Manchmal wirkt die Kirche des Herrn wie ein Debattierklub, in dem säkulare Formen des Diskurses neu erprobt werden. Kreative Theologen haben sich Dialoggottesdienste ausgedacht, in denen neue Formen der Partizipation der Gläubigen eingeübt werden. Thematisch wird das Evangelium besprochen. Auch über die vermeintlichen Zeitzeichen wird diskutiert. Das kann inspirierend, aber auch lähmend sein – oder einfach unangemessen und unnötig. Darf ungeniert über alles geredet werden? Sollte nicht jeder Weltchrist einfach so predigen dürfen? Oder ein persönliches Glaubenszeugnis in der heiligen Messe freimütig vortragen? Wertvolle Erfahrungen haben wir alle gemacht. Warum sollten wir nicht über uns und unseren Glauben vom Ambo aus sprechen? Auch der Priester sollte in der heiligen Messe von Gott und nicht von sich oder seinen Meinungen Kunde geben. Wenn die Kirche mit der Welt identisch wäre, hätte sie ihre Ausrichtung auf Christus verloren. Der heilige Papst Johannes Paul II. wagte es sogar, die Diskussion über das Weihepriestertum der Frau für beendet zu erklären. Theologen, Weltchristen, Agnostiker und Andersgläubige debattieren und fabulieren trotzdem ungeniert weiter – und relativieren die päpstliche Aussage zu einer beliebigen Meinung. Hätte also der Papst nur seine persönliche Meinung dargelegt, für absolut gültig und jedermann verpflichtend erklärt, wäre der Widerspruch berechtigt.

Benedikt XVI. hat am 7. Mai 2005 bei der feierlichen Inbesitznahme der Kathedra des Bischofs von Rom die Lehrvollmacht in der Homilie erklärt und begründet: "Der Bischof von Rom sitzt auf seiner Kathedra, um von Christus Zeugnis zu geben. Daher ist die Kathedra das Symbol der »potestas docendi«, jener Lehrvollmacht, die wesentlich zur Aufgabe des Bindens und Lösens gehört, die vom Herrn dem Petrus und nach ihm den Zwölf aufgetragen worden ist. In der Kirche gehören die Heilige Schrift, deren Verständnis unter der Eingebung des Heiligen Geistes wächst, und der den Aposteln aufgetragene Dienst der authentischen Auslegung unlösbar zusammen." Der Auftrag des Papstes ist von anderer Art als die wissenschaftliche Expertise oder die Meinung des Einzelnen. Nicht die Wissenschaft, nicht die Politik, nicht die Gremien und ihre Funktionäre, nicht die Medien sind "in der Lage, uns in ihrer Interpretation jene Gewißheit zu geben, mit der wir leben können und für die wir auch sterben können": "Dafür braucht es ein größeres Mandat, das nicht allein aus menschlichen Fähigkeiten entstehen kann. Dazu braucht es die Stimme der lebendigen Kirche, jener Kirche, die bis ans Ende der Zeiten dem Petrus und dem Apostelkollegium anvertraut wurde." Müsste sich ein aufgeklärter Mensch von heute nicht dagegen empören? Sollen wir uns nicht selbstständig im Denken orientieren? Hätte der große Philosoph Immanuel Kant der Bindung an Christus und Seine Kirche nicht widersprochen? Vermutlich ja – und Katholiken dürfen gelassen hinzufügen: Und wenn schon, was kümmert uns Kants Widerspruch ...?  

Die Kirche zu lieben bedeutet mit der Kirche zu denken, nicht die eigene Meinung oder die vermeintlich begründete Einsicht mit einem absoluten Anspruch zu versehen, sondern sich in Dienst nehmen zu lassen und sich vor der Lehrvollmacht des Papstes nicht zu fürchten. Benedikt sagte in der Homilie weiter: "Diese Lehrvollmacht erschreckt viele Menschen innerhalb und außerhalb der Kirche. Sie fragen sich, ob sie nicht die Gewissensfreiheit bedrohe, ob sie nicht eine Anmaßung darstelle, die im Gegensatz zur Meinungsfreiheit steht. Dem ist aber nicht so. Die von Christus dem Petrus und seinen Nachfolgern übertragene Macht ist, absolut verstanden, ein Auftrag zum Dienen. Die Lehrvollmacht in der Kirche schließt eine Verpflichtung zum Dienst am Glaubensgehorsam ein. Der Papst ist kein absoluter Herrscher, dessen Denken und Willen Gesetz sind. Im Gegenteil: Sein Dienst garantiert Gehorsam gegenüber Christus und seinem Wort. Er darf nicht seine eigenen Ideen verkünden, sondern muß – entgegen allen Versuchen von Anpassung und Verwässerung sowie jeder Form von Opportunismus – sich und die Kirche immer zum Gehorsam gegenüber dem Wort Gottes verpflichten." Ignatius von Antiochien sagte, dass die Kirche von Rom "»den Vorsitz in der Liebe hat«". Auch Papst Franziskus hat dieses Wort nach Inbesitznahme der Kathedra zitiert. Was mag das bedeuten? Benedikt XVI. hat Ignatius‘ Wendung eucharistisch gedeutet: "In diesem Mysterium wird die Liebe Christi immer mitten unter uns greifbar. Hier gibt er sich immer wieder hin. Hier läßt er sein Herz immer wieder durchbohren; hier hält er seine Verheißung aufrecht, die Verheißung, daß er vom Kreuz her alles an sich ziehen wird. In der Eucharistie erlernen wir selber die Liebe Christi. Dank dieser Herzensmitte, dank der Eucharistie haben die Heiligen gelebt, als sie die Liebe Gottes in immer neuen Formen in die Welt trugen. Dank der Eucharistie wird die Kirche immer wieder neu geboren! Die Kirche ist nichts anderes als jenes Netz – die eucharistische Gemeinschaft! –, in dem wir alle, wenn wir denselben Herrn empfangen, zu einem einzigen Leib werden und die ganze Welt umfangen. Der Vorsitz in der Lehre und der Vorsitz in der Liebe müssen letzten Endes ein und dasselbe sein: Die ganze Lehre der Kirche führt schließlich zur Liebe. Und die Eucharistie als gegenwärtige Liebe Jesu Christi ist das Kriterium, an dem jede Lehre gemessen wird."

Als Katholiken haben wir stets auch persönliche, ortskirchliche und regionale Sorgen, Probleme und Nöte. Manchmal belasten diese Schwierigkeiten, manchmal belasten die Debatten über diese Schwierigkeiten. So denke ich – auch mit Blick auf die Vielstimmigkeit auf dem "Synodalen Weg" –, dass wir immer wieder und immer neu lernen müssen, auf das zu schauen, was uns verbindet, was uns eint und wo wir zu Hause sind. Benedikt XVI. sagte darum: "Als Katholiken sind wir alle in gewisser Weise auch Römer. … So will ich mit ganzem Herzen versuchen, euer Bischof, der Bischof von Rom zu sein. Und wir alle wollen versuchen, immer mehr katholisch zu werden – immer mehr zu Brüdern und Schwestern in der großen Familie Gottes, jener Familie, in der es keine Fremden gibt."  In der Liebe zu Gott, zur Kirche und zum Nächsten können wir alle noch wachsen – gemeinsam und miteinander, nicht gegeneinander. Vor der Lehrvollmacht müssen wir uns nicht fürchten, im Gegenteil: Wir dürfen einfach dankbar dafür sein.

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