Von Deutschland ging die abendländische Kirchenspaltung aus. 500 Jahre, nachdem Papst Leo X. die Thesen des Martin Luther als irrelevantes „Mönchs-Gezänk“ abtat, droht von diesem Land eine neue Spaltung. Ein wesentlicher Hebel besteht an den katholischen Fakultäten der staatlichen Universitäten.

Es geht um eine fundamentale Verschiebung der theologischen Zentralachsen. So verlagert sich eine Zentralachse von Gott und seinen Offenbarungen auf den Menschen und seine Bedürfnisse – weg von der Theozentrik, hin zu reiner Anthropozentrik. Nicht mehr der Herr – sein Wort und Wille – steht im Fokus, sondern der Mensch – sein Wille, seine Interessen, seine Identität, sein Begehren, seine Freiheit sollen bestimmen, was die Kirche lehrt und was vor dem Tribunal der Moderne noch plausibel erscheint.

„Zunächst einmal darf kein Gott akzeptiert werden“, sagt der einflussreiche Vordenker Magnus Striet, „der die Freiheit des Menschen und damit das von ihm beanspruchte Recht auf freie Selbstbestimmung nicht achtet“. Bei Striet, dem Professor für Fundamentaltheologie an der Universität Freiburg, wird „Autonomie“ zum alles bestimmenden Kriterium. Übersetzt bedeutet dies: Es darf buchstäblich nichts geben, was den Menschen in seiner Selbstverwirklichung von außen her bestimmt, nicht einmal Gott und seine Gebote. Ihre einzige Grenze findet die Autonomie an der individuellen Selbstbestimmung des Mitmenschen. Wer nicht anderen in die Quere kommt, kann tun und lassen, was er will.

Die Freiheit ist demnach an keine ihr vorgegebene Wahrheit, auch nicht an die Wahrheit Gottes des Schöpfers, seinen Willen und seine Offenbarung, gebunden. Diese Freiheit wird von keiner äußeren Instanz wie Natur, Heiliger Schrift oder Lehramt bestimmt. Es soll nur noch gelten, was der autonomen Vernunft einleuchtet.

Während die katholische Ethik davon ausgeht, dass moralische Normen den Menschen vorgegeben sind, hält Striet sie für menschengemacht. Der Mensch entscheide in eigener Instanz darüber, was gut und richtig sei. Mit Vehemenz wendet er sich gegen die Ausführungen der Enzyklika „Veritatis splendor“ (1993) von Papst Johannes Paul II. Dabei macht er selber deutlich, wie tief der Abgrund ist, der ihn von der katholischen Lehre trennt, wenn er seinen „Gott der Autonomiefreiheit“ dem „Gott von Veritatis splendor“ gegenüberstellt.

Dass „Freiheit“ durch Gott erst ermöglicht und getragen wird, und dass sie dazu da ist, in Bindung an Gott und in Ausrichtung auf ihn hin die Fülle des Guten zu erlangen, wird nicht mehr gesehen. Auch nicht, dass die menschliche Freiheit von der Erbsünde gebrochen ist. „Autonomie“ wird zum einzig möglichen Ausgangspunkt ethischer Reflexion. Von Theologen wird zunehmend weniger theologisch, sondern primär philosophisch argumentiert – eine zwangsläufige Konsequenz, wenn sich der Mensch zum Maß aller Dinge macht und der Offenbarungsglaube mit den biblischen Aussagen des Jesus von Nazareth zu einem formalen theologischen Restbestand relativiert wird.

Dabei wird der große Philosoph Immanuel Kant entweder missverstanden oder instrumentalisiert. Denn Immanuel Kant betrachtet Autonomie in erster Linie als die Emanzipation von sinnlichen Antrieben. Autonom ist für Kant der Mensch gerade dann, wenn nicht Lust- und Glücksverlangen ihn antreibt, sondern die Vernunft, betonen andere Theologen und Philosophen wie Engelbert Recktenwald.

Dass es eine von Gott – in Jesus Christus – geoffenbarte und gültige Wahrheit gibt – davon geht der christliche Glaube als wichtigste Voraussetzung aus. Fehlanzeige dagegen bei Julia Knop, Lehrstuhlinhaberin für Dogmatik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Erfurt. Sie hält dieser zentralen Glaubensgrundlage entgegen: „Entscheidend scheint mir zu sein, dass man kirchliche Lehren zeitenthoben als ‚ewige Wahrheiten‘ versteht“, sagte sie in einem Interview mit der Kölnischen Rundschau. „Dann nämlich spielen kulturelle Entwicklungen und Erkenntnisfortschritte keine Rolle. Aber das ist ja eine Fiktion.“ Und rechtfertigend fügte sie hinzu: „Als Theologieprofessorin bin ich ja kein verlängerter Arm des kirchlichen Lehramts.“ Und: „Das Theologiestudium soll nicht frömmer machen, sondern klüger.“ Julia Knop gehört zu den wichtigsten Protagonisten des sog. „Synodalen Wegs“. Ihre Ansichten haben Eingang in die Beschlusstexte gefunden.

Damit bestätigt sie die seit Jahrzehnten spürbar herbeigeführte Zweiteilung in Deutschland: Einerseits das kirchliche Lehramt mit seinen in Rom beheimateten Repräsentanten, andererseits das faktische Lehramt an den Universitäten. Wobei die einen gerne als „ewiggestrig“ und die anderen als „wissenschaftlich klug“ dargestellt werden. Zu diesem Muster gehört es auch, Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin zu schulmeistern. Der höchstrangige Vertreter des Papstes hatte kürzlich vor französischen Seminaristen erklärt, das Wesen des Priestertums sei unveränderbar. Daraufhin äußerte Julia Knop: „Nun gehört es zum kleinen Einmaleins der Dogmengeschichte, dass sich das Priesteramt im Laufe von 2.000 Jahren erheblich verändert hat.“ Da es nach ihrer Ansicht keine ewigen Wahrheiten gibt, war auch nichts anderes zu erwarten. Wobei Pietro Parolin nicht von Einzelfragen, sondern vom „Wesen des Priestertums“ gesprochen hatte. Unnötig war es außerdem, dem Kardinalstaatssekretär zu unterstellen, „dass Geschlechterfragen in der Kurie nicht als Sach-, sondern als Machtfragen behandelt werden“.

Die Aussagen der Theologen Striet und Knop bilden keine Einzelfälle. Es dürfte fraglich sein, ob die Ablehnung der Sexualmoral der Kirche sowie der christlichen Anthropologie mit der Polarität und Komplementarität der zwei Geschlechter als wesentlicher Bestandteil des biblischen Zeugnisses vom Menschen unter den deutschen Theologen noch eine Mehrheit findet.

 Auch Hubert Wolf, der Münsteraner Kirchenhistoriker, stellt sich gegen die kirchliche Lehre. Sowieso seien Theologen, historisch gesehen, die eigentlichen Inhaber des Lehramtes, so behauptete Wolf: „Wir als Theologen haben uns im 19. Jahrhundert das Lehramt von den Hirten stehlen lassen.“

Nur innerhalb des deutschen Sprachraumes gibt es die Besonderheit, dass konfessionell gebundene Theologie an staatlich geführten und finanzierten Universitäten gelehrt wird. Während überall auf der Welt die Professoren der Theologie von der Kirche selbst, in der sie das Lehramt ausüben, berufen werden, haben die deutschen Bischöfe nach den Vorgaben der Konkordate gerade noch ein Vetorecht. Aber auch das wird ihnen zunehmend streitig gemacht – weniger direkt, eher indirekt.

Denn wenn ein Bischof ein Veto (Verweigerung des Nihil obstat) einlegt, wird ihm Druck gemacht. So erlebt es gegenwärtig der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer, der früher selbst Theologieprofessor war. Voderholzer stört, dass es bei 14 Lehrstühlen an der katholischen Fakultät nur einen Priester gibt.

Ende März haben sich der Katholisch-Theologische Fakultätentag (KThF) und die Arbeitsgemeinschaften für Katholische Theologie mit einer gemeinsamen Stellungnahme geäußert, ebenso Landesminister Markus Blume (CSU). Sie „erhöhen den Druck“, wie es der Bayerische Rundfunk bezeichnete. Tatsächlich besteht dieser Druck nur aus öffentlicher Stimmungsmache gegen den Bischof, dem „Blockade“ vorgeworfen wird. Der Bischof schöpft nur die Möglichkeiten aus, die ihm das Konkordat bietet. Dieses Recht kann ihm niemand streitig machen. Und so wehrt er sich mit einer öffentlichen Erklärung, die vielmehr den Minister unter Druck setzt, weil sie dessen Untätigkeit offenlegt. Der Bischof wartete Mitte April noch auf eine Antwort auf seinen Brief vom 5. Februar.

Der Vizepräsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), zugleich Vizepräsident des „Synodalen Wegs“, der Theologe Thomas Söding, verteidigt dagegen das gegenwärtig herrschende System der staatlichen Theologie: Die katholische Kirche brauche eine unabhängige theologische Forschung, betonte er.

Warum gibt es diese weltkirchliche Besonderheit der staatlichen Theologenausbildung im deutschen Sprachraum? Ihre Wurzeln liegen im Kulturkampf des 19. Jahrhunderts. Der protestantisch geprägte preußische Staat hatte sich an die enge Verzahnung von Religion und Aufklärung gewöhnt. Protestantische Denker wie Kant, Fichte, Schelling und Hegel hatten dazu beigetragen. Katholische Pfarrer sollten nach denselben wissenschaftlichen Standards wie evangelische Pastoren an staatlich kontrollierten Fakultäten ausgebildet werden. Verstärkt wurde diese Forderung im Gefolge des Ersten Vatikanischen Konzils durch das dort beschlossene Unfehlbarkeitsdogma. Bismarck lehnte es als fundamentalistische Verirrung der katholischen Theologie ab und interpretierte es als Angriff auf die Souveränität des Staates. Vielmehr wünschte sich Bismarck von den Katholiken die schon immer vorhandene Staatstreue und intellektuelle Liberalität der Evangelisch-Theologischen Fakultäten. So beschreibt Karl-Heinz Menke die Ursachen. Er war Professor für Dogmatik und Theologische Propädeutik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn und zeitweise deren Dekan.

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Im Konfliktfall sollten sich auch die Katholiken – so die Absicht der damaligen Staatslenker – eher auf die Seite des Staates als auf die der kirchlichen Autorität (Papst) stellen. Im bis heute gültigen Reichskonkordat von 1933 wurde die Staatsnähe der Theologie festgeschrieben: Nicht die katholischen Bischöfe bestimmen über die Besetzungen der Lehrstühle, sondern die staatlichen Universitäten. Der Kirche bleibt mit der Verweigerung des Nihil obstat nur ein Vetorecht, das im Konfliktfall zu einer Nichtbesetzung des Lehrstuhls führt.

Durch die theologischen Lehrstühle werden nicht nur die Religionslehrer und Pastoralreferenten, sondern auch die Priesteramtsanwärter ausgebildet. Nicht selten hört man von Theologiestudenten, sie hätten sich ihren Glauben nicht durch ihr Studium, sondern trotz desselben bewahrt. Ob es die Geburt Jesu von einer Jungfrau, seine leibliche Auferstehung und Himmelfahrt oder das Geheimnis seiner sakramentalen Gegenwart ist – alles vermögen jene Wissenschaftler so „umzuinterpretieren“, dass von der eigentlichen Aussage nichts mehr übrigbleibt. Der Mainzer Kirchenrechtler und Theologieprofessor Georg May hat in mehreren Büchern haarsträubende Veröffentlichungen beim Namen genannt.

May kommt aufgrund seiner Recherchen zu der Schlussfolgerung: „Die Hauptschuldigen sind jene hochbezahlten Theologieprofessoren, die, als Lebenszeitbeamte auf ihrem Lehrstuhl sitzend, den Zweifel und die Unsicherheit in die Seelen ihrer Hörer werfen, ihren eigenen Unglauben statt den Glauben der Kirche weitergeben. Sie selbst halten sich in der kühlen Luft akademischer Gedankenspiele auf; die Härte des Tageskampfes, das Ringen um Seelen ist ihnen erspart. Die Festlegungen und Weisungen des höchsten Lehramtes der Kirche bedeuten für diese Theologen weder Maßstab noch Grenze. Was zu glauben und nicht zu glauben ist, bestimmen sie.“ Selbst wer bei May viele Urteile und Wertungen infrage stellt, kann von ihm aufgeführte Fakten nicht von der Hand weisen.

Wer heute danach fragt, warum Kirche und Theologie in Deutschland so „besonders“ sind, findet in dem besonderen theologischen Bildungssystem eine Antwort. Grundsätzliche staatskirchenrechtliche Veränderungen zeichnen sich nicht ab. Die Ankündigung im Koalitionsvertrag der Bundesregierung (Seite 111), die Staatsleistungen abzulösen, ist substanzlos, weil dafür die Bundesländer zuständig sind, die sich skeptisch zeigen. Bereits die Weimarer Reichsverfassung (Art. 138 WRV) und das Grundgesetz (Art. 140 GG) fordern seit mehr als 100 Jahren dazu auf. Die Geltung der Konkordate wird davon nicht berührt.

Warum das Grundgesetz, das am 8. Mai bzw. am 23. Mai sein 75-jähriges Jubiläum feierte, so erfolgreich ist und wie es sein Verhältnis zu den Religionsgemeinschaften beschreibt, betrachten wir in der nächsten Folge unserer Reihe über das Verhältnis von Staat und Kirche. Die schon erschienenen Folgen finden Sie HIER.

Hinweis: Meinungsbeiträge wie dieser spiegeln die Ansichten der jeweiligen Gast-Autoren wider, nicht notwendigerweise jene der Redaktion von CNA Deutsch.