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"Bin bis heute betroffen über Joseph Ratzingers Maß an Selbstvergessenheit und Demut"

Kardinal Paul Josef Cordes wurde am 5. September 1934 im Sauerland geboren, 1961 zum Priester geweiht, 1976 folgte die Bischofsweihe. Papst Johannes Paul II. berief ihn 1980 zum Vizepräsidenten des Päpstlichen Rates für die Laien. Als Präsident des päpstlichen Hilfswerks "Cor Unum" koordinierte er weltweit die kirchliche Hilfe für Katastrophenopfer und gibt entscheidende Impulse für die Antrittsenzyklika von Papst Benedikt XVI. 2007 folgte die Aufnahme in das Kardinalskollegium. Im März 2013 nahm Kardinal Cordes am Konklave zum Nachfolger von Benedikt XVI. teil, aus dem Papst Franziskus hervorging.

Eine private Begebenheit mit dem späteren Papst Benedikt, und eine Erklärung, warum die Pontifikate besser verstanden werden, wenn man "mit dem Herzen" sieht, wie es der "Kleine Prinz" getan hat: Das sind nur zwei der Dinge, die Kardinal Paul Josef Cordes im Gespräch mit CNA erzählt, vor seinem Auftritt im Literaturhaus München am kommenden Freitag. 

Der Kurienkardinal gibt in seiner Autobiographie "Drei Päpste - Mein Leben" Zeugnis davon, wie Gott real in einem Leben wirkt und wie sich ihm Gottes Gegenwart in drei besonderen Päpsten überraschend gezeigt hat.

Herr Kardinal, Sie beschreiben eingangs das Bedauern, dass Ihnen entgegenschlug, als Sie im Jahr 1980 nach Rom berufen wurden. Was würden Sie denen sagen, die Ihnen damals ihr Mitleid ausgedrückt haben?

Ohne Frage war meine Berufung in den Vatikan ein Sprung ins kalte Wasser: klimatische Fremdheit; nicht nur angenehme Überraschungen. Da braucht man Geduld zum Eingewöhnen und Zeit zum Gewinnen verläßlicher Nähe. Heute kann ich nur Bruder Rudolf Recht geben. Er,  Mitglied der Gemeinschaft von "Taizé" und Protestant aus Hamburg, kommentierte meine Versetzung nach Rom: "Freuen Sie sich:  Rom, das ist das Herz der Kirche." Leben und Apostolat im Herzen der Kirche waren ein spannendes,  tolles Abenteuer. Mein Dank an Gott wird wohl nie das gebührende  Maß erreichen.

In Ihrem Buch kommen viele verschiedene Episoden und Analysen zum Vorschein. Welche Erinnerung an Papst emeritus Benedikt ist Ihnen besonders präsent, und warum? Ist es sein Rücktritt?

Wie für viele war auch für mich der Rücktritt von Benedikt XVI. ein Schock. Wir Kardinäle hatten im Konsistorium die lateinische Rede des Papstes gehört und liefen nach dessen Abschluß wie aufgescheuchte Hühner durcheinander.  Später jedoch lernte ich es, seine Entscheidung zu akzeptieren. Schon als Präfekt der Glaubenskongregation hatte er den Amtsverzicht eines Papstes als theologisch möglich vertreten. Dann hatte er – so denke ich – in seinem Gewissen vor Gott diese Überzeugung auf sich selbst angewandt und sich nach Abwägen aller Gesichtspunkte entschieden. Wer könnte ihn dafür verurteilen?

Ihre Frage hat bei mir noch an eine andere Begebenheit wachgerufen – eher eine private, aber eine sehr bezeichnende. Wir trafen uns während des Urlaubs in Brixen zum Essen. Kardinal Ratzinger galt damals schon als hochgeachteter Wissenschaftler; er war Mitglied der "Academie Francaise" (der sogenannten "Unsterblichen"); er hatte öffentlich mit Jürgen Habermas einen hochgescheiten philosophischen Dialog geführt; alle wußten um seine unersetzliche Zuarbeit für Papst Johannes Paul II.  Irgendwann kam unser Gespräch auf Hans Urs von Balthasar. Wir bewunderten seine unvergleichliche Kenntnis der Geistesgeschichte sowie des theologischen Forschens; daß er sich in den sechzig Jahren und auf den wohl 10.000 Seiten seiner veröffentlichen Studien genial gezeigt hatte und nie korrigieren mußte. Dann sagte der viel bewunderte Präfekt der Glaubenskongregation plötzlich über Balthasar: "Was für eine Gnade, diesen Mann gekannt zu haben!" Er war ganz Bewunderung für seinen Mitstreiter. Und ich bin bis heute betroffen über Joseph Ratzingers Maß an Selbstvergessenheit und Demut.

Über Papst Franziskus schreiben Sie in einem Kapitel "Sehschule mit dem ‘Kleinen Prinzen’’ — was meinen Sie damit?

Die letzten Seiten der Biographie versuchen den roten Faden zu finden, der meine Begegnungen mit allen drei Päpsten zusammenhält. Ich konnte im persönlichen Umgang mit ihnen eine Erfahrung sammeln, die ich gern weitergeben möchte: Die Hirten der Kirche haben nicht die Härte von System-Repräsentanten. Sie sind sensible Menschen, und das Beziehungsgeflecht der Kirche hat personale Qualität. Diese Einsicht fällt wohl niemandem  in den Schoß, der sich im Umgang mit allen Hirten der Glaubensgemeinschaft auf Fernsicht verläßt. Darum mein Zitat aus Saint Exuperys "Kleinem Prinzen": "Die Augen sind blind. Man muß mit dem Herzen suchen."   

Sie haben ja bereits zu Amoris Laetitia Stellung bezogen. Hätten Sie diesem Thema in Ihrer Biografie gerne noch ein Kapitel gewidmet? Oder wird das Thema Ihres nächsten Werks?

Weder das eine noch das andere. Ich bete, daß sich Jesus Christus auch in den aktuellen Turbulenzen als mächtig erweist. Als auf dem See von Galiläa ein Sturm die Jünger in Schrecken versetzte, heißt es: "Dann stand er auf, drohte dem Winden und dem See, und es trat völlige Stille ein" (Mt 8,26). Ich bin sicher, daß viele Katholiken sich dem Herrn im gleichen Sinn zuwenden.

Die Lesung und das anschließende Gespräch finden statt im Literaturhaus München, Salvatorplatz 1, am 15. April von 19:30 bis 21:00 Uhr. Der Abend wird veranstaltet von Reinhild Rössler vom Mediennetzwerk Pontifex, gemeinsam mit dem Herder Verlag, der durch den Verlagsleiter Manuel Herder vertreten sein wird. Der Eintritt ist kostenlos. 

Das Buch von Kardinal Paul Josef Cordes "Drei Päpste – Mein Leben" ist im Herder-Verlag erschienen und hat 336 Seiten.

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