Der heilige Johannes Paul II. hat von der „Zivilisation der Liebe“ gesprochen und damit nicht einen Menschheitstraum formuliert, sondern die Sendung des Christen bezeichnet. Auch in der Welt der Ökonomie herrschen oft einseitige Betrachtungsweisen vor. So muss mit Nachdruck betont werden, dass die Lehre der Kirche mitnichten eine Apologie des Kapitalismus betreibt, sondern auf dem Evangelium fußt und die katholische Soziallehre in den Blick nimmt. Benedikt XVI. spricht in der Enzyklika „Caritas in veritate“ von der „ganzheitlichen Entwicklung des Menschen“ und hebt die Einseitigkeit „sozioökonomischer Maßnahmen“ hervor: „Die Liebe schließt das Wissen nicht aus, ja, sie verlangt, fördert und belebt es von innen her. Das Wissen ist niemals allein das Werk der Intelligenz. Es kann zwar auf ein Kalkül oder Experiment reduziert werden, wenn es aber Weisheit sein will, die imstande ist, den Menschen im Licht der Grundprinzipien und seiner letzten Ziele zu orientieren, dann muß sie mit dem »Salz« der Liebe »gewürzt« sein. Das Tun ist blind ohne das Wissen, und das Wissen ist steril ohne die Liebe.“ Woher also gewinnt das menschliche Handeln seine Orientierung? Wer den Menschen bloß horizontal begreift, verkennt, dass Gottes Kinder auch lieben und geliebt sein möchten. Der Mensch ist auch nicht Mensch aufgrund einer bloßen Vernunftbegabung. Das ist nur ein philosophischer, also unzureichender Gedanke. Wie töricht, ja wie sinnwidrig diese Betrachtungsweise und Verkürzung ist, zeigt sich ja erst recht, wenn Menschen auf ihre intellektuellen Fähigkeiten, ihre sogenannte Leistungsbereitschaft oder ihre Tauglichkeit, das Leben selbstständig zu meistern, verkürzt werden. Menschliches Leben besitzt diese unverfügbare Würde von der Empfängnis bis in die Sterbestunde. 

Wer als Christ, wer als Katholik nach dem Ziel seines Lebens gefragt wird, der antwortet darauf nicht: Ich möchte Karriere machen, sondern erkennt die Berufung zu einem heiligmäßigen Leben. Mit allem Nachdruck mahnt Benedikt XVI. auf die Liebesfähigkeit des Menschen zu schauen. Schließlich heißt es im ersten Johannesbrief auch nicht: Wir haben der Vernunft oder an den Willen geglaubt, sondern: Wir haben der Liebe geglaubt. Wer die Liebe als sekundär ansieht, der sieht auch Gott als zweitrangig an. Benedikt schreibt: „Die Liebe ist keine nachträgliche Hinzufügung, gleichsam ein Anhängsel an die von den verschiedenen Disziplinen bereits getane Arbeit, sondern sie steht mit diesen von Anfang an im Dialog. Die Ansprüche der Liebe stehen zu denen der Vernunft nicht im Widerspruch. Das menschliche Wissen ist ungenügend, und die Schlußfolgerungen der Wissenschaften können allein den Weg zur ganzheitlichen Entwicklung des Menschen nicht weisen. Es ist immer nötig, darüber hinaus weiter vorzustoßen – das verlangt die Liebe in der Wahrheit. Darüber hinaus zu gehen bedeutet jedoch niemals, von den Schlüssen der Vernunft abzusehen, noch ihren Ergebnissen zu widersprechen. Intelligenz und Liebe stehen nicht einfach nebeneinander: Es gibt die an Intelligenz reiche Liebe und die von Liebe erfüllte Intelligenz.“

Der bloßen Intelligenz kann also etwas Technisches und Kaltes eigen sein. Wir sehen das auch in diesen Zeiten: Wenn Weltchristen und Theologen, ja selbst Bischöfe ihre Hoffnung auf die von Michel Foucault inspirierten „Humanwissenschaften“ setzen und nicht auf Gott, dann fallen Intelligenz und Liebe vielleicht auseinander. Benedikt greift Gedanken von Paul VI. auf und formuliert: „Das bedeutet, daß die moralischen Bewertungen und die wissenschaftliche Forschung gemeinsam wachsen müssen und daß die Liebe sie in einer harmonischen interdisziplinären Ganzheit, die aus Einheit und Unterschiedenheit besteht, beseelen muß. Die Soziallehre der Kirche, die »eine wichtige interdisziplinäre Dimension« hat, kann aus dieser Perspektive eine Funktion von außerordentlicher Wirksamkeit erfüllen. Sie gestattet dem Glauben, der Theologie, der Metaphysik und den Wissenschaften, ihren Platz innerhalb einer Zusammenarbeit im Dienst des Menschen zu finden. Vor allem hier realisiert die Soziallehre der Kirche ihre auf der Weisheit beruhende Dimension.“

Papst Benedikt betont den „von der Liebe geläuterten Blick“, der auf die „Würde der Person“ ausgerichtet ist und kritisiert mit seinen Vorgängern im Petrusdienst die verheerenden Folgen des ökonomischen wie intellektuellen Kolonialismus. Die Globalisierung beurteilt Benedikt XVI. ambivalent: „Ohne die Führung der Liebe in der Wahrheit kann dieser weltweite Impuls allerdings dazu beitragen, die Gefahr bisher ungekannter Schäden und neuer Spaltungen in der Menschheitsfamilie heraufzubeschwören. Darum stellen uns die Liebe und die Wahrheit vor einen ganz neuen und kreativen Einsatz, der freilich sehr umfangreich und komplex ist. Es geht darum, die Vernunft auszuweiten und sie fähig zu machen, diese eindrucksvollen neuen Dynamiken zu erkennen und auszurichten, indem man sie im Sinn jener »Kultur der Liebe« beseelt, deren Samen Gott in jedes Volk und in jede Kultur gelegt hat.“ Doch sehen wir heute eine „Kultur der Liebe“ wachsen? Neue Vormundschaften entstehen. Die Entwicklung und Verbreitung von Empfängnisverhütungsmitteln, Gesetze für Abtreibung und Sterbehilfe werden als gesellschaftliches Fortschrittsprogramm oder als Emanzipation des Menschen heute verstanden. Das zeigt umso deutlicher, wie notwendig es ist, für eine „Kultur der Liebe“ einzutreten, für diese zu werben und diese in gläubiger Demut zu bezeugen. Jedes Anpassungsprogramm an den Zeitgeist und säkulare Ideologien führt auch nicht zu einer Erneuerung der Kirche, sondern zu einer Abwendung von Gott.

Die Geistlichen Betrachtungen zu den Enzykliken Papst Benedikt XVI. finden Sie hier im Überblick.

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