2. Februar 2022
Wie kam es zum „Synodalen Weg“ in Deutschland? Auf der Frühjahrs-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) im März 2019 in Lingen wurde das Projekt beschlossen. Der damalige DBK-Vorsitzende Kardinal Reinhard Marx berichtete in der Abschluss-Pressekonferenz der Lingener Vollversammlung über den Beschluss, „einen verbindlichen Synodalen Weg als Kirche in Deutschland zu gehen, der eine strukturierte Debatte ermöglicht und in einem verabredeten Zeitraum stattfindet, und zwar gemeinsam mit dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken. Wir werden Formate für offene Debatten schaffen und uns an Verfahren binden, die eine verantwortliche Teilhabe von Frauen und Männern aus unseren Bistümern ermöglichen. Wir wollen eine hörende Kirche sein“.
LINK-TIPP: Deutsche Bischöfe: Kehrtwende beim "Synodalen Weg"
Für dieses Projekt wählten die Deutsche Bischofskonferenz und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) einen Sonderweg. Im Herbst 2019 beschlossen beide Gremien als Organisatoren des Synodalen Weges eine Satzung. Sie bestimmt über die Zusammensetzung: Der Versammlung gehören 68 Bischöfe, 121 Laien sowie 40 Priester und Diakone an. Ihre Beschlüsse erfordern eine Zweidrittelmehrheit der anwesenden Mitglieder, die eine Zweidrittelmehrheit der anwesenden Mitglieder der Deutschen Bischofskonferenz enthält.
Zur Umsetzung bestimmt die Satzung: „Beschlüsse der Synodalversammlung entfalten von sich aus keine Rechtswirkung. Die Vollmacht der Bischofskonferenz und der einzelnen Diözesanbischöfe, im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeit Rechtsnormen zu erlassen und ihr Lehramt auszuüben, bleibt durch die Beschlüsse unberührt.“
Das Kirchenrecht und der Bischof
Dieser Teil der Satzung ist brisant. Warum tagt mit großem Aufwand eine Versammlung mehrere Jahre, obwohl ihre Beschlüsse keine „Rechtswirkung“ entfalten? Der anschließende Satz gibt dazu teilweise eine Antwort. Natürlich kennen die Initiatoren das Kirchenrecht; auch wenn sie es vielfach ignorieren – in diesem Fall halten sie sich – formal – an die gültigen Bestimmungen. Denn im Gesetzesbuch der katholischen Kirche (CIC) heißt es: „Dem Diözesanbischof kommt in der ihm anvertrauten Diözese alle ordentliche, eigenberechtigte und unmittelbare Gewalt zu, die zur Ausübung seines Hirtendienstes erforderlich ist; ausgenommen ist, was von Rechts wegen oder aufgrund einer Anordnung des Papstes der höchsten oder einer anderen kirchlichen Autorität vorbehalten ist“ (Can. 381). In der Satzung des Synodalen Weges wird diese kirchenrechtliche Bestimmung beachtet, aber auf Dauer in wesentlichen Zügen abgeschafft. Dies erfolgt über eine freiwillige Selbstverpflichtung der Diözesanbischöfe, die Beschlüsse des Synodalen Weges in ihrem Bistum umzusetzen. Sie schränken ihre vom Kirchenrecht vorgesehene Vollmacht wesentlich ein zugunsten der Mehrheitsbeschlüsse von Gremien.
Bei einem Interview im Deutschlandfunk hat der amtierende ZdK-Präsident Thomas Sternberg auf die Frage nach der Umsetzung am 19. November 2021 geantwortet: „Das Kirchenrecht ist so angelegt, dass tatsächlich Bischöfe das letzte Wort haben, wobei wir eine Regelung eingeführt haben, und da haben wir es so gemacht, dass im Grunde genommen bei solchen Mehrheitsabschlüssen und Mehrheitsbestimmungen, wenn dann ein Bischof in einem kleinen Bistum eine Regelung nicht umsetzt, dann gibt es schon einen erheblichen Druck und das wird auch nicht ganz ohne Folgen bleiben. Außerdem: Selbst wenn das in ein paar Bistümern passierte, so etwas kann sich dann auch biologisch regeln.“
Im Ergebnis bedeutet diese Haltung: Formal hält man sich im Synodalen Weg an dieser Stelle an das Kirchenrecht, versucht es aber soweit wie möglich zu umgehen und baut „erheblichen Druck“ auf die Bischöfe auf, um das geltende Kirchenrecht umgehen zu können. Im äußersten Fall rechnet man damit, dass wenigstens der Nachfolger sich beugt.
Der Papst schreibt einen Brief
Es ist verständlich, dass ein solches Vorhaben in Deutschland Aufmerksamkeit im Vatikan ausgelöst hat. Bereits nachdem die deutschen Bischöfe den Beschluss zur Durchführung des Synodalen Weges im Frühjahr 2019 gefasst hatten, nahm sich Papst Franziskus – nach eigenen Worten – einen Monat Zeit, um einen Brief „An das pilgernde Volk Gottes in Deutschland“ zu verfassen. Diese Reaktion war außergewöhnlich, vielleicht historisch. Papst Franziskus findet in seinem Brief viele gute Worte, aber er trägt auch seine Sorgen vor. So beschreibt Papst Franziskus: „Heute indes stelle ich gemeinsam mit euch schmerzlich die zunehmende Erosion und den Verfall des Glaubens fest mit all dem, was dies nicht nur auf geistlicher, sondern auch auf sozialer und kultureller Ebene einschließt. … Um dieser Situation zu begegnen, haben Eure Bischöfe einen synodalen Weg vorgeschlagen.“
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Der Papst erinnert an den Besuch der Deutschen Bischöfe im Vatikan am 20. November 2015 und an Beschlüsse des II. Vatikanischen Konzils. „Meinerseits habe ich meine Betrachtungen zum Thema Synodalität anlässlich der Feier des 50-jährigen Bestehens der Bischofssynode dargelegt“, schreibt er und weist auf die Apostolische Konstitution „Episcopalis communio“ vom 15. September 2018 hin. „Es handelt sich im Kern um einen synodos, einen gemeinsamen Weg unter der Führung des Heiligen Geistes“, schreibt der Papst. „Das aber bedeutet, sich gemeinsam auf den Weg zu begeben mit der ganzen Kirche unter dem Licht des Heiligen Geistes, unter seiner Führung und seinem Aufrütteln, um das Hinhören zu lernen und den immer neuen Horizont zu erkennen, den er uns schenken möchte. Denn die Synodalität setzt die Einwirkung des Heiligen Geistes voraus und bedarf ihrer.“ Ob diese Worte des Papstes auf offene Ohren stoßen, wird noch zu beleuchten sein.
Im Vatikan wird offenbar geahnt, was sich da in Deutschland anbahnt, und so versucht Papst Franziskus, mögliche Fehlentwicklungen anzusprechen. Er warnt in seinem Brief vor „subtilen Versuchungen“ und bittet, Vorsicht walten zu lassen. Man solle nicht an „vorgefassten Schemata und Mechanismen festhalten, die in einer Entfremdung oder einer Beschränkung unserer Mission enden“. Und er warnte: „Wenn wir uns dieser Versuchungen nicht bewusst sind, enden wir leicht in einer komplizierten Reihe von Argumentationen, Analysen und Lösungen mit keiner anderen Wirkung, als uns von der wirklichen und täglichen Begegnung mit dem treuen Volk und dem Herrn fernzuhalten.“
Gleichzeitig warnte er auch vor Passivität und Resignation. Vielmehr bedeute die gegenwärtige Situation „eine Einladung, sich dem zu stellen, was in uns und in unseren Gemeinden abgestorben ist, was der Evangelisierung und der Heimsuchung durch den Herrn bedarf. Das aber verlangt Mut, denn, wessen wir bedürfen, ist viel mehr als ein struktureller, organisatorischer oder funktionaler Wandel.“
Weiter schreibt der Papst: „Eine der ersten und größten Versuchungen im kirchlichen Bereich besteht darin zu glauben, dass die Lösungen der derzeitigen und zukünftigen Probleme ausschließlich auf dem Wege der Reform von Strukturen, Organisationen und Verwaltung zu erreichen sei, dass diese aber schlussendlich in keiner Weise die vitalen Punkte berühren, die eigentlich der Aufmerksamkeit bedürfen. Es handelt sich um eine Art neuen Pelagianismus, der dazu führt, unser Vertrauen auf die Verwaltung zu setzen, auf den perfekten Apparat.“
Unter Pelagianismus wird im Christentum die Lehre verstanden, dass die menschliche Natur nicht durch die Erbsünde verdorben worden sei, sondern schließlich, als von Gott geschaffen, gut sein müsse, wenn man nicht unterstellen wolle, ein Teil der Schöpfung Gottes sei böse. Im Kern lehrt die nach ihrem Begründer Pelagius benannte Doktrin also, es sei grundsätzlich möglich, ohne Sünde zu sein. Zugespitzt handelt es sich um eine Lehre der Selbsterlösungsmöglichkeit und -fähigkeit des Menschen.
Papst Franziskus schreibt weiter in seinem Brief an die Katholiken in Deutschland: „Die Grundlage dieser Versuchung ist der Gedanke, die beste Antwort angesichts der vielen Probleme und Mängel bestehe in einem Reorganisieren der Dinge, in Veränderungen und in einem ‚Zurechtflicken’, um so das kirchliche Leben zu ordnen und glätten.”
Der Papst hat eine andere Empfehlung: „Ein wahrer Wandlungsprozess beantwortet, stellt aber zugleich auch Anforderungen, die unserem Christ-Sein und der ureigenen Dynamik der Evangelisierung der Kirche entspringen; ein solcher Prozess verlangt eine pastorale Bekehrung. Wir werden aufgefordert, eine Haltung einzunehmen, die darauf abzielt, das Evangelium zu leben und transparent zu machen.“
Der Papst formuliert zurückhaltend und höflich, nie aufdringlich und vorwurfsvoll. Aber sein Brief steckt voller Hinweise und Empfehlungen. Und es ist keine fromme Floskel, wenn er auch darauf hinweist: „Wir bedürfen des Gebetes, der Buße und der Anbetung.“ Und er verspricht: „Ich möchte euch zur Seite stehen und euch begleiten.“
Die freundlichen Worte des Papstes sind nicht angemessen aufgegriffen worden. Kein einziges synodales Beratungsdokument erwähnt den vom Papst beschriebenen Glaubensverfall. Ein Antrag, den vom Papst besonders hervorgehobenen Evangelisierungsbedarf als fünftes Thema in die Beratungen des Synodalen Weges einzufügen, wurde abgelehnt.
Der Papst hat daraufhin zwar eher in Andeutungen, aber doch erkennbar genug reagiert: „Manchmal bin ich sehr traurig, wenn ich eine Gemeinschaft sehe, die guten Willens ist, aber in die falsche Richtung geht, weil sie glaubt, der Kirche mit Versammlungen zu helfen, als wäre sie eine politische Partei. Aber, die Mehrheit, die Minderheit, was halten Sie von diesem, jenem, dem anderen ... Und das ist wie eine Synode, ein synodaler Weg, den wir einschlagen müssen .... Ich frage mich: Wo ist der Heilige Geist dort? Wo ist das Gebet? Wo gibt es Gemeinschaftsliebe? Wo ist die Eucharistie?“ Ohne diese „vier Koordinaten“, warnte der Papst am 25 November, 2020, „wird die Kirche zu einer menschlichen Gesellschaft, zu einer politischen Partei“. Weiter sagte Franziskus: „Die Kirche ist kein Markt; die Kirche ist keine Gruppe von Unternehmern, die dieses neue Unternehmen vorantreiben. Die Kirche ist das Werk des Heiligen Geistes, den Jesus uns gesandt hat, um uns zu versammeln.“
Synoden sind Versammlungen von Bischöfen. Auf weltkirchlicher Ebene hat Papst Paul VI. sie am Schluss des Konzils ins Leben gerufen. Seitdem gab es 18 Vollversammlungen mit jeweils 137 bis 253 teilnehmenden Bischöfen sowie weiteren Gästen, darunter zahlreichen beratenden Laien. 2018 bekräftigte Papst Franziskus: „Die Bischofssynode, die in gewisser Weise ein Abbild des ökumenischen Konzils darstellt und dessen Geist und Methode widerspiegelt, besteht aus Bischöfen.“
Das Format der Synode
Das Format der Synode wurde auch für Teilkirchen und einzelne Bistümer weiter entwickelt. Das kirchliche Gesetzbuch, der „Codex Iuris Canonici“ (CIC), regelt seit der Neufassung im Jahr 1983 auch die Rechte und Pflichten von Diözesansynoden. In Canon 460 heißt es dazu: „Die Diözesansynode ist eine Versammlung von ausgewählten Priestern und anderen Gläubigen der Teilkirche, die zum Wohl der ganzen Diözesangemeinschaft dem Diözesanbischof nach Maßgabe der folgenden Canones hilfreiche Unterstützung gewähren.“ Neben dem Klerus ist die gleichberechtigte Teilnahme von Laien vorgesehen, die vom Pastoralrat zu wählen sind.
Das hat einen einfachen Grund: Eine Diözesansynode regelt keine Angelegenheiten der Glaubens- und Sittenlehre, die dem bischöflichen Lehramt vorbehalten sind. Mit dem Konzil wurde der Auftrag der Laien hervorgehoben, durch ihren Dienst die Welt im christlichen Geist zu verwandeln. Das Konzil betonte: „Den Laien ist der Weltcharakter in besonderer Weise eigen ... Sache der Laien ist es, Kraft der ihnen eigenen Berufung in der Verwaltung und in der Gott gemäßen Regelung der zeitlichen Dinge das Reich Gottes zu suchen“ (Lumen Gentium Nr. 31). Mit der „Weltgestaltung“ ist das Apostolat zum Beispiel in Arbeitswelt, Familie, Gesellschaft und Politik gemeint. Am bekanntesten ist der Satz in der Konzilskonstitution Lumen Gentium (33): „Die Laien sind besonders dazu berufen, die Kirche an jenen Stellen und in den Verhältnissen anwesend und wirksam zu machen, wo die Kirche nur durch sie das Salz der Erde werden kann.“
Nachdem der Synodale Weg in Deutschland eine Abweichung von den weltkirchlichen Regeln für Synoden erkennen ließ, hat der Vatikan in einem Brief an die deutschen Bischöfe, datiert am 4. September 2019, deren Pläne für einen verbindlichen „Synodalen Weg“ in Deutschland als „ekklesiologisch ungültig“ bezeichnet. In einem an Erzbischof Kardinal Reinhard Marx adressierten Brief schrieb Kardinal Marc Ouellet, Leiter der Bischofskongregation des Vatikans, dass die Pläne für eine Plenarversammlung den Erwartungen des Briefs von Papst Franziskus vom Juni entsprechen müssten. Wie zu erwarten war, betonte Kardinal Marc Ouellet, dass eine Synode in Deutschland nicht die universale Lehre oder Disziplin der Kirche ändern könne.
Gutachten vom Rat für die Gesetzestexte
Ein außerdem vom Präsidenten des Päpstlichen Rates für Gesetzestexte unterzeichnete Gutachten besagt, dass die Vorhaben der deutschen Bischöfe gegen kirchenrechtliche Vorschriften verstoßen und darauf abzielen, die universalen Vorschriften und die Lehre der Kirche zu ändern. Erzbischof Filippo Iannone, Präsident des Päpstlichen Rates für Gesetzestexte, stellte bei seiner juristischen Überprüfung der Entwürfe fest, dass die deutschen Bischöfe vier Schwerpunktthemen behandeln wollen: „Macht, Partizipation und Gewaltenteilung“, „Sexualmoral“, „Priesterliche Lebensform“, „Frauen in Diensten und Ämtern der Kirche“.
„Es ist leicht zu erkennen, dass diese Themen nicht nur die Kirche in Deutschland betreffen, sondern auch die universale Kirche und – von wenigen Ausnahmen abgesehen – nicht Gegenstand der Überlegungen oder Entscheidungen einer Partikularkirche sein können.“ Das römische Schreiben betont: Die Synodalität in der Kirche sei nicht gleichbedeutend mit Demokratie oder Mehrheitsentscheidungen, so Erzbischof Filippo Iannone.
Erzbischof Reinhard Kardinal Marx erklärte daraufhin, der Synodale Weg sei „ein Prozess eigener Art“ und könne daher nicht an den kirchenrechtlichen Vorgaben für Partikularkonzilien gemessen werden. Aber darf eine Ortskirche das weltweit gültige Kirchenrecht missachten und sinngemäß erklären, dass man sich selbst davon befreie?
Eine theologische Begründung als Erwiderung für die aus Rom vorgebrachten Einwände lieferte die Kirche in Deutschland nicht. Vielmehr wird auf der Homepage des Synodalen Weges hervorgehoben: „Der Synodale Weg ist kein (kirchenrechtlich) definiertes Format, sondern eigener Art (sui generis). … Die Verbindlichkeit der Erkenntnisse eines solchen Weges verantworten alle diejenigen, die offiziell an ihm beteiligt sind. Die Verbindlichkeit in der Umsetzung kommt je nach Thema dem Apostolischen Stuhl und/oder dem Ortsbischof zu. … Warum keine Synode: Eine Synode ist ein vom Kirchenrecht her klar definiertes Format, in dem von der Themensetzung bis zur Zusammensetzung der Teilnehmenden und deren Kompetenzen alles geregelt ist. Eine Synode bedarf der Zustimmung durch den Heiligen Stuhl, die oft erst nach einem längerfristigen Verfahren erteilt werden kann. Das verlangsamt das notwendige Tempo bei der Behandlung der anstehenden Fragen.“
Kirchenrecht missachtet
Der Synodale Weg gibt damit offen zu, dass er das Kirchenrecht missachtet und es bevorzugt, den für alle weltweit geltenden Regeln auszuweichen. Für den vorgetragenen Grund, nämlich das verzögerte Tempo, gibt es weder Veranlassung noch Begründung.
Das war vor 50 Jahren anders: Damals veranstaltete die katholische Kirche in Deutschland bereits eine Synode zum Umsetzung der Beschlüsse des 2. Vatikanischen Konzils. Weil es noch keine kirchenrechtlichen Regelungen gab, stimmten die deutschen Bischöfe alle wichtigen Regelungen – auch die Beteiligung der Laien – mit dem Vatikan ab. Papst Paul VI. erteilte der deutschen Synode am 3. Januar 1971 seinen apostolischen Segen. Bei der gegenwärtig stattfindenden Veranstaltung ist ungewiss, ob und wie die Deutschen den Vatikan überhaupt offiziell in Kenntnis gesetzt haben. Das Schreiben von Kardinal Marc Ouellet aus dem Vatikan gibt Anlass zu Zweifeln, dass dies überhaupt erfolgt ist.
Ein Dissens zwischen dem Vatikan und der Mehrheit in der deutschen Bischofskonferenz wurde also von Anfang an deutlich. „Warum hat der Synodale Weg den Brief von Papst Franziskus nicht ernster genommen und, wie es sich für eine Synode gehört, die kritischen Fragen im Licht des Evangeliums betrachtet?“ Das fragte kritisch Kardinal Walter Kasper, der emeritierte Präsident des Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen, im Interview mit dem „Passauer Bistumsblatt“. Der Synodale Weg gebe „in der Öffentlichkeit wahrlich kein gutes Bild. Ich mache mir große Sorgen, bin jedoch mit einem abschließenden Gesamturteil vorsichtig“.
Ob der Synodale Weg ihm den Schlaf raube, wollte Ende August 2021 ein Journalist von Papst Franziskus wissen. Als Antwort verwies der Heilige Vater auf seinen Brief „An das pilgernde Volk Gottes in Deutschland“: „Ich habe einen Monat lang daran gearbeitet, und ihn persönlich auf Spanisch geschrieben, der dann ins Deutsche übersetzt wurde“ (CNA Deutsch, 13. September 2019). Er habe in den vielen Bischöfen, mit denen er gesprochen habe, „keinen schlechten Willen“ feststellen können. Aber „sie berücksichtigen nicht einige Dinge, die ich in dem Brief anspreche.“ Diese Worte des Papstes sind eindeutig.
Deutliche Kritik äußerte auch der ehemalige deutsche Kurienkardinal Paul Josef Cordes. Hier „verschwimmt der Rang der Glaubensdimension“, so Kardinal Cordes in einem umfangreichen Aufsatz. Nach Ansicht des Kardinals unterwirft das deutsche Synodenstatut die Glaubenswahrheiten der Abstimmung der synodalen Zusammenkunft und unterlasse den Hinweis auf die Entscheidungen des höchsten kirchlichen Lehramts.
Die höfliche, aber unüberhörbare Sorge und Kritik aus dem Vatikan setzte sich fort. So erinnerte Papst Franziskus an die vom Konzil festgehaltene Aufgabenteilung: „Das Konzil ist das Lehramt der Kirche. Entweder ist man bei der Kirche und folgt daher dem Konzil, und wenn man dem Konzil nicht folgt oder es auf seine eigene Weise interpretiert, wie man will, ist man nicht bei der Kirche. In diesem Punkt müssen wir anspruchsvoll und streng sein“, sagte Papst Franziskus am 30. Januar 2021 bei einer Audienz mit Katechisten in Rom.
Aufhorchen lässt das Grußwort des Apostolischen Nuntius am 23. Februar 2021: Zum Auftakt der Frühjahrsvollversammlung der deutschen Bischofskonferenz rief der Apostolische Nuntius als Vertreter des Papstes in Deutschland, Erzbischof Nikola Eterovic, die versammelten Bischöfe dazu auf, die „lebendige Tradition der Kirche“ zu wahren und wies auf die „Sorge des Papstes um das rechte Verständnis von Synodalität“ hin. „Auch die katholische Kirche in Deutschland befindet sich in einer Krise“, betonte Eterovic in seinem Grußwort. Ebenso in seinem Grußwort zum Auftakt der Herbstvollversammlung der deutschen Bischofskonferenz ermahnte der Nuntius am 20. September 2021 die deutschen Bischöfe, fest verbunden in der Einheit der katholischen Kirche zu bleiben.
Über die Qualifizierung einzelner Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Synodalen Weges berichtete das Online-Portal
katholisch.de. Es interviewte eine 22-jährige Sozialarbeit-Studentin, die nach ihrer Mitarbeit befragt wurde und u.a. antwortete: „Ich fand es ehrlich gesagt ziemlich schwierig, mich inhaltlich darauf vorzubereiten. Es war mir nicht möglich, alle Texte, die eingereicht wurden, zu lesen. Es waren sehr viele und sehr lange Texte und der Synodale Weg ist nicht mein Hauptberuf. Ich war im Praxissemester, habe nebenbei gearbeitet und einen Umzug gestemmt. Daher konnte ich die Texte nur überfliegen und ich habe auf die Expertise von vielen Menschen gehofft und mich mit anderen ausgetauscht und Expertisen eingeholt. … Gerade bei den Kommentierungen hatte ich nicht die Zeit und nicht die Muße dazu, mitzukommentieren. Und ich glaube, das ging vielen anderen auch so. Das liegt nicht daran, dass wir nicht willig gewesen wären, sondern einfach daran, dass das quasi unsere Freizeit ist, die wir hier gerade hergeben und im normalen Alltag nicht so viel Zeit dafür ist.“
Diese Äußerung zeigt, welche unterschiedliche Voraussetzungen die Teilnehmenden mitbringen, deren Versammlung für sich beansprucht, über weltweit gültige Lehraussagen der katholischen Kirche mitbestimmen oder sie zumindest beeinflussen zu können.
Ob die realisierte Gesprächskultur beim Synodalen Weg den vom Papst aufgezeigten Erfordernissen entspricht, muss aufgrund vorhandener Schilderungen aus dem Teilnehmerkreis angezweifelt werden.
„Ich habe oft den Eindruck, es geht auf dem Synodalen Weg mehr um Machtpolitk, Interessen und Tagesordnungsmanagement als um Geschwisterlichkeit und Geistlichkeit und das Hören auf den Geist Gottes“, schilderte die Teilnehmerin Dorothea Schmidt. „De facto signalisieren manche Teilnehmer mit in die Luft fliegenden roten oder grünen Karten vom BDKJ, durch Applaus oder Buh‐Rufe, was sie von Wortbeiträgen halten.“ Dass die Ziele des Synodalen Weges längst festgezurrt waren, habe sie bereits zu Beginn der Veranstaltungen festgestellt: „Jeder Widerspruch dazu sowie Beiträge unter Berufung auf die göttliche Offenbarung wurden im Keim erstickt, Einwände wurden abgelehnt.“ Schon bei der ersten Synodalversammlung sei den konservativen Teilnehmern das Wort gekappt und seien kritische Wortmeldungen „unter den synodalen Tisch“ gefallen. „Das kann natürlich passieren, aber seltsam war es.“
Sie habe manchmal den Eindruck, man wolle solche Stimmen am liebsten aus dem Diskurs werfen. „Als ich in einem Wortbeitrag über die Ergänzung und Polarität von Mann und Frau sowie zur katholischen Sexualethik sprach – da rauften sich die Matadore die Haare, schüttelten sich vor Entsetzen und rangen vor Empörung um Fassung.“ Alternativtexte seien mit dem Argument vom Tisch gewischt worden, dass das „zu viel kleinteiliges Arbeiten“ bedeutet hätte. Kritische Äußerungen zur Mehrheitsmeinung wurden teils als „törichte Bemerkungen“ bezeichnet. Dorothea Schmidt empfand dies als Framing, „in der Schule würde man Mobbing sagen.“ Ihre Erlebnisse hat sie in einem Buch beschrieben: „Pippi-Langstrumpf-Kirche. Meine Erfahrungen auf dem Synodalen Weg.“ Es ist bereits in zweiter Auflage erschienen.
Einklang mit Rom gesucht
Es gibt weitere Reaktionen: Das Bistum Regensburg hat zum Beispiel eine Homepage (
https://www.synodale-beitraege.de) eingerichtet, um Alternativtexte, Kommentare und vatikanische Stellungnahmen zu den Beschlussentwürfen des Synodalen Weges zu veröffentlichen und Presseberichte zur Verfügung zu stellen. „Wir wissen uns im Einklang mit den römischen Stellungnahmen“, schreibt Rudolf Voderholzer, Bischof von Regensburg, in der Einführung, und teilt mit: „Wir gehen den Synodalen Weg mit, kommen aber mehr und mehr zu der Überzeugung, dass er in den bisher gefahrenen Gleisen nicht ans Ziel führen kann. … So gut es ging, wurden die hier vorgelegten Argumente in den Prozess des Synodalen Weges eingebracht. Aufgrund der dort herrschenden Mehrheitsverhältnisse wurden und werden sie aber bislang nicht berücksichtigt.“
Eine weitere Gegenbewegung geht vom „Arbeitskreis christlicher Anthropologie“ und der damit verbundenen Initiative „Neuer Anfang“ aus, auf deren Homepage (
https://neueranfang.online/) bereits 6.000 Unterschriften gesammelt wurden. Sie wurden dem Papst am 5. Januar 2022 überreicht. Diese Initiative hat ein Reform-Manifest veröffentlicht, das neun Thesen aufstellt:
- Legitim sind Forderungen in der Kirche nur dann, wenn sie aus dem Evangelium begründet, in den Glauben aller eingebettet und von der universalen katholischen Kirche mitgetragen werden.
- Die Kirche bedarf einer Reform an Haupt und Gliedern, aber jede echte Reform in der Kirche beginnt mit Bekehrung und spiritueller Erneuerung. Die Kirche gewann noch nie Salz und Licht zurück durch Reduzierung der Ansprüche und strukturelle Anpassung an die Welt.
- Wir sind Teil der „einen, heiligen, apostolischen und katholischen Kirche“. „Dass alle eins sind“, ist Jesu letzter Wunsch. Wir leiden schon heute genug unter den Spaltungen des Leibes Christi und wollen nicht noch einmal eine deutsche Sonderkirche.
- In der Kirche geht alle Macht vom Herrn aus. Macht in der Kirche ist immer nur geliehene Macht, und sie kann nur in demütigem Dienst an den Menschen bestehen. Ihre Ausübung muss legitim und transparent sein; falschen Machtgebrauch von Hirten aber mit der Herrschaft der Büros zu beantworten, ist kein Weg für die Kirche.
- Dem Beispiel Jesu folgend, muss das Charisma von Frauen in der Kirche noch tiefer erkannt werden. Es ist aber abwegig, die Zuweisung des priesterlichen Dienstamtes an Männer als Diskriminierung von Frauen zu deuten.
- Das Sakrament der Ehe ist der Bund einer Frau und eines Mannes mit Gott und das unvergleichliche Heilszeichen für die Treue Gottes zu seinem Volk; dieses Zeichen darf niemals in eine Reihe gestellt werden mit rein menschlichen Verbindungen welcher Art auch immer.
- Keinem Menschen darf der Segen Gottes vorenthalten werden. Die Kirche muss aber jeden Anschein vermeiden, als würde sie einen dem Ehesakrament vergleichbaren Segen zur „Ehe für alle“ und zu gleichgeschlechtlichem Sex geben.
- Der Dienst der Kirche an der Welt ist Laien und Priestern gemeinsam und ohne Unterschied in den Zielen und der Würde anvertraut. Trotzdem sollten Laien tun, was nur Laien tun können und Priester den Dienst leisten, wozu sie durch die Kirche berufen und durch die Weihe befähigt wurden.
- Der sexuelle Missbrauch ist der Mühlstein um den Hals der Kirche. Amtsträger in der Kirche sind zu messen an der Transparenz, mit der sie Vergehen in der Vergangenheit aufarbeiten und Prävention für die Zukunft betreiben. Wir wenden uns aber gegen den Missbrauch mit dem Missbrauch.
Die erste Vollversammlung des Synodalen Weges startete Anfang Februar 2021 aufgrund der Corona-Pandemie in digitaler Form. Bereits sieben Beschlussentwürfe lagen zu diesem Zeitpunkt vor. Deren Zahl erhöhte sich bis zur zweiten Plenumsveranstaltung – diesmal analog in Frankfurt – Ende September/Anfang Oktober 2021. Vom 3. bis 5. Februar findet die dritte Synodalversammlung in Frankfurt statt.
Weiterführende Informationen:
Bisher in der Serie von Martin Grünewald veröffentlicht:
Hinweis: Meinungsbeiträge wie dieser spiegeln die Ansichten der jeweiligen Gast-Autoren wider, nicht unbedingt die der Redaktion von CNA Deutsch.
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