CNA Deutsch dokumentiert den vollen Wortlaut der Predigt von Erzbischof Georg Gänswein vom 17. Oktober 2019 zum Gedenktag des heiligen Ignatius von Antiochien in der Deutschordenskirche in Frankfurt am Main. Der katholische Fernsehsender EWTN.TV übertrug das Pontifikalamt live.

Liebe Schwestern und Brüder im Herrn! 

Zu der Freude, mit der mich mein Besuch in Frankfurt am Main erfüllt, hält die Vorsehung heute Schriftlesungen bereit, die es mir irgendwie leicht machen, mein Wort an Sie zu richten, in einem Zusammenspiel, das mich selber wundert. Dennoch will ich mich kurz fassen, weil an diesem Abend ja noch viele Worte gewechselt werden.

In der Lesung aus dem Brief an die Philipper erinnert uns der Apostel Paulus: "Unsere Heimat ist im Himmel. Von dorther erwarten wir auch Jesus Christus, den Herrn, als Retter."

Im Evangelium des Johannes hörten wie danach einen Teil jener dramatischen Abschiedsworte, die der Herr vor seiner Passion und seinem Tod am Kreuz an seine Apostel richtete, wo er ihnen sagte: "Wer sein Leben in dieser Welt gering achtet, wird es bewahren bis ins ewige Leben."

Von den Kirchenvätern, die mir in diesem Zusammenhang einfallen, hat vielleicht keiner diese Worte des Herrn und seines Völkerapostels Paulus so ernst genommen wie der heutige Tagesheilige Ignatius von Antiochien, einem Mann des bedeutsamen Übergangs von der Ära der Apostel in die nachapostolische Zeit.

Der Legende zufolge könnte er gar das Kind gewesen sein, das Jesus in die Arme nahm und zu seinen Jüngern sagte: "Wer ein solches Kind in meinem Namen aufnimmt, der nimmt mich auf, und wer mich aufnimmt, der nimmt nicht nur mich auf, sondern den, der mich gesandt hat" (Mk 9,36f.). Damit hätte Jesus Christus anhand der Person des heiligen Ignatius auf die Einheit von Gottes- und Nächstenliebe hingewiesen.

Ignatius stammte aus Antiochia, jener syrischen Küstenstadt, die in der Antike das zweite oder dritte große christliche Zentrum im Nahen Osten nach Jerusalem und neben Alexandria in Ägypten war. Am Anfang des 2. Jahrhunderts in den letzten Regierungsjahren des Kaisers Trajan (110–117) ist er in Rom zu Tode gekommen. In Antiochia war es auch, wo die Nachfolger des "neuen Weges" Jesu Christi nach Auskunft der Apostelgeschichte erstmals "Christen" genannt wurden. Hier wurde zuerst erkannt und gewahr, dass es sich bei der Kirche nicht um eine neue jüdische Sekte handelte, sondern dass Christus mit seiner Auferstehung von den Toten und seiner Ausgießung des Heiligen Geistes über die Gottesmutter und seine Jünger ein Neues begründet hatte, das im Judentum wurzelte, doch nicht mehr unter dem Gesetz des Moses stand.

Vor Ignatius war Simon Petrus der erste Bischof von Antiochien, der Apostelfürst, der später auch die römische Gemeinde begründete und deren erstes Haupt wurde. Einige Stimmen halten Ignatius zudem für einen letzten Schüler des Evangelisten Johannes, andere meinen, dass Petrus selbst ihn noch zum Bischof geweiht hat. Sein Name legt nahe, dass er ein leidenschaftlicher Prediger war. Ignatius heißt auf Deutsch "der Feurige".

Wie kaum ein anderer am Ende des 1. Jahrhunderts prägte er die Theologie und das Leben der frühen Kirche. Seine Predigten haben nicht nur die Christen begeistert und befeuert, sie haben auch die Aufmerksamkeit der römischen Behörden Antiochias auf sich gezogen, die ihn verhaften ließen. Danach kam er als Unruhestifter vor Gericht, wo er zum Tod "durch wilde Tiere" verurteilt wurde. Nach dieser "damnatio ad bestias" wurde er auf einer langen Reise in Ketten nach Rom eskortiert und aus Anlass der Siegesfeier Kaiser Trajans über die Daker im Circus Maximus von Raubtieren zerfleischt, wie Eusebius berichtet. Von diesem Sieg Trajans erzählt auch die berühmte Trajanssäule auf dem Forum Romanum. Von Ignatius erzählt die Säule nichts.

Mit dieser Anonymität teilte er das Schicksal vieler Märtyrer. Was ihn von anderen unterschied, sind seine "Heiligen Briefe", die als originale Dokumente der frühen Kirche gelten, nach den vier Evangelien, der Apostelgeschichte des Lukas, den Apostelbriefen und der Geheimen Offenbarung. Geschrieben hat Ignatius die Briefe als Häftling auf seiner Reise nach Rom, wofür er bis heute im römischen Kanon namentlich geehrt wird. Ignatius war der erste christliche Autor, der die Jungfrauengeburt Jesu aus Maria betonte, und der erste, der den Begriff "katholisch" für die Kirche verwendete. Nach Papst Benedikt XVI. hat "kein Kirchenvater mit der Intensität des Ignatius die Sehnsucht nach der 'Einheit' mit Christus und nach dem 'Leben' in ihm zum Ausdruck gebracht."

Am meisten berührt aber seine Unbedingtheit, mit der Ignatius keine 100 Jahre nach dem Kreuzestod Christi in diesen Briefen kundtut, dass seine Heimat wahrhaftig "der Himmel" ist und sein wahres Leben "das ewige Leben".

"Unsere Heimat ist im Himmel". Dies wird oft bei Beerdingungsgottesdiensten vorgelesen; sozusagen als Trost für die Trauernden. Im Leben vor dem Tod spielt es im Bewusstsein vieler Christen jedoch eine eher geringe Rolle. Das ist nicht Basis für ihr konkretes Handeln. Im Alltag haben wir meist überwiegend "Irdisches im Sinn", wie Paulus selbst formulierte. Zum Lebensprinzip des Ignatius gehörte ganz wesentlich die Perspektive auf das Leben bei Gott nach diesem irdischen Leben. Die Ankunft in dieser Heimat konnte er kaum erwarten.

In Smyrna, dem heutigen Izmir in der Türkei, wandte er sich auf seiner Reise nach Rom schon vorab an die Römer, in dem er die Christen der Hauptstadt vor seiner Ankunft regelrecht anfleht, um Himmelswillen nichts zu unternehmen, das seinen Martertod für Christus verhindern könnte. Er will auch kein Grab unter ihnen, wie es den Aposteln Petrus und Paulus in Rom schon zuteil geworden war, sondern stattdessen zwischen den Zähnen der Löwen zermahlen werden zum Mehl für das "reine Brot Jesu Christi". Die Mägen der Löwen sollen sein Grab werden, damit er nach seinem Tod keinem in Rom zur Last falle. Vor allem aber will er endlich zum "Freigelassenen Jesu Christi" werden und in ihm auferstehen. "Nach dem Herrn sehne ich mich", schreibt er, nach "dem Sohn des wahren Gottes und Vaters, Jesus Christus. Ihn suche ich, der für uns gestorben und auferstanden ist. Lasst mich das reine Licht empfangen. Wenn ich dort angekommen bin, werde ich ein Mensch Gottes sein." So redet heute keiner mehr in der Kirche, wo seine Worte unter uns befremdlich klingen und fast schon unverständlich. Das stimmt. Vor allem sind die Worte des Ignatius aber dies: sie sind unbedingt apostolisch.

Er selbst war kein Apostel mehr. Dennoch hielt Ignatius leidenschaftlich und unverbrüchlich fest an der Überlieferung aus dem Kreis der Zwölf. Er stand und lebte und starb für das, was unsere Kirche zu einer apostolischen Kirche macht.

Und das ist ja besonders auch in Frankfurt von Bedeutung, wo im Kaiserdom die Schädeldecke des heiligen Apostels Bartholomäus aufbewahrt wird, der sich der Überlieferung zufolge bei seinem Martertod noch die Haut für Christus abziehen ließ. Durch diese Reliquien ist auch Frankfurt am Main spätestens seit dem Jahr 1215 eine apostolische Schwesterstadt Roms geworden. Und mir ist berichtet worden, dass diese apostolische Erinnerung hier weit über die Stadtgrenzen hinaus durch die Jahrhunderte geradezu zärtlich behütet worden ist, mit eigener Verehrung und Wallfahrten von nah und fern. Nicht umsonst wurde deshalb Frankfurt über den Heiligen Bartholomäus zur Wahl- und Krönungsstadt der römisch-deutschen Kaiser des Heiligen Römischen Reiches.

Eine Schwächung dieser apostolischen Dimension der Kirche würde jede katholische Gemeinde auch und gerade heute nicht nur von der großen Weltkirche scheiden, sondern auch von der Kirche aller Zeiten seit ihrem Ursprung in Christus. Denn wo immer diese apostolische Verbindung schwächer wird, sind wir versucht und in Gefahr, nur noch uns selbst und nicht mehr den Herrn als das Haupt der Kirche zu feiern, wie Papst Benedikt XVI. nicht müde wurde, zu warnen.

Die apostolische Dimension ist der Kompass für das pilgernde Gottesvolk auf seinem Weg zu unserer Heimat im Himmel im ewigen Leben und zu unseren Schwestern und Brüdern wie dem heiligen Ignatius, die dort auf uns warten. Amen.

Die Aufzeichnung des Pontifikalamtes:

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