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Muss ein Priester das Beichtgeheimnis brechen, um ein Verbrechen aufzuklären?

Das Sakrament der Beichte markiert den Neuanfang und die innere Umkehr.
Professor Christoph Ohly ist Rektor der Kölner Hochschule für Katholische Theologie (KHKT) und dort auch Lehrstuhlinhaber für Kirchenrecht, Religionsrecht und kirchliche Rechtsgeschichte.

Das Sakrament der Versöhnung, die Beichte, steht aktuell wieder schwer unter Beschuss. Angesichts des Missbrauchsskandals, der die Katholische Kirche in Frankreich momentan in Atem hält, wird auch die Forderung laut, das Beichtgeheimnis abzuschaffen, damit – so die Meinung – Missbrauchsverbrechen besser aufgeklärt werden könnten.

CNA Deutsch sprach mit dem Kirchenrechtler Christoph Ohly über die Gründe, die für das Beichtgeheimnis sprechen und auch über die Frage, wie Beichtväter damit umgehen sollen, falls ein Pönitent (Person, die eine Beichte ablegt) eine Missbrauchstat beichten will. 

Ohly ist Rektor der Kölner Hochschule für Katholische Theologie (KHKT) und dort auch Lehrstuhlinhaber für Kirchenrecht, Religionsrecht und kirchliche Rechtsgeschichte.

Herr Professor Ohly, der Vorsitzende der französischen Bischofskonferenz, Erzbischof Éric de Moulins-Beaufort, hat kürzlich in einem Interview gesagt: "Das Beichtgeheimnis hat für uns als Verpflichtung Vorrang vor den Gesetzen der Republik". Daraufhin gab es Proteste und der Erzbischof musste sich für seine "ungeschickte Formulierung" entschuldigen (CNA Deutsch hat berichtet). Hat der Erzbischof nicht trotzdem Recht?

Die Formulierung ist in der Tat missverständlich. Sie könnte so verstanden werden, als sei die Kirche eine Art rechtsfreier Raum in einem Staat. Das ist natürlich nicht der Fall. Die Gläubigen unterstehen als Staatsbürger den für alle geltenden Gesetzen. Das will die Aussage des Erzbischofs auch nicht leugnen. Seine Intention war es offensichtlich vielmehr, die prinzipielle Unverletzbarkeit des Beichtgeheimnisses zu betonen.

Was ist der Sinn des Beichtgeheimnisses?

Das Beichtgeheimnis (oder auch Beichtsiegel) gehört spätestens seit dem IV. Laterankonzil (1215) zu den besonderen Schutzvorschriften des Sakraments der Versöhnung. Die Beichte als ganze sowie das Sündenbekenntnis des Gläubigen im Besonderen sind sensible Ereignisse im Heilshandeln Gottes am einzelnen Menschen und fordern geradezu den Raum der Verschwiegenheit.

Denn auch wenn das Bußsakrament als Versöhnung des einzelnen Menschen mit Gott und der Kirche in deren umfassender Gemeinschaft gefeiert wird – das Sakrament ist ja immer eine Feier der ganzen Kirche –, so steht doch der Beichtende zugleich in seiner Individualität vor Gott. Gott schaut in seiner barmherzigen Liebe eben nicht auf eine unüberschaubare Masse, sondern immer auf den Einzelnen.

Dieser Blick Gottes und das Stehen des Menschen vor ihm bilden also einen höchstpersönlichen Akt, der in seiner Integrität durch die Verschwiegenheit des Priesters hinsichtlich seines bevollmächtigt-vermittelnden Handelns bewahrt bleiben soll.

Könnte eine Aufweichung des Beichtgeheimnisses nicht die Aufklärung von Missbrauchstaten erleichtern? Steht die Gerechtigkeit für Missbrauchsbetroffene nicht über dem Beichtsakrament?

Dass bei der Verfolgung von Missbrauchstaten die Gerechtigkeit für die Betroffenen an erster Stelle stehen muss, ist ein primäres und unbestrittenes Leitprinzip im Rahmen der kirchlichen und staatlichen Aufarbeitung. Doch gilt generell auch, dass der Zweck nicht immer die Mittel heiligt, das heißt, ich kann das eine nicht erreichen, indem ich ein anderes Unrecht gutheiße.

Die Wahrung des mit dem Beichtgeheimnis verbundenen Gewissens des Beichtvaters und die prinzipielle Schutzbedürftigkeit vertraulicher Aussagen sind hohe Güter im Dienst an Menschen, die nicht beschädigt werden dürfen. Ansonsten stünden sie in Gefahr, ihre unverzichtbare Bedeutung für eine vertrauliche Seelsorge zu verlieren.

Vielmehr müssen die Priester für solche Situationen geschult werden, andere rechtmäßige Maßnahmen zu treffen, um den betreffenden Pönitenten zur Selbstanzeige gegenüber den staatlichen Strafverfolgungsstellen zu bewegen.

Können staatliche Stellen unter bestimmten Voraussetzungen einen Priester zwingen, das Beichtgeheimnis brechen?

In Deutschland ist das Beichtgeheimnis zusammen mit dem sog. "Berufsgeheimnis" nach § 53 Abs. 1 Nr. 1 der Strafprozessordnung und § 383 Abs. 1 Nr. 4 der Zivilprozessordnung geschützt. Der Priester verliert sein damit verbundenes Aussageverweigerungsrecht nicht, auch wenn er von der Schweigepflicht entbunden würde.

Auch in strafrechtlicher Perspektive ist der Priester gemäß § 139 des Strafgesetzbuches von der Anzeigepflicht ausgenommen. Den Zwang zur Brechung des Beichtgeheimnisses verbietet folglich der Staat selbst, da er das Gewissen des Priesters und sein damit verbunden Berufsethos respektiert.

(Die Geschichte geht unten weiter)

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Gleichwohl sind in jüngerer Zeit von staatlicher Seite aus Versuche gestartet worden, den Schutz des Beichtgeheimnisses für spezifische Situationen aufzubrechen. Ich erinnere an die Initiative des damaligen Bundesinnenministers Wolfgang Schäuble im Januar 2008, den prinzipiellen Abhörschutz für Geistliche gemäß § 100 c Abs. 6 der Strafprozessordnung einzuschränken. Bisher blieb dies bei uns erfolglos. In anderen Staaten wurden solche Versuche jedoch tatsächlich in geltendes Staatsrecht überführt.

Was würde mit einem Priester geschehen, der nachweislich das Beichtgeheimnis gebrochen hat? Welche Strafen seitens der Kirche hat er zu erwarten?

Die Kirche hat in ihrem seit 1983 geltenden Gesetzbuch in can. 983 § 1 CIC erneut das strenge Verbot für den Beichtvater normiert, "den Pönitenten durch Worte oder auf irgendeine andere Weise und aus irgendeinem Grund irgendwie zu verraten". Und um diese Verpflichtung zu unterstreichen, belegt das kirchliche Strafrecht einen Beichtvater, der das Beichtgeheimnis direkt verletzt, mit der durch die Tat selbst eintretenden Exkommunikation (vgl. can. 1388 § 1 CIC), die nach entsprechender Reue des Beichtvaters nur durch den Apostolischen Stuhl (hier die Apostolische Pönitentiarie) wieder aufgehoben werden kann.

Die Normen unterstreichen daher die herausgehobene Bedeutung des Beichtgeheimnisses für das sakramentale Leben der Kirche, in deren Geschichte nicht wenige Priester getötet wurden, weil sie am Beichtgeheimnis trotz äußerer Bedrängnis treu festhielten. Das wohl bekannteste Beispiel ist der heilige Johannes Nepomuk, in jüngerer Zeit der Widerstandskämpfer Hermann Josef Wehrle.

Wenn das Beichtgeheimnis nicht aufgeweicht werden kann, wie sollte Ihrer Meinung nach ein Beichtvater dann mit einem Pönitenten umgehen, der Missbrauch beichten will?

Ich sprach bereits davon, dass heutzutage die Priester für solche Situationen noch stärker geschult werden müssen, namentlich in der Fähigkeit, andere rechtmäßige Maßnahmen zu treffen, um den Pönitenten zur Selbstanzeige gegenüber den staatlichen Strafverfolgungsstellen zu bewegen.

Grundsätzlich ist ja der Empfang der Absolution immer auch mit der nachfolgenden Bereitschaft verbunden, entstandenen Schaden, so gut es geht, wiedergutzumachen und dies beispielsweise in konkreten Werken der Buße zu bezeugen. Im Blick auf mögliche Missbrauchstaten gehört dazu zweifelsohne die Entscheidung, sich den staatlichen Strafverfolgungsbehörden zu stellen.

Für das Bewirken einer solchen konsequenten Handlung bedarf es im Rahmen der Beichte sicher einer eindeutigen und klaren Verkündigung, die darauf abzielt, die Unvereinbarkeit zwischen dem Empfang der göttlichen Barmherzigkeit und dem Entzug vor staatlicher Gerechtigkeit zu verdeutlichen.

Wäre die Absolution überhaupt gültig, wenn sich der Pönitent, nachdem er Missbrauch gebeichtet hat, nicht auch freiwillig den Behörden stellt? Kann der Beichtvater einem Pönitenten die Absolution verweigern, wenn dieser die begangene Missbrauchstat weiterhin vertuscht?

Die Voraussetzung für einen heilbringenden Empfang des Sakraments der Versöhnung ist die rechte Disposition. Dazu gehört gemäß can. 987 CIC die Reue und der gute Vorsatz. Die Reue entsteht durch die Gewissenserforschung und ermöglicht die rechte Erkenntnis der Sünden und auch möglicher Straftaten. Sie gipfelt im Bedauern gegenüber dem, was geschehen ist, und führt zu der Bereitschaft, sich Gottes Barmherzigkeit zu übereignen.

Ihre Echtheit wird erkennbar, wenn sie sich mit der Bereitschaft verbindet, einen guten Vorsatz zu nehmen, der in der Regel mit dem Beichtvater vereinbart wird.

Fehlen die Reue oder der gute Vorsatz, dann ist die rechte Disposition nicht gegeben. Dann kann der Beichtvater die Absolution nicht erteilen.

Wird dies vom Beichtvater jedoch nicht erkannt und die Absolution dennoch erteilt, bleibt sie unwirksam.

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