In seiner Botschaft zum 56. Weltfriedenstag am 1. Januar 2023 sagte Papst Franziskus: „Wir können nicht mehr nur daran denken, den Bereich unserer persönlichen oder nationalen Interessen zu schützen, sondern wir müssen uns im Lichte des Gemeinwohls begreifen, mit einem Gemeinschaftssinn, das heißt als ein ‚Wir‘, das offen ist für eine allumfassende Geschwisterlichkeit. Wir dürfen nicht nur unseren eigenen Schutz anstreben, sondern es ist an der Zeit, dass wir uns alle für die Heilung unserer Gesellschaft und unseres Planeten einsetzen und die Grundlagen für eine gerechtere und friedlichere Welt schaffen, die sich ernsthaft um ein Gemeinwohl müht, das wirklich alle miteinschließt.“

Ende Januar fand in der einzigen englischsprachigen katholischen Gemeinde in Genf eine interreligiöse Feier anlässlich des Weltfriedenstags statt. Die jährliche interreligiöse Veranstaltung wird von der Ständigen Vertretung des Heiligen Stuhls bei den Vereinten Nationen in Genf zusammen mit den Diözese Lausanne, Genf und Freiburg organisiert. Neben Vertretern verschiedener Religionen war dieses Jahr auch Kardinal Michael Czerny SJ, der Präfekt des Dikasteriums für den Dienst zugunsten der ganzheitlichen Entwicklung des Menschen, aus dem Vatikan angereist. Der Vertreter des Heiligen Stuhls bei der UN in Genf, Erzbischof Fortunatus Nwachukwu, leitete die Veranstaltung, die er als interreligiöse Feier „zum betenden Nachdenken über den kostbaren und empfindlichen Wert des Friedens“ bezeichnete.

Wir sprachen mit dem Erzbischof darüber, was interreligiöser Dialog ist und ob der Heilige Stuhl bei der UN in Genf einen Evangelisierungsauftrag hat.

Exzellenz, der Heilige Stuhl in Genf schätzt dieses jährlich stattfindende, interreligiöse Fest sehr?

Ja, es ist tatsächlich ein sehr wichtiges Fest für uns. Tatsächlich ist es das nationale Fest des Heiligen Stuhls, welches wir hier in der Mission des Heiligen Stuhls feiern. Andere Missionen, Nuntiaturen, feiern diesen Nationalfeiertag am Fest von St. Peter und Paul Ende Juni oder am Tag der Wahl oder der Einsetzung, der Inthronisierung des Papstes. Hier feiern wir den Tag, an dem wir die Botschaft des Papstes zum Weltfriedenstag verkünden.

Und das ist für uns hier sehr wichtig wegen der Besonderheit dieser Mission, die den multilateralen Fragen folgt, nicht nur den Menschenrechten, sondern auch Fragen im Zusammenhang mit Abrüstung und Waffenkontrolle und den unzähligen anderen Fragen bei der UN.

Für uns ist also die Frage des Friedens von grundlegender Bedeutung, und es ist uns wichtig, die Botschaft des Heiligen Vaters, jedes Jahr wenn wir den Weltfriedenstag begehen, in das Bewusstsein aller zu rücken. Und genau das haben wir am 31. Januar gefeiert.

In Ihrer Eröffnungsrede haben Sie den Heiligen Vater zitiert, der in seiner Botschaft zum Weltfriedenstag sagte: „Die größte Lektion, die wir aus Covid-19 gelernt haben, ist die Erkenntnis, dass wir alle einander brauchen.“ Ist es nicht leider auch bei den Religionen, den verschiedenen Religionen, so, dass es anscheinend eines beunruhigenden Ereignisses, einer Krise bedarf, um uns zu zeigen, dass wir einander brauchen, unabhängig davon, ob wir einer Religion angehören oder nicht?

Sie haben Recht, dass es nicht wirklich eine Frage der Religion ist, sondern eine Frage unserer menschlichen Natur. Wenn es uns gut geht, neigen wir oft dazu, Gott zu vergessen und zu vergessen, dass wir andere brauchen. Wir neigen dazu, selbstsüchtig und egozentrisch zu werden. Aber wenn die Dinge anfangen, schlecht zu laufen, wenn wir in einer Krise stecken, denken und erinnern wir uns an Gott, und denken auch daran, dass wir einander brauchen. Das ist eine menschliche Tendenz, zu der eigentlich alle Menschen neigen, und deshalb ist es wichtig, dass wir die Aufmerksamkeit darauf lenken, besonders in diesem Moment der Krise.

Wie der Heilige Vater sagte, zuallererst hat uns die Covid-19-Krise gelehrt, dass niemand von uns sich allein retten kann. Wir brauchen einander. Und das ist ein wichtiger Punkt, ein zentraler Punkt in der Botschaft des Heiligen Vaters, der uns daran erinnert, dass das Wertvollste, was wir haben, und auch das Zerbrechlichste, das wir leicht zerstören oder aus den Augen verlieren können, die Tatsache ist, dass wir alle Brüder und Schwestern in einer Familie sind.

Sie haben auch an den Appell von Papst Franziskus erinnert, den Krieg in der Ukraine sofort zu beenden. Ist dies ein Ziel, das Ihrer Beobachtung nach von allen Religionen bzw. deren Vertretern geteilt wird?

Das ist eine sehr komplexe Situation. Der Einmarsch in die Ukraine und der Krieg in der Ukraine haben ein sehr spezielles Problem geschaffen und sind zu einer großen Herausforderung für den Multilateralismus und die Suche nach Frieden geworden.

Wenn ein Mensch provoziert wird, erfordert es einen großen Akt des Mutes, nicht der Versuchung der Rachesucht nachzugeben oder seine Stärke zu zeigen. Deshalb hat der Papst von Anfang an sehr entschlossene Schritte unternommen, mutige Schritte, um die eine Seite davon abzuhalten, auf eine bestimmte Art und Weise auf eine Provokation zu reagieren, die über Provokation und Aggression hinausgeht, und auch um die andere Seite vom Rande der Aggression zurückzubringen. Der Heilige Vater hat von Anfang an versucht, sich für den Frieden einzusetzen und zum Frieden aufzurufen, und der Heilige Vater und der Heilige Stuhl sind immer auf diesem Weg geblieben, alle zum Frieden aufzurufen.

Es ist wahr, dass Menschen die Religion manipulieren können und die Religion sogar dazu benutzen, um abscheuliche Taten und Verbrechen zu rechtfertigen, Menschen, die die Religion sogar dazu benutzt haben, um Dinge zu rechtfertigen, die ihre Mitmenschen entmenschlichen.

Aber der Papst hat unterstrichen, besonders in seiner Enzyklika „Fratelli Tutti“, dass jede authentische religiöse Lehre die Bedeutung des Friedens unterstreicht und die Notwendigkeit für alle Gläubigen unterstreicht, den Frieden zu suchen, weil alle authentischen Lehren der Religion sich auf die brüderliche Liebe zubewegen.

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Jede Religion, die ich kenne, strebt nach geschwisterlicher Liebe. Ich habe Ihnen vor einiger Zeit gesagt, dass ich selbst als jemand, der in einer Kultur aufgewachsen ist, die das Christentum von westlichen Missionaren erhalten hat, es als skandalös empfinde, dass die beiden Seiten, die in diesen Konflikt verwickelt sind, zwei und viele mehrheitlich christliche Bevölkerungen sind. Wie können wir uns Christen nennen und uns trotzdem gegenseitig auf diese Weise umbringen?

Wir vergessen vor allem die Lehren von Jesus Christus.

Ich weise immer wieder darauf hin: Joh 13,34-35. Jesus sagt zu seinen Jüngern: „Ich gebe euch ein neues Gebot: Liebt einander nicht mehr, wie ihr euch selbst liebt, sondern wie ich, Jesus, euch geliebt habe.“ Und das bedeutet, einander zu lieben, sogar aufopferungsvoll. Und dann fügt Jesus hinzu: „An dieser Liebe werden die Menschen erkennen, dass ihr meine Jünger seid.“

Und darauf aufbauend hat der Heilige Vater einige sehr starke Dinge gesagt. Der Heilige Vater sagte, ich erinnere uns, es sei Blasphemie, im Namen Gottes zu töten. Und er sagte auch, dass es satanisch ist, im Namen Gottes zu töten. Ich hoffe, dass alle meine Brüder und Schwestern, die Christen sind, wissen, dass man Religion nicht zum Töten benutzen kann. Man kann das Christentum in keiner Form dazu benutzen, das Töten zu rechtfertigen.

Und der Heilige Vater ist da sehr deutlich. Jeder authentische Gebrauch der Religion, insbesondere des Christentums, kann keine andere Linie verfolgen die nicht die Linie des Friedens ist, die Linie der Brüderlichkeit, die Linie der aufrichtigen Suche nach dem Gemeinwohl.

Hat die wichtige Arbeit des Heiligen Stuhls bei den Vereinten Nationen in Genf und bei anderen internationalen Organisationen, wie zum Beispiel bei muslimischen Organisationen, einen Aspekt der Evangelisierung?

Natürlich hat sie den. Aber ich muss da einen Unterschied machen. Es gibt einen Unterschied zwischen Evangelisierung und Proselytismus. Bei Evangelisierung, sage ich Ihnen, woran ich glaube. Ich zeige Ihnen die Wahrheit dessen, woran ich glaube. Ich versuche nicht, es Ihnen aufzudrängen. Ich versuche nicht einmal, Sie dazu zu bewegen. Sobald ich anfange zu versuchen, Sie in das hineinzuziehen, woran ich glaube, oder zu versuchen, Sie zu zwingen zu glauben, dem zu folgen, woran ich glaube, direkt oder indirekt, kann das Proselytismus werden. Und das tun wir nicht. Wir versuchen nicht, andere Menschen zu zwingen, unsere Religion anzunehmen.

Also Evangelisierung im Sinne des Teilens. Es gibt etwas, das man auch das Teilen von „best practices“ nennt. Das bedeutet nicht, dass man eine andere Person dazu zwingt, einem zu folgen. Sie sagen den Leuten einfach: Seht her, das ist gut. Für mich war es gut. Es könnte auch für dich gut sein.

Also Evangelisierung zwingt nicht auf, Evangelisierung legt die Wahrheit offen und nimmt Rücksicht auf die Freiheit und die Entscheidungsfreiheit der anderen Person.

Ja, bei den Vereinten Nationen versuchen wir unser Bestes, um die Güte dessen, woran wir glauben, die Wahrheit dessen, woran wir glauben, darzulegen. Und diese Wahrheit umfasst für uns Jesus Christus. Denn Jesus selbst lehrte uns in Joh 14,6: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“ Und weiter sagt er, dass niemand zum Vater kommen kann außer durch ihn, und zwar außer durch die Wahrheit. Also jeder.

Ich denke, dass jede Religion auch ihren eigenen Ausdruck von Wahrheit hat. Und Wahrheit ist immer Wahrheit. Nicht subjektive Wahrheit, nicht relative Wahrheit, sondern grundlegende Wahrheiten wie die, dass wir alle unser Leben lieben. Das Leben behütet werden muss.

Die Menschenwürde ist zu verteidigen und zu schützen, und das Gemeinwohl ist anzustreben. Wenn wir darüber sprechen, wir haben in der Vergangenheit hier viel darüber gesprochen, möchte ich erwähnen, dass das Engagement des Heiligen Stuhls im Multilateralismus eigentlich in genau diese drei Punkte zusammengefasst werden kann: Verteidigung des Lebens, Verteidigung der Menschenwürde und Suche nach dem Gemeinwohl.

Wenn Sie das als Evangelisierung bezeichnen, dann ist es Evangelisierung. Denn Evangelisierung, wenn wir auf den griechischen Ursprung des Wortes zurückgehen, bedeutet Verkündigung der guten Nachricht, die gute Nachricht bringen.

Nun, wir sagen den Leuten, seht, die gute Nachricht, die wir verkünden, ist der Schutz des menschlichen Lebens, die Verteidigung der Menschenwürde und Suche nach dem Gemeinwohl. In diesem Sinne, ja, wir machen Evangelisation. Aber Proselytismus, nein, das machen wir nicht.

Wir möchten auch erwähnen, dass neben dem Vatikan auch der Weltkirchenrat sich vom Proselytismus distanziert. Er tat dies mit der 1997 erschienenen Denkschrift „Auf dem Weg zu einem gemeinsamen Zeugnis“.

Was den Interreligiösen Dialog betrifft, so hat Papst Franziskus besonders Frauen aufgerufen,

gemeinsam eine Kultur der interreligiösen Begegnung aufzubauen. Und bei seinem Besuch im September vergangenen Jahres in Kasachstan beim Kongress der Führer der Welt- und Traditionsreligionen sagte der Papst: „Die großen Weisheiten und Religionen sind dazu aufgerufen, für alle Menschen das Bestehen eines gemeinsamen geistlichen und moralischen Erbes zu bezeugen, das auf zwei Eckpfeilern beruht: der Transzendenz und der Geschwisterlichkeit“. Es sei mit Blick auf die Transzendenz „schön, dass sich jeden Tag Millionen und Abermillionen von Männern und Frauen verschiedenen Alters, verschiedener Kulturen und sozialer Verhältnisse an unzähligen Kultorten zum Gebet versammeln. Das ist die verborgene Kraft, die die Welt in Bewegung hält.“ Die Geschwisterlichkeit weise darauf hin, dass niemand „wahre Verbundenheit mit dem Schöpfer bekennen“ könne, „wenn er dessen Geschöpfe nicht liebt“.

Original Interview aufgenommen in Genf von Kameramann Alex Mur | Deutsche Sprecher: Jan Terstiege, Matthias Ubert | Übersetzung, redaktionelle Bearbeitung, Moderation und Schnitt: Christian Peschken für Pax Press Agency im Auftrag von EWTN Deutschland und CNA Deutsch.

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