Als in diesem November die G7-Außenminister in Deutschland zusammentrafen, fehlte im Tagungsraum ein wichtiger Gegenstand. Die Außenminister der sieben wichtigsten Industriestaaten der Welt trafen sich im historischen Friedenssaal von Münster, wo im Jahr 1648 der 30-jährige Krieg friedlich beendet worden war. Ein symbolträchtiger Ort – nur mit dem Makel, dass das wichtigste Symbol dort – ein Kruzifix – zuvor entfernt worden war.

Damit könnte ein neues Symbol geschaffen worden sein: ein kulturentleerter Raum, der nur noch als äußere Hülle dienen soll. Ein Zeichen für das schwindende öffentliche Bewusstsein und den Bedeutungsverlust des Christentums in unserer Gesellschaft?

Die deutsche Außenministerin bedauerte später den Vorgang. Das Kreuz war auf Bitten des Auswärtigen Amtes entfernt worden, allerdings offenbar nicht auf Anweisung von höchster Stelle, sondern im vorauseilenden Gehorsam. Das macht es nicht harmloser: Diplomaten der Bundesregierung gehen wie selbstverständlich davon aus, dass der alles durchdringende Ursprung unserer Kultur nicht mehr dazu gehört oder gar stört.

Immerhin hat es massive öffentliche Kritik an diesem Vorgang gegeben, was vielleicht zum Zurückrudern der Außenministerin beitrug, die natürlich die politische Verantwortung für ihr Ministerium trägt. Bei einer länger andauernden Diskussion über dieses Thema hätten die Verursacher nur schlechte Karten auf der Hand gehabt. Deshalb wurde der Konflikt rasch entschärft.

Anders beim Berliner Stadtschloss, das auf Beschluss des Bundestages und durch dreistellige private Millionenspenden wieder aufgebaut wurde. An seiner Kuppel wurde ein Zitat wiederhergestellt, das sich aus zwei bedeutenden Sätzen des Neuen Testamentes zusammensetzt: „Es ist in keinem andern Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, denn in dem Namen Jesu, zur Ehre Gottes des Vaters. Dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind.“ Dies hatte bereits der preußische König Friedrich Wilhelm IV. (1795-1861) anbringen lassen.

Dagegen formierte sich Widerstand. Bereits im Sommer zur Eröffnung des Humboldt-Forums, welches das Schloss jetzt als Museum nutzt, gab es Kritik und Distanzierung. Inzwischen kündigte diese Bundesstiftung an, ein Hinweisschild auf der Dachterrasse anzubringen. „Alle Institutionen des Humboldt-Forums distanzieren sich ausdrücklich von dem Alleingültigkeits- und Herrschaftsanspruch des Christentums, den die Inschrift zum Ausdruck bringt“, soll demnach auf der Tafel stehen.

Der Erzbischof von Berlin, Heiner Koch, interpretierte die Inschrift an der Kuppel anders. Für ihn betonten die Verse, „dass die Menschen sich nur vor Gott verbeugen und keiner irdischen Macht diese Ehre erweisen sollen.“ Daraus spreche eine große Freiheit. Die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) äußerte stattdessen Bedenken gegen die Inschrift.

Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Claudia Roth (67, Grüne), will die Bibelworte nachts mit anderen Texten überschreiben. Es werde an einem „Kunstprojekt zur temporären Überblendung der rekonstruierten Inschrift mit alternativen, kommentierenden und reflektierenden Texten“ gearbeitet, schrieb sie der CDU/CSU-Fraktion auf deren Anfrage Anfang November. Dazu erklärte die stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Dorothee Bär: „Aufgabe der Kulturstaatsministerin ist es, sich um die historische Rekonstruktion zu kümmern, und nicht die Geschichte umzuschreiben und für die aktuelle ideologische Prägung ihrer Partei passfähig zu machen.“ Wilhelm von Boddien, Hauptsammler von privaten Spenden zur Wiederherstellung des Schlosses, fürchtete einen „kulturellen Bruch, wie wir ihn in unserer Geschichte noch nie hatten – die Herrschaft der Säkularisierung über unsere 2000 Jahre alten Wurzeln im Christentum“.

Warum fürchten Staatsministerin Claudia Roth und andere Kritiker die Wiederherstellung zweier Bibelstellen an einem historischen Gebäude, die ohne Zweifel zur Grundlage der deutschen und europäischen Kultur geworden sind? Warum müssen sie sich demonstrativ distanzieren? Warum nehmen sie gleichzeitig kritiklos hin, dass das Glaubensbekenntnis einer anderen Religion über Lautsprecher in den öffentlichen Raum verkündet werden darf? Denn beim Muezzinruf, der jetzt regelmäßig in Köln verkündet wird, handelt es sich um keine Errungenschaft unserer Kulturgeschichte, wohl aber um einen aktuellen religiösen „Herrschaftsanspruch“. Er lautet: „Allah ist größer! Ich bezeuge, dass es keinen Gott gibt, außer Allah! Ich bezeuge, dass Muhammad der Gesandte Allahs ist! Kommt zum Gebet! Kommt zum Heil! Allah ist größer! Es gibt keinen Gott außer Allah!“

Damit nicht genug. Weitgehend abseits der Öffentlichkeit hat der Bundestag kürzlich das Personenstandsgesetz geändert. Künftig kann jeder Bürger selbst über ein Nutzerkonto seine Personenstandsdaten in das Personenstandsregister eingeben und über ein Verwaltungsportal auf elektronischem Weg diese dem zuständigen Standesamt zuleiten.

Mit dieser Änderung wurde gleichzeitig die bisher mögliche freiwillige Eintragung der Religionszugehörigkeit komplett abgeschafft, und auch die Kirchen werden keine Möglichkeit bekommen, wie bisher Daten der Kirchenmitglieder abzurufen. Dagegen hat die Vorsitzende des Katholischen Arbeitskreises in der CDU Thüringen, Claudia Heber, protestiert: „Die Mütter und Väter unserer Verfassung haben ganz bewusst keine absolute Trennung von Kirche und Staat vollzogen, sondern den christlichen Wurzeln Raum in den Grundrechten der Bürger gegeben. Die Religionsfreiheit bietet den größtmöglichen Schutz vor ideologischer und religiöser Vereinnahmung. Unter dem Deckmantel der Digitalisierung wird jedoch der Umbau unserer Gesellschaft weiter voran getrieben und die Religionszugehörigkeit mit missionierender Gründlichkeit gleich an mehr als zehn Stellen aus Registergesetz und -verordnung verbannt.“

Claudia Heber wies auf die Widersprüchlichkeit der Begründung hin. Einerseits solle die fortschreitende Digitalisierung die Standesämter entlasten, andererseits werde ein Mehraufwand beklagt. „Mit welcher Leichtigkeit solche Entscheidungen von Abgeordneten getroffen werden, macht fassungslos“, erklärte Claudia Heber. Gegenstimmen kamen allein aus der CDU/CSU-Fraktion.

Kein Zweifel: Mit dem Regierungswechsel in Berlin hat sich auch der Wind für das christliche Erbe in Deutschland gedreht. Offenkundig wurde dies auch beim diesjährigen St. Michael-Jahresempfang auf Einladung des Kommissariats der deutschen Bischöfe in Berlin. In der Einladung an die Medienvertreter hieß es routinemäßig und ausdrücklich, dass „auch Mitglieder der Bundesregierung“ erwartet werden. Selbst die Kanzlerin ließ sich gerne beim wichtigsten Treffen von Politik und katholischer Kirche in der Bundeshauptstadt blicken. Nur in diesem Jahr fand kein einziges Mitglied der Bundesregierung die Zeit für eine solche Begegnung. Auf das Bestreben, die Kirche gegenwartskonform zu machen, reagiert die Ampelregierung eher mit eiskalter Schulter als mit Anerkennung.

Liegt der Stimmungswandel nur an der neuen Bundesregierung? Oder gibt es hausgemachte Ursachen? Die Anliegen der Katholiken in der Öffentlichkeit vertritt nach eigener Aussage das Zentralkomitee der Katholiken (ZdK). Allerdings hat es sich in den letzten Jahren als (Mit-)Initiatorin des „Synodalen Wegs“ zunehmend der binnenkirchlichen Debatte gewidmet. Obwohl seiner Mitgliederversammlung eine Reihe von prominenten Politikern, darunter zwei amtierende Ministerpräsidenten angehören, zeigt die eingetretene Schwerpunktverlagerung offenbar Wirkung. Oder gab es politische ZdK-Statements zu den eben aufgeworfenen Themen? Auf der ZdK-Homepage dominieren in den Rubriken der Pressemitteilungen und der Erklärungen eindeutig die Themen des Synodalen Weges. Hatte nicht Papst Franziskus in seinem „Brief an das pilgernde Volk Gottes in Deutschland“ (2019) davor gewarnt, als Kirche um sich selbst zu kreisen?

Hinweis: Meinungsbeiträge wie dieser spiegeln allein die Ansichten der jeweiligen Gast-Autoren wider, nicht die der Redaktion von CNA Deutsch.

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