Auf dem kontrovers diskutierten „Synodale Weg“ bleiben die Lehre der Kirche ebenso wie der dringende Wunsch von Papst Franziskus nach Evangelisierung außen vor. Damit lassen sich die neuesten Entwicklungen hierzulande als bewusste Abkehr von der Theologie des Zweiten Vatikanischen Konzils begreifen, das bekanntlich nicht eine Anpassung der Moraltheologie an den launischen Zeitgeist, sondern eine neue Sprachfähigkeit des Glaubens gefordert und die Verkündung des Evangeliums gewünscht hat. 

In „Veritatis splendor“ zeigt der heilige Johannes Paul II. die enge wie notwendige Verknüpfung von Evangelisierung und Morallehre auf. Er diagnostiziert zunächst eine fortschreitende „Entchristlichung“, die „nicht nur den Verlust des Glaubens oder zumindest seine Bedeutungslosigkeit für das Leben nach sich“ ziehe, „sondern notgedrungen auch einen Verfall oder eine Trübung des sittlichen Empfindens“. Der Sinn für die „Ursprünglichkeit der Moral des Evangeliums“ sei verloren gegangen, die „Verdunkelung fundamentaler sittlicher Grundätze und Werte“ schreite voran: „Heute so weit verbreitete subjektivistische, utilitaristische und relativistische Tendenzen treten nicht einfach als pragmatische Positionen mit Gewohnheitscharakter auf, sondern unter theoretischem Gesichtspunkt als feste Konzeptionen, die ihre volle kulturelle und gesellschaftliche Legitimität beanspruchen.“ Darum fordert der Papst leidenschaftlich die Verknüpfung von „»Neuevangelisierung«“ mit der „Verkündigung und dem Anbieten einer Moral“: „Wie im Falle der Glaubenswahrheiten, ja in noch höherem Maße, bekundet eine Neuevangelisierung, die Grundlagen und Inhalte der christlichen Moral darlegt, ihre Authentizität und verströmt gleichzeitig ihre ganze missionarische Kraft, wenn sie sich durch das Geschenk nicht nur des verkündeten, sondern auch des gelebten Wortes vollzieht. Insbesondere ist es das Leben in Heiligkeit, das in so vielen demütigen und oft vor den Blicken der Menschen verborgenen Gliedern des Volkes Gottes erstrahlt, was den schlichtesten und faszinierendsten Weg darstellt, auf dem man unmittelbar die Schönheit der Wahrheit, die befreiende Kraft der Liebe Gottes, den Wert der unbedingten Treue, selbst unter schwierigsten Umständen, angesichts aller Forderungen des Gesetzes des Herrn wahrzunehmen vermag.“ Johannes Paul II. empfiehlt das Vorbild der Heiligen. Doch heute werde die „Reflexion über das sittliche Leben“ vernachlässigt, insbesondere in der Theologie – und in unserer Zeit, fast 30 Jahre nach der Publikation der Enzyklika, lässt sich mit Bedauern und Schmerz nur bekunden, dass weite Teile der Moraltheologie sich noch weiter ins Unbestimmte hineinbegeben haben. 

Das Glaubensleben der Kirche, so fordert der Papst, müsse neu erweckt werden: „Für die Identitätsbestimmung der Theologie und folglich für die Verwirklichung ihrer eigentlichen Funktion ist es äußerst wichtig, ihren inneren und lebendigen Zusammenhang mit der Kirche, ihrem Geheimnis, ihrem Leben und ihrer Sendung anzuerkennen: »Die Theologie ist kirchliche Wissenschaft, weil sie in der Kirche wächst und über die Kirche handelt... Sie steht im Dienst der Kirche und muß sich daher dynamisch einbezogen fühlen in die Sendung der Kirche, besonders in ihre prophetische Funktion«.“ Die Theologie ist kirchlich geprägt, diese Bindung ist nicht eine Option, sondern ein verpflichtender Auftrag. Die römisch-katholische Theologie hat nicht die Aufgabe, die Lehre der Kirche – wie auch immer – weiterzudenken oder fortzuentwickeln oder sich von ihr lau zu distanzieren, sondern diese Lehre wissenschaftlich zu vertiefen und zu vermitteln. 

Johannes Paul II. stellt unmissverständlich klar: „Nicht nur im Bereich des Glaubens, sondern auch und untrennbar davon im Bereich der Moral greift das Lehramt der Kirche ein, dessen Aufgabe es ist, »durch das Gewissen der Gläubigen bindende Urteile jene Handlungen zu bezeichnen, die in sich selber mit den Forderungen des Glaubens übereinstimmen und seine Anwendung im Leben fördern, aber auch jene Handlungen, die aufgrund ihres inneren Schlechtseins mit diesen Forderungen unvereinbar sind«. Durch die Verkündigung der Gebote Gottes und der Liebe Christi lehrt das Lehramt der Kirche die Gläubigen auch konkrete Einzelgebote und verlangt von ihnen, sie gewissenhaft als sittlich verpflichtend zu betrachten. Außerdem übt das Lehramt ein wichtiges Wächteramt aus, indem es die Gläubigen vor möglichen, auch nur implizit vorhandenen Irrtümern warnt, wenn ihr Gewissen nicht dahin gelangt, die Richtigkeit und Wahrheit der vom Lehramt der Kirche gelehrten sittlichen Regeln anzuerkennen.“ Die Moraltheologen seien verpflichtet, ihr Amt loyal, im Geist einer „inneren und äußeren Zustimmung zur Lehre des Lehramtes sowohl auf dem Gebiet des Dogmas wie auf dem der Moral“ auszuüben. Energisch weist Johannes Paul II. die zeitgenössischen Moden ab, die manche dazu verleiten, sich auf ein „nur im Rahmen der sogenannten Humanwissenschaften erarbeitetes Wissen“ zu beschränken: „Tatsächlich muß die Zuständigkeit der Humanwissenschaften in der Moraltheologie stets an der ursprünglichen Frage gemessen werden: Was ist gut bzw. böse? Was muß ich tun, um das ewige Leben zu gewinnen?“

Die Moraltheologie müsse „in Treue zum übernatürlichen Sinn des Glaubens vor allem die geistliche Dimension des menschlichen Herzens und seine Berufung zur göttlichen Liebe“ stehen: „Es ist das Evangelium, das die ganze Wahrheit über den Menschen und über den sittlichen Weg enthüllt und so die Sünder erleuchtet und ermahnt und ihnen von der Barmherzigkeit Gottes kündet, der unablässig wirkt, um sie zu bewahren sowohl vor der Verzweiflung darüber, daß sie das göttliche Gesetz nicht erkennen und befolgen können, als auch vor der falschen Meinung, sich ohne Verdienst retten zu können. Es erinnert sie darüber hinaus an die Freude der Vergebung, die allein die Kraft dazu verleiht, im sittlichen Gesetz eine befreiende Wahrheit, eine Gnade zur Hoffnung, einen Lebensweg zu erkennen.“ Der heilige Papst warnt vor einer Relativierung der Sittenlehre und einer Gefolgschaft gegenüber säkularen Meinungen. Die Morallehre sei nicht von „Entscheidungsverfahren demokratischer Art bestimmt“. Sehr genau beobachtet Johannes Paul II. den „kalkulierten Protest“ und die öffentliche Polemik gegen die Lehre der Kirche und betont, dass „im Widerstand“ gegen diese „weder eine legitime Ausdrucksform der christlichen Freiheit noch der Vielfalt der Gaben des Geistes zu erkennen“. Darum erklärt er: „In diesem Fall haben die Hirten die Pflicht, ihrem apostolischen Auftrag gemäß zu handeln und zu verlangen, daß das Recht der Gläubigen, die katholische Lehre rein und unverkürzt zu empfangen, immer geachtet wird.“ Wie sehr wünschen sich dies einfach gläubige Katholiken auch heutzutage in Deutschland von ihren Bischöfen.

Die bisher bei CNA Deutsch veröffentlichten Geistlichen Betrachtungen zu den Enzykliken von Johannes Paul II. im Überblick.

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