Vor wenigen Wochen, während der 52. Sitzung des UN-Menschenrechtsrates in Genf, meldete sich auch der Malterserorden zu Wort. „Der Malteserorden ist nach wie vor tief besorgt über die anhaltenden und massiven Menschenrechtsverletzungen in Konfliktsituationen, insbesondere im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine“, sagte Riccardo Paternò di Montecupo, Großkanzler des Malteserordens. „Wir beklagen das enorme menschliche Leid und fordern ein sofortiges Ende der Feindseligkeiten.“

Anfang April ging dann die Sitzung des UN-Menschenrechtsrates zu Ende. Sie war mit 14 Wochen die längste Sitzung seit Gründung des Rates.

Der Souveräne Malteserorden hatte im Januar 2023s eine neue Leitung gewählt. Die Mitglieder wählten Riccardo Paternò di Montecupo zum Großkanzler. Der gebürtige Neapolitaner übernimmt damit den Führungsposten von Albrecht Freiherr von Boeselager, den Papst Franziskus im September letzten Jahres aus seinem Amt entlassen hatte.

Für all diejenigen Zuschauer, die nicht detailliert vertraut sind mit den rechtlichen und strukturellen Formaten und Änderungen bezüglich Ihres Ordens, erklären Sie uns bitte aus der Sicht des Ordens: Ist der Malteserorden eigentlich noch souverän?

Ihre Frage ist wirklich wichtig, und ich erinnere mich, dass ich diese Frage vor vielen Monaten, vor einigen Diplomaten, die von Botschafter Antonio Gazzanti eingeladen wurden, beantwortet habe. Und Ihre Frage trifft den Kern der Sache, und es wird einige Minuten beanspruchen, bis ich sie ausführlich beantwortet habe.

Ich kann aus zwei verschiedenen Blickwinkeln antworten. Wir haben, so würde ich sagen, einen juristischen Gesichtspunkt. Wir sind, wie Sie wissen, ein religiöser Orden. Aber manchmal wiederholt die neue Verfassung genau das, was die Verfassung vor 70 Jahren bereits sagte. Und in Artikel fünf, Absatz sechs, sagt die neue Verfassung, dass wir ein Subjekt des internationalen Rechts sind und der Orden eine diplomatische Vertretung beim Heiligen Stuhl hat, gemäß der Normen des internationalen Rechts. Das ist gut. Wir sind gleichzeitig ein religiöser Orden und wir haben ein internationales Profil.

Und wissen Sie, dass ist eine Frage, die ich Ihnen stelle: Kennen Sie einen anderen religiösen Orden, der tatsächlich eine diplomatische Vertretung beim Heiligen Vater hat? Oder kennen Sie andere religiöse Orden, die von 112 Ländern anerkannt sind? Und diese 112 Länder, die uns anerkennen erlauben uns unserer Arbeit zu tun, unserer humanitären Arbeit. Mit anderen Worten: Unsere Gesetze und die Verfassung belegen eindeutig, dass wir international ausgerichtet sind. Und so ist es eben offensichtlich, dass der Status bei 112 Ländern, die uns anerkennen und überall unseren Pass und unseren Botschafter anerkennen, unterstreicht, dass wir eben ein internationales Profil haben.

Aber es gibt noch einen zweiten Gesichtspunkt, der wirklich wichtig ist und den ich zur Vervollständigung und zur Vertiefung der Sache, hinzufügen möchte. Und ich danke Ihnen, dass Sie mir diese Frage gestellt haben.

Um noch einmal auf unsere Verfassung zurückzukommen, so lese ich in Artikel vier, dass der Orden nach internationalem Recht arbeitet und eine hoheitliche Funktion im Hinblick auf den in Artikel zwei genannten Zweck ausübt. Und in Artikel zwei über den Zweck des Ordens steht geschrieben, „die Förderung der Ehre Gottes durch“, etc., und schließlich „Tuitio fidei et obsequium pauperum“, vor allem Hilfe für die Armen und die Kranken. Was bedeutet es, was ich hier gerade zitiert habe? Das die Antwort über unsere Souveränität in unserem Auftrag selbst zu finden ist.

Ich erinnere mich gerne an eine Begebenheit, die sich vor vielen, vielen Jahren am Ende des Zweiten Weltkriegs ereignet hat. Der apostolische Nuntius in Berlin, Monsignore Cesare Orsenigo, half nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Fall des Naziregimes auf sehr bewundernswerte Art und Weise, auf eine sehr beeindruckende Art und Weise, jedem, der in dem Land, in der Stadt, die durch die Bomben am Ende des Krieges zerstört wurde, in Not war.

Eines Tages bat ein General der Roten Armee den Nuntius, ihm zu erklären, bei wem und bei welcher Regierung er akkreditiert sei. Und seine Antwort war sehr klar und einfach, er antwortete: „Ich bin bei Ihrer Majestät ‚Das menschliche Elend‘ akkreditiert.“ Diese Antwort war so überzeugend, dass es ihm erlaubt war, seine Arbeit ohne Probleme fortzusetzen, und so fuhr er fort, jedem zu helfen, der in Not war.

Aber die gleichen Worte haben auch für unsren Orden die gleiche Bedeutung, denn unsere Souveränität, unser internationales Profil besteht darin, dass wir der Sache des menschlichen Elends und der Krankheit und der menschlichen Not dienen. Und wir tun dies ohne jegliche persönliche Absicht. Für uns ist es vorrangig, denen zu helfen, die in Not sind, ohne irgendeinen, ich würde sagen, persönlichen Standpunkt zu vertreten. Wir können wirklich in jedem Teil der Welt demjenigen helfen, der in Not ist.

Und es gibt viele Beispiele dafür, die Liste ist endlos. Am Anfang unserer Geschichte, während des Kalten Krieges, konnten Tausende von Menschen den Eisernen Vorhang überqueren, weil der Malteserorden sie mit Diplomatenpässen ausgestattet hatte. Und heutzutage, in der Ukraine, in Syrien, in der Türkei, wo das Erbeben alles zerstört hat, können wir dank unseres internationalen Profils und der Diplomatie die Arbeit unserer Freiwilligen ermöglichen. Das heißt also, dass unsere Souveränität immer im Dienst der Bedürftigen steht. Und durch unsere Aktivitäten verwirklichen wir Tag für Tag unser internationales Profil.

Aber wir sollten auch noch etwas anderes hinzufügen, denn wir tun dies, wenn ich Sie daran erinnern darf, für alle Menschen in Not, unabhängig von ihrer Religion oder ihrem Glauben oder der Region, aus der sie kommen. Das heißt also, dass wir keine auf uns „selbstbezogene“ Agenda haben. Ich hoffe, dass ich Ihnen, ausreichende sagen wir Hinweise geben konnte und Ihnen unser Verständnis über unsere internationale Bedeutung vermitteln konnte.

Auch Papst Franziskus sprach bei dem Treffen am 30. Januar das Thema der Souveränität des Ordens an und stellte fest, dass es sich um eine „ganz besondere Souveränität“ handelt, „die im Laufe der Jahrhunderte angenommen und durch den Willen der Päpste bestätigt wurde“: „Sie befähigt Sie zu großzügigen und anspruchsvollen Gesten der Solidarität, indem Sie sich unter internationalem diplomatischem Rechtsschutz in die Nähe der Bedürftigsten begeben." Ihr Verhältnis zum Heiligen Vater ist also gut, nehme ich an?

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Das ist wieder eine sehr gute Frage. Hier hat der Heilige Vater am Ende des langen Prozesses der Erneuerung des Ordens etwas getan, wofür ihm der Orden immer dankbar sein wird. Denn wir haben jetzt eine neue Satzung, einen neuen Codex, und mit dieser Satzung, diesen Regeln, wird unsere religiöse Charakteristik wieder in den Mittelpunkt des Ordenslebens und damit auch in den Mittelpunkt der Mitglieder, die ein religiöses Versprechen geleistet haben, gestellt.

Und wir wissen natürlich, dass es in der Welt viele Organisationen gibt, die sehr, sehr viele Dinge, ich würde sagen gute Dinge, in jedem Teil der Welt tun, aber der Unterschied zwischen ihnen und unserem Orden ist, das bei allem was unser Orden tut, bei seiner Vorgehensweise, er das immer mit einem Blick „zum Himmel“ ausgerichtet tut.

Und ich meine, dass dies den Ansatz, mit dem wir arbeiten, verändert, denn nicht nur der Körper, sondern auch die Seele, das Herz und der Verstand derer die in Not sind, liegen uns am Herzen. Und da der Heilige Vater all dies unterstrichen und bekräftigt hat, denke ich, dass der Malteserorden dem Heiligen Vater schlicht und einfach Danke sagen muss.

Lassen Sie uns über Ihre wichtige Arbeit im Bereich der humanitären Hilfe sprechen. Anlässlich der 52. Sitzung des UN-Menschenrechtsrates in Genf sagten Sie in Bezug auf den Krieg in der Ukraine: „Alle Parteien müssen ihren Verpflichtungen gemäß den internationalen humanitären Gesetzen und Menschenrechten nachkommen und den Zugang für humanitäre Hilfe sicherstellen.“ Aus Ihrer Beobachtung und Arbeit in der Ukraine, ist es tatsächlich so, dass alle Parteien, also die Ukraine und Russland, den humanitären Zugang sicherstellen?

Dies ist ein sehr wichtiges Thema, und ich stimme Ihrer Frage zu. Ich kann sagen, dass wir bei all unseren Interventionen in Genf bei den Vereinten Nationen regelmäßig an alle Parteien appellieren, das humanitäre Völkerrecht, die Menschenrechte und den humanitären Grundsatz zu achten.

Um auf Ihre Frage zurück zu kommen, so ist basierend auf den genannten Grundsätzen der fehlende, humanitäre Zugang zu bestimmten Gebieten nicht akzeptabel. Denn dieser fehlende Zugang hat viele, viele Auswirkungen und sehr gefährliche Auswirkungen. Zunächst einmal wird es dadurch sehr schwierig, Hilfe zu leisten, Menschen zu versorgen, freiwillige Helfer zu versorgen, und Zugang zu dem Gebiet zu verschaffen, in dem die sind die Hilfe benötigen. Und zweitens, weil es auch ein Problem gibt, dem zu helfen, der sofortige Hilfe braucht. Und so haben wir bei jeder Gelegenheit den fehlenden humanitären Zugang zu bestimmten Gebieten, insbesondere zu denen unter russischer Kontrolle, verurteilt.

Auch wenn es eigentlich nicht notwendig ist, so möchte ich hier trotzdem noch einmal betonen, dass für uns die Achtung des humanitären Rechts, der Menschenrechte im Mittelpunkt unserer weltweiten Aktivitäten steht und ein grundlegender Teil unseres Charismas ist.

Sie haben auf der Tagung des Menschenrechtsrates auch gesagt, dass der Malteserorden die Menschenrechte schützt und sich mit Menschenrechtsverletzungen weltweit befasst. Können Sie uns kurz erklären, wie Sie bewerten ob es sich um Menschenrechtsverletzungen handelt?

Ihre Frage ist sehr einfach und gleichzeitig auch nicht sehr einfach zu beantworten. Sie ist leicht zu beantworten, weil klar ist dass jeder, jeder einen persönlichen Maßstab hat, um zu beurteilen, ob ein bestimmtes Verhalten gegen oder für die Menschenrechte ist, ob es die Menschenrechte verletzt oder nicht verletzt. Auch ist es klar, dass jeder, der einen Wehrlosen verletzt, gegen die Menschenrechte verstößt. Von einem bestimmten Standpunkt aus gesehen ist es also sehr einfach zu sagen, dass diese Handlungsweise die Menschenrechte verletzen könnte.

Darüber hinaus möchte ich hinzufügen, dass die Fabel vom Wolf und dem Lamm immer angewendet werden kann. Die Botschaft der Fabel ist ja sehr gut bekannt, sie spricht nämlich von denjenigen, die versuchen, die Wehrlosen unter falschem Vorwand zu unterdrücken, nur um das Ziel zu erreichen, sie zu zerstören. Und so ist es normalerweise sehr einfach zu verstehen, ob es sich bei einem bestimmten Vorfall um eine Verletzung der Menschenrechte handelt.

Aber andererseits ist sehr schwierig, eine genaue Antwort auf Ihre Frage zu geben, weil es keinen festgelegten Bewertungsmaßstab gibt. Und so gibt es unbestreitbar zahlreiche Grauzonen. In jedem Fall nehmen unsere Teams vor Ort eine Bewertung vor, unter Berücksichtigung der multilateralen Menschenrechtsmechanismen. Und dann diskutieren wir mit dem Menschenrechtsrat über den Fall und nehmen an Diskussionen teil und können so von Fall zu Fall entscheiden, ob eine eindeutige Verletzung der Menschenrechte vorliegt oder nicht.

Sie treffen sich persönlich mit vielen Botschaftern und Diplomaten aus allen Teilen der Welt. Wie schätzen Sie, auf der Basis solcher Treffen, die Tendenzen ein? Ist man für den Waffenstillstand und schließlich den Frieden im Ukraine-Krieg?

Ich möchte auch in diesem Fall unterstreichen, dass der Malteserorden sich dafür einsetzt, die Einhaltung und die Achtung des humanitären Völkerrechts und den Schutz der gefährdeten Menschen zu gewährleisten. Und noch einmal möchte ich betonen, dass wir keine eigene Agenda haben, sei es eine politische oder eine wirtschaftliche. Und so sind wir auch in diesem Fall natürlich für den Frieden.

Und wie Papst Franziskus wiederholt in seinen Appellen gesagt hat, ist es notwendig, in jedem Teil der Welt zu versuchen, so schnell wie möglich den Frieden zu erreichen, aber gleichzeitig auch einen Frieden zu erreichen, der von Dauer sein wird. Denn es ist notwendig und unser Herzenswunsch, eine Lösung zu finden, die wirklich alle schützt und diesem schrecklichen Augenblick ein Ende bereitet.

Im März sagte Papst Franziskus, den Ukraine-Krieg betreffend, dass der Konflikt durch „imperiale Interessen angeheizt werde, nicht nur des russischen Imperiums, sondern auch von Imperien aus anderen Ländern“. Er erklärte sich bereit, mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zu sprechen, um zum Frieden aufzurufen. Und in seiner Osterbotschaft betete Papst Franziskus, dass das ukrainische Volk auf seinem Weg zum Frieden unterstützt werde. Der Papst wünschte auch, dass das Osterlicht auf die Bürger Russlands leuchten möge.

Original-Interview aufgenommen in Rom von Kamerafrau Nastaran Kianbakht | Deutscher Sprecher: Jan Terstiege | Redaktionelle Bearbeitung, Übersetzung, Moderation und Schnitt: Christian Peschken für Pax Press Agency im Auftrag von EWTN und CNA Deutsch.

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