Die Enzyklika „Veritatis splendor“ erweist sich gerade in der heutigen Zeit als wegweisend und wertvoll, denn die kontrovers diskutierten Themen von Glauben und Moral werden von dem heiligen Johannes Paul II. bereits bedacht, geprüft und gedeutet. So spricht er auch über die „Freiheit des Menschen“. Wer römisch-katholisch ist, weiß, dass die recht verstandene Freiheit nicht in der absoluten Autonomie der Person, nicht in der beliebigen Verfügbarkeit über das eigene Leben liegt. Ja, wir können tun, was uns beliebt – aber wer tut, was ihm beliebt, bewegt sich auf dem Weg der Sünde. Johannes Paul II. warnt energisch davor, „die Freiheit derart zu verherrlichen, daß man sie zu einem Absolutum machte, das die Quelle aller Werte wäre“: „In diese Richtung bewegen sich Lehren, die jeden Sinn für die Transzendenz verloren haben oder aber ausdrücklich atheistisch sind. Dem Gewissen des einzelnen werden die Vorrechte einer obersten Instanz des sittlichen Urteils zugeschrieben, die kategorisch und unfehlbar über Gut und Böse entscheidet. Zu der Aussage von der Verpflichtung, dem eigenen Gewissen zu folgen, tritt unberechtigterweise jene andere, das moralische Urteil sei allein deshalb wahr, weil es dem Gewissen entspringt.“ Dies sei eine „radikal subjektivistische Konzeption des sittlichen Urteils“. Den Verfall des katholischen Gewissensbegriffs können wir in vielen gegenwärtigen Diskussionen – etwa bei der Kommunionspendung für Nichtkatholiken – beobachten. Auch viele andere Dimension des menschlichen Lebens verlangen, die „allgemeine Erkenntnis auf eine bestimmte Situation anzuwenden“ und auf diese Weise ein Urteil über das richtige Verhalten zu treffen. Wer aber das Ich absolut setzt, geht in die Irre. Sogleich kritisiert der heilige Papst die Verbindung von einer „Verherrlichung der Freiheit“ mit einer „relativistischen Moralauffassung“: „Gewisse Richtungen der heutigen Moraltheologie interpretieren unter dem Einfluß hier in Erinnerung gerufener subjektivistischer und individualistischer Strömungen das Verhältnis der Freiheit zum Sittengesetz, zur menschlichen Natur und zum Gewissen in neuer Weise und schlagen neuartige Kriterien für die sittliche Bewertung von Handlungen vor: es sind dies Tendenzen, die in ihrer Verschiedenheit darin übereinstimmen, die Abhängigkeit der Freiheit von der Wahrheit abzuschwächen oder sogar zu leugnen.“

Die Unterscheidung von Gut und Böse liegt nicht im Ermessen des Menschen. Gott allein steht diese Macht zu: „Gewiß, der Mensch ist von dem Augenblick an frei, in dem er die Gebote Gottes erkennen und aufnehmen kann. Und er ist im Besitz einer sehr weitgehenden Freiheit, denn er darf »von allen Bäumen des Gartens« essen. Aber es ist keine unbegrenzte Freiheit: Sie muß vor dem »Baum der Erkenntnis von Gut und Böse« haltmachen, da sie dazu berufen ist, das Sittengesetz, das Gott dem Menschen gibt, anzunehmen. Tatsächlich findet gerade in dieser Annahme die Freiheit des Menschen ihre wahre und volle Verwirklichung. Gott, der allein gut ist, erkennt genau, was für den Menschen gut ist, und kraft seiner eigenen Liebe legt er ihm dies in den Geboten vor.“ 

Gottes Gebote schränken die Freiheit des Menschen nicht ein, im Gegenteil – auch wenn dies, so Johannes Paul II., von einigen katholischen Moraltheologen behauptet werde: „In einem solchen Zusammenhang müssen unbedingt die Grundbegriffe der menschlichen Freiheit und des Moralgesetzes sowie ihre tiefen, inneren Beziehungen im Lichte des Wortes Gottes und der lebendigen Überlieferung der Kirche geklärt werden. Nur so wird es möglich sein, den berechtigten Ansprüchen menschlicher Vernünftigkeit dadurch zu entsprechen, daß man die gültigen Elemente einiger Strömungen der heutigen Moraltheologie integriert, ohne das moralische Erbgut der Kirche durch Thesen zu beeinträchtigen, die aus einem falschen Autonomiebegriff herrühren.“ Das Zweite Vatikanische Konzil verlange „Wachsamkeit gegenüber einem falschen Begriff der Autonomie der irdischen Wirklichkeiten“: „Was den Menschen betrifft, so führt dann ein solcher Autonomiebegriff zu besonders schädlichen Auswirkungen, und nimmt schlußendlich atheistischen Charakter an: »Denn das Geschöpf sinkt ohne den Schöpfer ins Nichts... überdies wird das Geschöpf selbst durch das Vergessen Gottes unverständlich«.“ In diesem Sinne bekräftigt Johannes Paul II. nicht subjektivistische Wünsche und Fantasien über eine weltliche Autonomie der Person, sondern die Lehre der Kirche aller Zeiten und Orte: „Das Sittengesetz kommt von Gott und findet immer in ihm seine Quelle: Aufgrund der natürlichen Vernunft, die aus der göttlichen Weisheit stammt, ist es zugleich das dem Menschen eigene Gesetz. Das Naturgesetz ist nämlich, wie wir gesehen haben, »nichts anderes als das von Gott uns eingegebene Licht des Verstandes. Dank seiner wissen wir, was man tun und was man meiden soll. Dieses Licht und dieses Gesetz hat uns Gott bei der Erschaffung geschenkt«. Die richtige Autonomie der praktischen Vernunft bedeutet, daß der Mensch ein ihm eigenes, vom Schöpfer empfangenes Gesetz als Eigenbesitz in sich trägt. Doch die Autonomie der Vernunft kann nicht die Erschaffung der Werte und sittlichen Normen durch die Vernunft bedeuten.“ Die „wahre sittliche Autonomie“ liegt nicht in der Leugnung oder Ablehnung, sondern einzig in der „Annahme des Sittengesetzes“: „Die Freiheit des Menschen und das Gesetz Gottes begegnen einander und sind aufgerufen, sich im Sinne des freien Gehorsams des Menschen gegenüber Gott und des unverdienten Wohlwollens Gottes gegenüber dem Menschen gegenseitig zu durchdringen. Der Gehorsam Gott gegenüber ist daher nicht, wie manche meinen, eine Heteronomie, so als wäre das moralische Leben dem Willen einer absoluten Allmacht außerhalb des Menschen unterworfen, die der Behauptung seiner Freiheit widerspricht. … Die der Freiheit Gottes nachgebildete Freiheit des Menschen wird durch dessen Gehorsam gegenüber dem Gesetz Gottes nicht nur nicht verneint, sondern vielmehr bleibt sie erst durch diesen Gehorsam in der Wahrheit und entspricht der Würde des Menschen, wie das Konzil offen schreibt: »Die Würde des Menschen verlangt, daß er in bewußter und freier Wahl handle, das heißt personal, von innen her bewegt und geführt und nicht unter blindem innerem Drang oder unter bloßem äußerem Zwang. Eine solche Würde erwirbt der Mensch, wenn er sich aus aller Knechtschaft der Leidenschaften befreit und sein Ziel in freier Wahl des Guten verfolgt sowie sich die geeigneten Hilfsmittel wirksam und in angestrengtem Bemühen verschafft« (Gaudium et spes, 75).“ Der heilige Johannes Paul II. wirbt um unsere Treue zur Kirche des Herrn – und widerspricht den gottfremden Philosophien und zeitgeistlichen Moden dieser Welt.

Die bisher bei CNA Deutsch veröffentlichten Geistlichen Betrachtungen zu den Enzykliken von Johannes Paul II. im Überblick.

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