosalie sucht "Erlösung" von ihrem Leiden bei einem Schweizer Sterbehilfeverein. Im entscheidenden Augenblick mag sie sich indes vom Leben nicht trennen. Sie wendet sich an ihren Schöpfer, den Schriftsteller, mit der Bitte: "Lass mich leben". Noch deutlicher als in "Ruhm" kommt die Ablehnung der aktiven Sterbehilfe in Friedemann Fromms Fernseh-Spielfilm "Komm, schöner Tod" (ebenfalls 2012) zum Ausdruck. Der in einer nahen Zukunft angesiedelte Film verdeutlicht die Folgen einer Freigabe der aktiven Sterbehilfe. "Komm, schöner Tod" spitzt fiktional den heutigen gesellschaftlichen Umgang mit dem demografischen Wandel zu: Nachdem die Zahl der Demenzkranken einen Pflegenotstand verursacht hat, erstreitet eine 85-Jährige vor dem Bundesverfassungsgericht das Recht auf aktive Sterbehilfe – mit Unterstützung eines Medizinprofessors, der mit seinem Institut "Exsolvo" dieses "Recht" zu einem neuen Geschäftsmodell entwickeln will. "Komm, schöner Tod" veranschaulicht eindrücklich, dass der Weg von der sterbenswilligen Einzelperson bis zur Kommerzialisierung des Sterbens ein fließender Prozess ist.

Beobachtung einer Selbsttötung

Eindeutige Partei für einen "selbstbestimmten" Tod nimmt jedoch der für den deutschen Filmpreis nominierte Kinofilm "Hin und weg" (Christian Zübert, 2014): Der 36-jährige Hannes leidet schon länger an der unheilbaren Amyotrophen Lateralsklerose (ALS). Die jährliche Fahrradtour, die Hannes mit seiner Frau, seinem Bruder und anderen Freunden unternimmt, soll nun nach Belgien gehen. Rätseln die anderen noch darüber, warum sich Hannes Ostende als Reiseziel vorgenommen hat, steht es für ihn deshalb fest, weil er dort mit einem Arzt Kontakt aufgenommen hat, der seinem Leben ein Ende setzen soll – was bekanntlich in Deutschland (noch) verboten ist. Obwohl für einen kurzen Moment die Freunde und insbesondere Hannes’ Bruder entsetzt sind, unterstützen sie ihn doch letztlich in seinem Vorhaben. Die Deutsche Film- und Medienbewertung FBW verlieh "Hin und weg" sogar das Prädikat "besonders wertvoll": "Richtig mutig wird der Film am Ende, wenn er ganz genau und lange hinschaut, was da in der Sterbeeinrichtung des belgischen Arztes vor sich geht. Das sieht man in dieser Konsequenz selten bis nie im deutschen Film".

An der unheilbaren Amyotrophen Lateralsklerose (ALS) leidet ebenfalls die etwa 70-jährige Esther im kürzlich gestarteten Spielfilm "Silent Heart – Mein Leben gehört mir" von Bille August: Sie und ihr Mann Poul haben ihre Kinder zu sich, in ihr Haus auf dem Land eingeladen. Regisseur Bille August verdeutlicht an mehreren Stellen, was die Krankheit bei ihr auslöst: Einmal lässt Esther beispielsweise ein Glas fallen. Als ihr ein Lippenstift auf den Boden fällt, bereitet es ihr unendliche Mühe, ihn aufzuheben. Und die Krankheit schreitet unaufhaltsam fort. Deshalb hatte die Familie vor einigen Monaten versprochen, Esther beim Freitod zu unterstützen. Die alte Dame ist entschlossen, selbst den Zeitpunkt ihres Todes festzulegen. Das Schreckliche an ALS besteht darin, dass der Körper immer mehr gelähmt wird, bis der Kranke nichts mehr, kaum noch die Augen bewegen kann, während der Geist wach bleibt. Dies möchte Esther keineswegs erleben. Sie meint, der Augenblick sei nun gekommen, aus dem Leben "in Würde" auszuscheiden. Hat Esthers älteste Tochter Heidi den Entschluss ihrer Mutter akzeptiert, so ist die jüngere Sanne zunächst einmal entschlossen, den Selbstmord ihrer Mutter zu verhindern. Dennoch: In "Silent Heart – Mein Leben gehört mir" wird kaum über die eigentliche Frage gesprochen. Zwar findet etwa Erwähnung, dass Beihilfe zum Suizid gesetzlich verboten sei und dass jetzt der "richtige" Zeitpunkt sei, weil dies noch kaschiert werden könne. Über den Sinn eines solchen Verbots verliert in Augusts Film aber niemand ein Wort. Stattdessen sprechen sich Regisseur Bille August und sein Drehbuchautor Christian Torpe von Anfang an für den, wie es heißt, "selbstbestimmten Tod". Ähnlich im eingangs erwähnten "Das Meer in mir" legen die Filmemacher Esther ein Totschlagargument in den Mund: "Ich habe keine andere Wahl – ich kann nicht anders".

Gegensätzliche Trends und ein Totschlagargument

In Fragen der Achtung vor dem Leben von Anfang bis zum natürlichen Ende zeichnet sich im fiktionalen Filmbereich eine gegensätzliche Entwicklung ab: Kino- und Fernsehspielfilme plädieren so gut wie immer für das Lebensrecht eines ungeborenen Kindes, selbst wenn es schwerkrank ist. In solchen fiktionalen Situationen wird stets nach einer Lösung gesucht, die das Austragen des Kindes ermöglichen soll. Die Spielfilme, die sich mit dem Wunsch nach Selbsttötung beschäftigen, sprechen sich demgegenüber mit wenigen Ausnahmen für die Selbstbestimmung eines unheilbar Kranken aus. Auffallend ist es dabei, dass in Filmen über Abtreibung wohl ein Diskurs über das Für und Wider einer Entscheidung stattfindet. Eine Auseinandersetzung mit der Frage, was ein "Sterben in Würde" ausmacht, weicht hingegen in Filmen über den (assistierten) Suizid dem Totschlagargument "Ich will es so". Damit wird jede Diskussion darüber einfach verunmöglicht.

Dr. phil. José Garcia ist freier Journalist und Filmkritiker.

 

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