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Wie kann man in diesem Jahr Advent feiern? Geht das angesichts des Krieges und des Elends der Menschen in der Ukraine, der fortwährenden Pandemie, der wachsenden Hungersnot in Afrika, der Klimaerwärmung?

Kann man sich ruhig in den Sessel zurücklehnen, eine erste Adventskerze anzünden, Adventsmusik anschalten und sich auf Weihnachten freuen?

Können uns die heutigen Texte etwas dazu sagen? Auf jeden Fall sagen sie uns: Seid wach, schlaft nicht, träumt nicht. Sie sagen uns aber wohl auch: Flieht nicht in utopische Ferne, sondern stellt euch der heutigen Weltsituation. Denn – wir können und müssen es glauben: Die heutige Weltsituation wurde von Gott zugelassen. Gott fordert uns durch sie heraus, unser Herz und unser Hirn aufzuwecken. Denn als Gott den Menschen schuf, schuf er ihn für die Freiheit. Gott ging das Risiko ein, dass der Mensch seine Freiheit zum Guten gebraucht oder sie missbraucht, dass er übertreibt und sich gehen lässt. Und er hat dem Menschen auch den Verstand gegeben, die Fähigkeit zu denken und zu beurteilen. Und vielleicht weint Gott über das, was die Menschen aus dem Paradies gemacht haben und machen. Vielleicht will er uns durch die heutige Weltsituation etwas sagen, uns helfen, ein klein wenig zu dem von ihm gedachten Paradies zurückzurufen. Will er uns aufrütteln? Was will er uns sagen?

Vielleicht helfen uns Adventslieder: In einem heißt es: Wachet auf, ruft uns die Stimme, der Wächter sehr hoch auf der Zinnen, Wach auf du Stadt Jerusalem.

Verziehen Sie, wenn ich jetzt einen Seitenblick auf die Politik werfe. Sagen nicht in diesen Tagen gescheite Interpreten der jüngsten Geschichte: Europa hat die letzten zwanzig Jahre geschlafen, sich im Wohlstand gesonnt und nicht gemerkt, wie es abhängig wurde von russischem Gas, wie es abhängig wurde von verschiedenen Exporten und Importen. Wohlstand und Reichtum haben uns einschlafen lassen, wir sind auf dem Liegestuhl am Strand in der Sonne eingeschlafen.

Und auch die wunderbaren Fortschritte in der Medizin haben uns vielleicht schläfrig gemacht. Wir sagten uns vielleicht: Es gibt ja gegen alle möglichen Krankheiten Medikamente und Operationen.

Zurück zu Jesus Christus. Er hatte gesagt: Wie die Menschen in den Tagen vor der Sintflut aßen, tranken, und heirateten bis zu dem Tag, an dem Noah in die Arche stieg, bis die Flut hereinbrach und alle wegraffte, so wird es auch bei der Ankunft des Menschensohnes sein. Seid also wachsam, denn ihr wisst nicht, an welchem Tag Euer Herr kommt. Haltet euch bereit, denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, in der ihr es nicht vermutet.

Wir sollen keine Angst haben vor der Ankunft des Menschensohnes, aber wir sollen wach sein, ihn zu empfangen.

Ich glaube, wir sollten nicht nur wachsam sein gegenüber physischen Gefahren, Krieg und Atomkrieg, sondern noch viel mehr auf die geistigen Gefahren unserer Tage, auf die heimlichen Verführungen.

Nehmen wir die aktuellen Bedrohungen: immer mehr Menschen werden physisch bedroht, angegriffen. Besonders Frauen. Kommt das vielleicht auch von deutschen Fernsehprogrammen, kommt das vielleicht auch von Hetze im Netz, in den sogenannten sozialen Medien? Seien wir als Christen wach. Mir scheint es besonders wichtig, die geistigen oder ungeistigen Bewegungen der Menschheit zu beobachten. Dazu reichen Schlagzeilen nicht, dazu muss man viel lesen und viel denken. Es gibt viele Anreize durch Menschen und Mächte, die eine fragwürdige Weltanschauung verkaufen oder einfach nur Geld verdienen wollen. Wer wach ist, beobachtet, mit welchen Motiven wir angeleitet werden, nach Dingen zu suchen, die uns schaden, die wir überhaupt nicht brauchen, die uns nicht glücklich machen. Christen sollen nicht Menschen sein, die hauptsächlich auf den Himmel warten, sondern die voller Verantwortung mitten in der Welt leben und sich selbst und vor allem auch ihre Angehörigen vor Schaden warnen, vor Schaden an Seele und Leib. Wir haben viele, gute Medizin für den Körper. Wir brauchen aber auch und wohl viel mehr Medizin für die Seele. Dafür ist der Advent eine gute Zeit. Es geht darum, dass wir einen Anker für unsere Seele suchen und finden.

Lehnen wir uns also ruhig zurück. Seien wir wach vor dem Adventskranz und beginnen nachzudenken über die Sintflut von Angeboten. Und schauen wir aus nach der sicheren Arche, in die wir steigen können. Ich sage in alter Tradition: Die Arche ist der Glaube. Verankert ist die Arche in Jesus Christus. Wenn wir uns in IHM verankern, wenn wir in IHM sind, sind wir stark. Dann kann uns nichts passieren.

Pater Eberhard von Gemmingen SJ war von 1982 bis 2009 Redaktionsleiter der deutschen Sektion von Radio Vatikan.

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