Sie sitzen in einem geschlossenen Raum. Drei Personen, die sich viel und gleichzeitig nichts zu sagen haben. Sie können es nicht miteinander und nicht ohneeinander. Sie würden am liebsten weglaufen, aber die Situation bindet sie. Sie sind aufeinander angewiesen, leiden aber zugleich an jeder Form von Annäherung. Sie stellen dabei fest: Schlimmer als das Alleinsein, ist die Zwangsgemeinschaft ohne Ausweg.

Die Hölle sind die anderen

Was wie die Momentaufnahmen eines gutbürgerlich-verunglückten Weihnachtsabends aussieht, ist in Wahrheit der Inhalt des Bühnenstücks "Geschlossene Gesellschaft" von Jean-Paul Sartre aus dem Jahre 1944. Der französische Existenzialist und Atheist läßt dabei drei Personen auftreten, die im Leben einander nie begegnet sind und die nun - nach ihrem Tod - für alle Ewigkeit in einem Hotelzimmer zusammen sein müssen. In dieser ausweglosen Abhängigkeit liegt für sie die Hölle. Ihnen wird ganz langsam klar, daß sie selbst zu ihren eigenen Folterknechten bestimmt sind, indem sie sich gegenseitig ihre Lebenslügen entreißen. Ein kurzes Aufflackern von Solidarität erlischt aus Angst und aus gegenseitigem Hass. Sie können also weder voneinander lassen, noch voreinander fliehen. Nicht einmal töten können sie sich, denn sie sind ja bereits tot. Und so gilt auf ewig: "Die Hölle sind die anderen." Nacheinander proben alle den Ausbruch aus diesem Gefängnis, indem sie schreien oder an die Tür schlagen. Doch selbst als sich schließlich die Tür öffnet, erschrecken alle vor der vermeintlichen Falle der Freiheit, drängen sich wieder aneinander und niemand verlässt den Raum. Sie werden ihre Notgemeinschaft ewig aufrechterhalten müssen, ohne wirklich voranzukommen.

Kein Ausweg

Mit dieser düsteren Szenerie ist das Weltbild des Autors zusammengefaßt. In der Kernaussage des Stückes übersetzt Sartre seine Analyse der menschlichen Situation und deren grundsätzliche Ausweglosigkeit und Hoffnungslosigkeit angesichts dessen, daß es für ihn keinen Gott gibt. Keinen Gott, der erschafft und keinen der rettet. Der französische Existenzialismus ist damit genauso schwarz in seinen Aussichten für das Leben des Menschen, wie es die schwarzen Rollkragenpullover seiner Anhänger in den 1950er Jahren waren und deren schwarze Zigaretten, in deren Rauch sie die unglücklichste aller Weltanschauungen einhüllten.

Ein Befund, den man ungern in der Weihnacht betrachten möchte, und der sich recht unpassend zu dem verhält, was ansonsten die Stimmung dieser Tage und ihrer Festesfreude bestimmt. Und dennoch soll er hier einmal zugemutet werden. Denn diese Sicht ist nur einen Millimeter von dem entfernt, was sich außerhalb weihnachtlich geschmückter Kirchen in den Herzen vieler Menschen zuträgt. Es finden sich dort Angst und Hoffnungslosigkeit in nicht geringem Maße. Und zwar keineswegs nur ausgelöst durch einen bestialischen und dschihad-süchtigen Islamismus, sondern vor allem dadurch, dass Vielen Ihr eigenes Menschsein so unendlich sinnlos geworden ist. Weil sie sich eingeschlossenen fühlen in die kleinen höllischen Hotelzimmer, in denen das tägliche Einerlei, der ewige Kreislauf von Schlafen – Aufstehen – Arbeiten und Schlafengehen mitsamt seiner zeitfressenden Dynamik das Leben zu etwas mehr als Fragwürdigem macht. Von Rettung ist in den Herzen vieler Zeitgenossen noch nichts gehört worden.

Die Sehnsucht nach dem Licht

Es ist darum eine Überraschung, daß uns gerade der existenzialistische Schwarz-seher Jean-Paul Sartre – gewollt oder ungewollt – Licht in das Dunkel bringt. Es hat sich ihm quasi zugereicht als er 1940 in deutscher Kriegsgefangenschaft das Theaterstück "Bariona oder der Sohn des Donners" schrieb. Erzählt wird die Geschichte eines jüdischen Dorfvorstehers, Bariona. Er versucht zu Zeit der römischen Besatzung, die Leute seines Dorfes zu bewegen, keine Kinder mehr zu zeugen. Wenn man dem Kaiser schon nicht entrinnen kann, dann soll er wenigstens keine neuen Untertanen mehr bekommen. Selbst seine eigene Frau, die ein Kind erwartet, versucht er zu bewegen, das Kind zu töten. Als ihm eines Tages Hirten von der Geburt des Messias in einem Stall in Bethlehem berichten, ist diese Nachricht in seinen Augen zunächst eine große Illusion, eine Täuschung.

Als er dann aber selbst schließlich eines Tage nach Bethlehem kommt, trifft er dort seine schwangere Frau inmitten einer knienden Menge an, die sichtlich bewegt und glücklich ist, weil sie den Messias gefunden zu haben glaubt. Er läßt daraufhin von seiner Absicht ab, seine Frau zur Kindstötung zu bewegen. Als er wenig später erfährt, daß Herodes Jesus ermorden lassen will, versammelt er seine Männer; sie greifen zu den Waffen und stellen sich - bewußt, daß sie sicher dabei den Tod finden werden - den Häschern des Königs entgegen. Bariona hat in der Begegnung mit dem kleinen Messias seinen ihm von Sartre aufgeschriebenen Existenzialismus losgelassen und ganz offenbar in dem neugeborenen König die Antwort auf die Frage des Ausweges aus allen Eingeschlossenheiten gefunden.

Frommer Ausrutscher?

Ob Sartre für einen Moment ungewollt fromm geworden war, als er dieses weihnachtliche Theaterstück schrieb, wissen wir nicht. Eines aber wissen wir: daß sich hier der prominenteste Vertreter derjenigen Weltanschauung, die die Sinnlosigkeit und Nichtswürdigkeit des menschlichen Lebens auf ihre Fahnen schrieb, nicht dagegen wehren konnte, daß es diese Botschaft von Betlehem gibt. Diese Nachricht der Hirten, daß da ein kleiner Gott geboren wurde, ein kleiner, zappelnder Retter, der allein durch seine Geburt bereits die Menschen in die Knie zwingt und ihnen gleichzeitig eine Antwort auf die Frage nach dem Ausweg schenkt. Diese Nachricht ist so umwerfend, daß der jüdische Existenzialist Bariona sich sogar schützend vor diese Kind stellt, nach dem die Mächtigen ihre Hand austrecken.

Es ist deswegen wohl gerade zur Stunde der Weihnacht inmitten einer vor Angst und Fassunglosigkeit brennenden Welt die Ahnung des Atheisten Sartre so enorm bedeutungsvoll. Weil sie allen, die Weihnachten feiern, die Ahnung schenkt, daß sie richtig liegen, wenn sie in der Heiligen Nacht zusammengekommen, um den neugeborenen Erlöser zu bestaunen. Denn Er hat sich mit einschließen lassen in die Höllen unsere Menschentage. Damit die Menschen den Ausgang finden. Er ist Gott und Er ist Mensch! Dieses Wunder ist die Rettung aus aller Angst, weil es zeigt, daß Gott die Liebe ist, die stärker ist als das Nichts.

Der warme Gott

Sartre, der Zeit seines Lebens mit diesem Nichts gerungen hat wie kaum ein anderer, läßt am Ende seines Stückes Bariona dieses Ringen aussprechen.

"Ein Gottmensch," sagt Bariona, "ein Gott aus unserem erniedrigten Fleisch, ein Gott, der bereit wäre, diesen salzigen Geschmack kennenzulernen, den wir im Mund haben, wenn die ganze Welt uns verläßt, ein Gott, der im Voraus bereit wäre, zu leiden, was ich heute leide... Also, das ist Blödsinn!".

Dann aber schaut Bariona mitten durch die kniende Menge in Betlehem auf Maria – die Stellvertreterin aller Menschen - und er stammelt: "Sie betrachtet ihn und denkt: "Dieser Gott ist mein Kind. Dieses göttliche Fleisch ist mein Fleisch. Er ist aus mir gemacht, er hat meine Augen, und diese Form seines Mundes ist auch die Form von meinem. Er sieht mir ähnlich. Er ist Gott, und er sieht mir ähnlich." Keine Frau hat ihren Gott derart für sich allein gehabt. Einen ganz kleinen Gott, den man in den Arm nehmen kann und mit Küssen bedecken, einen ganz warmen Gott, der lächelt und atmet, einen Gott, den man berühren kann und der lebt".

Sartre hat damit wohl für einen Moment den Ausweg aus der Hölle gefunden.

Dr. Guido Rodheudt ist Pfarrer von St. Gertrud in Herzogenrath und Gründer des "Netzwerks katholischer Priester".

Dieser Artikel erschien zuerst in der Schweizerischen Katholischen Sonntagszeitung. 

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