Was trägt, wenn alles zerbricht? Nach einem tödlichen Anschlag in Ägypten, bei dem er seine Familie verlor, stand Kiro Lindemann vor der radikalsten Glaubensfrage seines Lebens.

Im Interview mit CNA Deutsch sprach er über Leid und Vertrauen, echte Vergebung statt verdrängtem Hass, das oft missverstandene Leben verfolgter Christen und darüber, warum christlicher Glaube heute sichtbar, wahrhaftig und handlungsbereit sein muss.

Nach dem Anschlag in Ägypten, bei dem Sie Ihre Familie verloren haben, standen Sie vor einer existenziellen Glaubensprobe. Was hat Ihnen konkret geholfen, innerlich nicht zu zerbrechen?

Nach dem Anschlag stand ich vor einer Frage, die tiefer ging als alles andere: Zerbreche ich jetzt innerlich oder trägt mich mein Glaube wirklich? Was mich gehalten hat, war nicht eine spontane Hoffnung, sondern die jahrelange Erfahrung mit Gott vor diesem Tag. Ich habe gewusst: Ich kann tiefer fallen, als ich es mir vorstellen kann, aber niemals tiefer, als Gott mich auffangen kann.

Ein Satz aus der Bibel ist mir dabei immer wieder durch Herz und Kopf gegangen: Alles dient zum Besten für die, die Gott lieben. In diesem Moment hat das nicht bedeutet, dass alles gut ist. Es hat bedeutet, dass mein Leid nicht sinnlos ist. Dieses Vertrauen hat mir Kraft gegeben. Zu wissen: Gott steht neben mir. Er geht nicht weg. Und egal, was Menschen mir antun, ich bin nicht allein.

Sie sprechen öffentlich über Vergebung. Wie haben Sie persönlich den Unterschied zwischen echter Vergebung und bloßer Verdrängung erfahren?

Für mich zeigt sich der Unterschied ganz praktisch. Verdrängung hätte bedeutet, den Hass nur wegzuschieben und innerlich trotzdem hart zu bleiben. Echte Vergebung hat mein Herz verändert. Echte Vergebung heißt für mich, dass ich für den Täter beten kann. Nicht nur, dass Gott ihm vergibt, sondern dass er einen besseren Platz im Himmel bekommt als ich. Und sie zeigt sich darin, dass ich heute muslimische Familien einlade, für sie koche und ihnen von Jesus Christus erzähle. Wenn der Hass nur verdrängt wäre, hätte ich das niemals tun können. Das konnte nur aus echter Vergebung wachsen.

Welche Missverständnisse gibt es Ihrer Erfahrung nach über Christenverfolgung und das Leben christlicher Familien im Nahen Osten?

Ein großes Missverständnis ist, dass Christenverfolgung etwas Abstraktes oder Vergangenes sei. Für viele ist es eine Schlagzeile, für uns ist es Alltag gewesen. Viele denken auch, christliche Familien im Nahen Osten seien entweder ständig auf der Flucht oder voller Hass und Angst. Die Wahrheit ist: Wir haben versucht, ganz normal zu leben. Kinder großzuziehen, zu feiern, zu glauben. Und genau das hat uns angreifbar gemacht.

Ein weiteres Missverständnis ist, dass man nur Opfer ist. Verfolgung nimmt viel, aber sie nimmt nicht den Glauben. Viele Christen im Nahen Osten bleiben nicht aus Trotz, sondern aus Liebe zu Christus. Nicht, weil sie den Tod suchen, sondern weil sie das Leben nicht aufgeben wollen.

Welche Botschaft möchten Sie Christen in Europa mitgeben, die meist keinen existenziellen, sondern eher gesellschaftlichen Gegenwind erleben?

Meine Botschaft an Christen in Europa ist vor allem eine Ermutigung. Haltet an Jesus Christus fest und erkennt neu seinen Wert. Gerade weil viele hier keinen existenziellen Druck erleben, liegt darin auch eine große Verantwortung. Ihr habt die Freiheit und die Kapazität, für verfolgte Christen weltweit zu beten. Ihr könnt Organisationen unterstützen, die ihnen konkret helfen. Und ihr habt die Möglichkeit, Zeit, Kraft und Liebe in das Reich Gottes zu investieren. Das sind Dinge, die bleiben. Alles andere vergeht.

Glaube darf dabei nicht abstrakt bleiben. Er gehört mitten in den Alltag, in Familien, in Entscheidungen, in ganz normale Situationen des Lebens. Genau das versuchen wir auch auf unseren Kanälen auf YouTube und Instagram unter dem Namen Kiro Lindemann. Dort teilen wir kurze Impulse aus unserem Alltag mit unseren Kindern und unserem Glaubensleben, damit sichtbar wird: Glaube wirkt. Hier und heute. Mitten im Leben.

Welche Verantwortung sehen Sie heute für katholische Influencer: Trost zu spenden, aufzuklären, zum Handeln zu ermutigen – oder alles zugleich?

Ich glaube nicht, dass man sich das aussuchen kann. Wer heute als katholischer Influencer spricht, trägt Verantwortung für alles zugleich. Trost zu spenden ist wichtig, weil viele Menschen müde, verletzt und innerlich leer sind. Aber Trost ohne Wahrheit wird schnell oberflächlich. Aufzuklären ist genauso notwendig, auch wenn es unbequem ist, weil Glaube ohne Wahrheit sentimental wird.

Und ja, wir müssen auch zum Handeln ermutigen. Nicht laut, nicht moralisch von oben herab, sondern durch ein glaubwürdiges Leben. Menschen spüren sehr schnell, ob jemand nur spricht oder ob er selbst bereit ist, den Preis zu zahlen.

Erhalten Sie Top-Nachrichten von CNA Deutsch direkt via WhatsApp und Telegram.

Schluss mit der Suche nach katholischen Nachrichten – Hier kommen sie zu Ihnen.

Für mich heißt das: nicht spalten, aber auch nicht schweigen. Nicht provozieren um der Provokation willen, aber auch nicht weich werden, wenn Klarheit gefragt ist. Am Ende geht es nicht um Reichweite oder Einfluss, sondern darum, Christus sichtbar zu machen. Mit Worten, mit Haltung und mit dem eigenen Leben.

Hinweis: Interviews wie dieses spiegeln die Ansichten der jeweiligen Gesprächspartner wider, nicht notwendigerweise jene der Redaktion von CNA Deutsch.