Der 7. Juli 2007 bleibt für viele Katholiken in Deutschland und der Welt, für Kleriker und Weltchristen, in leuchtender Erinnerung. Papst Benedikt XVI. hatte mit „Summorum pontificum“ ein Motu proprio erlassen, das dem liturgischen Frieden diente. Ich dachte an diesem Tag an meinen 1991 verstorbenen Großvater. In Ostpreußen geboren, war er sein ganzes Leben hindurch ein treues Glied der Kirche. Auch das II. Vatikanische Konzil wertschätzte er sehr, so wie er alle Päpste verehrte, die zu seinen Lebzeiten zum Stellvertreter Christi erwählt und damit zum Diener der Diener Gottes bestellt waren. Die Liturgiereform von 1970 hat mein Großvater nicht verstanden, aber im kirchlichen Gehorsam angenommen. Für ihn blieb unbegreiflich, warum das kostbare Gewebe der Liturgie einer Revision bedurfte, warum Hochaltäre zerstört wurden – und warum plötzlich oft der Priester im Mittelpunkt der Feier der heiligen Geheimnisse zu stehen schien. 

Nach und nach stellten sich die besonderen Formen und Eigenheiten des „Novus Ordo“ ein. Viele haben eigensinnige Experimentgottesdienste vor Augen, nach persönlichen Vorlieben und besten Absichten gestaltete Regionalliturgien, die irgendwie für Gläubige attraktiv sein sollten und ein beredtes Zeugnis für einen ungezügelten Eigensinn gaben. Papst Benedikt hat dies in seinem Brief an die Bischöfe vom 7. Juli 2007 angesprochen: „Viele Menschen, die klar die Verbindlichkeit des II. Vaticanums annahmen und treu zum Papst und zu den Bischöfen standen, sehnten sich doch auch nach der ihnen vertrauten Gestalt der heiligen Liturgie, zumal das neue Missale vielerorts nicht seiner Ordnung getreu gefeiert, sondern geradezu als eine Ermächtigung oder gar als Verpflichtung zur »Kreativität« aufgefaßt wurde, die oft zu kaum erträglichen Entstellungen der Liturgie führte. Ich spreche aus Erfahrung, da ich diese Phase in all ihren Erwartungen und Verwirrungen miterlebt habe. Und ich habe gesehen, wie tief Menschen, die ganz im Glauben der Kirche verwurzelt waren, durch die eigenmächtigen Entstellungen der Liturgie verletzt wurden.“ 

Auch Papst Franziskus hat dies in seinem Begleitschreiben an die Bischöfe aufgenommen und an die episkopalen Korrekturpflichten erinnert: Kein Geistlicher ist der Herr der Liturgie, sondern ein jeder ist Diener der heiligen Geheimnisse – und jeder gläubige Katholik hat das Recht auf eine ordnungsgemäße, also nicht an örtlichen Gewohnheiten oder priesterlichen Vorlieben, sondern an den liturgischen Normen orientierte, würdig gefeierte heilige Messe. Papst Benedikt hegte die Hoffnung, dass „sich beide Formen des Usus des Ritus Romanus gegenseitig befruchten: Das alte Meßbuch kann und soll neue Heilige und einige der neuen Präfationen aufnehmen.“ Diesen Schritt hat er angedeutet. In gleicher Weise, so habe ich es mir erhofft, hätten die Übersetzungen der Schrifttexte aus dem Missale 1962 etwa angemessen revidiert werden können. Auch im „Novus Ordo“ erleben wir leider, dass die Heiligen dieser Zeit in der Allerheiligenlitanei so gut wie nie genannt werden – von Johannes Paul II. bis hin zu John Henry Newman. Eine andere „Befruchtung“ wäre eine Neubesinnung im „Novus Ordo“ etwa auf den Gregorianischen Choral gewesen – entsprechend den Vorgaben der Konzilskonstitution „Sacrosanctum concilium“. Das alles blieb aus. 

Papst Benedikt hat in seinen sensiblen, wahrhaft pastoralen Erläuterungen darauf hingewiesen, „daß es nicht an Übertreibungen und hin und wieder an gesellschaftlichen Aspekten fehlt, die in ungebührender Weise mit der Haltung jener Gläubigen in Zusammenhang stehen, die sich der alten lateinischen liturgischen Tradition verbunden wissen“. Die Sorge vor einer restaurativen, ja reaktionären Gesinnung bestand mancherorts durchaus. Derselbe Vorbehalt galt der exponierten Haltung mancher Gläubiger, die annehmen, dass die Feier der heiligen Messe nach dem Missale von 1962 die einzig wahre Form der Messfeier sei. Damit korreliert das Selbstbewusstsein anderer Christen, die liturgisch alles für überkommen, museal und falsch halten, was vor dem Missale von 1970 verbindlich gültig war. 

Benedikt hat darauf aufmerksam gemacht, „daß junge Menschen diese liturgische Form entdecken, sich von ihr angezogen fühlen und hier eine ihnen besonders gemäße Form der Begegnung mit dem Mysterium der heiligen Eucharistie finden“. Auch heute findet sich eine Bestätigung hierfür. Die Sehnsucht nach Gott, nach der Begegnung mit dem Heiligen und der innige Wunsch nach einer würdig gefeierten Eucharistiefeier bestehen fort. Darum haben viele junge Menschen die außerordentliche Form der heiligen Messe als eine geistliche Oase in den Wüsten dieser Zeit erlebt. Der „usus antiquior“ war, ist und bleibt auch wichtig für die Evangelisierung. Benedikt XVI. erinnerte die Bischöfe daran, die spirituelle Dimension der Liturgie zu achten und zu fördern: „In der Feier der Messe nach dem Missale Pauls VI. kann stärker, als bisher weithin der Fall ist, jene Sakralität erscheinen, die viele Menschen zum alten Usus hinzieht. Die sicherste Gewähr dafür, daß das Missale Pauls VI. die Gemeinden eint und von ihnen geliebt wird, besteht im ehrfürchtigen Vollzug seiner Vorgaben, der seinen spirituellen Reichtum und seine theologische Tiefe sichtbar werden läßt.“

Mit Bedauern müssen wir heute sehen und eingestehen, dass Liturgie in den Diskussionen in der Kirche hierzulande überhaupt keine Rolle spielt. Stattdessen werden säkulare Nebenthemen von vermeintlich eminent hoher Wichtigkeit erörtert. 

Papst Franziskus hat die Bischöfe ermahnt, „Traditionis custodes“ zu sein. Ich wünsche mir von den Bischöfen, dass sie kraft ihrer Vollmacht aus pastoraler Sorge um die Wahrung des Glaubens den Reigen liturgischer Missbräuche beenden. Diese Formen zeigen nur die Entfremdung von Gott und der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche an. Der englische Philosoph Thomas Hobbes legte in seinem staatsphilosophischen Traktat „Leviathan“ dar: „Das Ziel des Staates ist der Frieden.“ Er äußerte dieser vor dem Hintergrund des englischen Bürgerkriegs. Ob das Motu proprio „Traditionis custodes“ dem liturgischen Frieden in der Kirche dient? 

Papst Benedikt XVI. hat 2007 mit „Summorum pontificum“ ein wegweisendes, pastoral wertvolles Motu proprio erlassen. So blieben die Überlegungen zu einer „Reform der Reform“, die er sich so sehr gewünscht hat, weithin unbeachtet. Benedikt formulierte in seinem Brief an die Bischöfe damals treffend: „Was früheren Generationen heilig war, bleibt auch uns heilig und groß; es kann nicht plötzlich rundum verboten oder gar schädlich sein. Es tut uns allen gut, die Reichtümer zu wahren, die im Glauben und Beten der Kirche gewachsen sind und ihnen ihren rechten Ort zu geben. Um die volle communio zu leben, können die Priester, die den Gemeinschaften des alten Usus zugehören, selbstverständlich die Zelebration nach den neuen liturgischen Büchern im Prinzip nicht ausschließen. Ein völliger Ausschluß wäre nämlich nicht in Übereinstimmung mit der Anerkennung des Wertes und der Heiligkeit des Ritus in seiner erneuerten Form.“

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