7. Oktober 2021
Jesus und das Neue Testament sind eindeutig, wenn es um das Konzept der Ehe geht: Die Ehe ist ein Bund zwischen einem Mann und einer Frau. In Anschluss an diese und andere Aussagen der Heiligen Schrift hält die katholische Kirche daran fest, dass nach dem Willen Gottes eine Ehe darin besteht, dass ein Mann und eine Frau aus freien Stücken ihr Ja zueinander sagen, um in Treue einander zu helfen, zu achten und zu ehren bis dass der Tod sie scheidet. Und auch die Bereitschaft, Kindern das Leben zu schenken und im Glauben zu erziehen, gehört zu diesem Bund. Freilich, in unserer heutigen Gesellschaft wird dieses Ehe Konzept nicht mehr allgemein anerkannt. Und auch innerhalb der katholischen Kirche besteht eine gewisse Verunsicherung. So manche fragen sich, was nun richtig ist: die Auffassung des Neuen Testaments und der Kirche – oder die Ideen, die unsere neueren gesellschaftlichen Entwicklungen mit sich bringen.
In dieser Frage entscheidet sich viel daran, ob ich an einen Schöpfer glaube, der die Welt sehr bewusst und gedankenvoll so gestaltet hat, wie ich sie vorfinde, oder ob ich die Welt als Produkt einer im Grunde rein zufälligen Entwicklung ansehe. Denn wenn ich glaube, dass die Natur das Produkt einer letztlich rein zufälligen Entwicklung ist, bin ich im Prinzip frei, sie umzugestalten. Für die Ehe und das Miteinander der Geschlechter würde dies bedeuten, dass ich nach Belieben die Geschlechter und ihre Beziehungen und Aufgaben neu konstruieren und zuordnen kann, sobald mir die Technik und unser Wohlstand es nur ermöglichen. Wenn ich jedoch glaube, dass die ganze Welt – und auch das männliche und weibliche Geschlecht – von Gott geschaffen wurde und dass ein Plan dahinter liegt, warum Gott die Welt so geschaffen hat, ist es vielmehr ratsam, diesen Plan zu kennen und mich nach ihm auszurichten.
Als Christen vertreten wir Letzteres: Wir glauben, dass Gott hinter Allem steht und dass er in unsere Welt eine Ordnung hineingeschrieben hat, die zu unserem Glück führen soll. Und wenn man sich nicht an seinen objektiven Plan hält, wird dies dem Menschen – und schließlich der Menschheit als Ganzer – früher oder später schaden. Die in uns eingeschriebene Natur lässt sich nämlich nicht ändern.
Jedoch sollten wir nachfragen, welche Art von Plan wohl hinter der Schöpfung von Mann und Frau liegt. Gibt es da eine tiefere Absicht? Ich möchte im Folgenden der Frage nachgehen, welchen Zweck Gott mit der Erschaffung von Mann und Frau verfolgt haben mag. Und was er sich dabei gedacht hat, dass er gerade zwei Geschlechter erschuf.
Gott hätte es ja auch anders machen können. Zum Beispiel hätte er nur Männer schaffen können. Oder nur Frauen. Jedenfalls nur ein Geschlecht. Und er hätte dieses eine Geschlecht so ausstatten können, dass jeder jeden begatten kann und zudem jeder eine Gebärmutter in sich trägt. Alle wären also gleich, was die Ausstattung der Geschlechtsorgane anbelangt. Und jeder kann mit jedem Kinder zeugen.
Gott hätte uns alternativ auch so gestalten können, dass jeder von uns aus sich heraus allein Nachwuchs hervorbringen kann. So dass es also überhaupt kein sexuelles Zusammenkommen bräuchte. Auch das wäre denkbar gewesen.
Und wiederum hätte Gott es auch so einrichten können, dass es drei Geschlechter gibt – oder auch vier oder noch mehr. Und es müssten dann zum Beispiel die drei verschiedenen Geschlechter in den sexuellen Kontakt treten, damit ein Kind entsteht. Gott wäre frei gewesen, die Welt so zu gestalten.
Diese Phantasien mögen uns Science-Fiction-mäßig anmuten. Aus gutem Grund. Denn Gott hat es sich schließlich anders ausgedacht. Und zwar, so mein Eindruck, aus einer bewussten Überlegung heraus. In der Zweigeschlechtlichkeit des Menschen möchte er nämlich etwas aufstrahlen lassen von dem ewigen Ziel, warum es uns Menschen überhaupt gibt.
In der Bibel sehen wir immer wieder, dass Gott die Dinge, die er mit uns Menschen vorhat, durch Vorzeichen ankündigt und uns auf diese Weise vorbereitet. Er liebt es, uns einzustimmen und uns so für unseren Weg zu stärken. Und das betrifft auch unser ewiges Ziel; das letzte Ziel, weswegen wir und die ganze Welt überhaupt da sind.
Was ist unser ewiges Ziel? Nun: die himmlische Hochzeit mit Gott! Und das ewige Leben mit ihm. Gott hat uns Menschen aus Liebe erschaffen, damit wir seine Liebe beantworten und ihn zurücklieben, auf dass sich dereinst im Himmel sozusagen zwei Partner in ewiger Liebe lieben: auf der einen Seite Gott – in der Gestalt von Jesus Christus; und auf der anderen Seite die Gemeinschaft der Erlösten – die „himmlische Kirche“ (vgl. Offb 19,6-9).
Es handelt sich also um eine ewige Partnerschaft, die das Ziel dieser Welt ist. Und zwar eine Partnerschaft von Zweien! Nicht von nur Einem oder von Dreien oder Vieren oder sonst was. Sondern im Wesentlichen geht es hier um eine Partnerschaft zwischen Gott und der Menschheit. Zwischen Christus und der ewigen Kirche. Um zu diesem Ziel hinzuführen, wurde die ganze Welt geschaffen.
Diese zukünftige ewige Partnerschaft wird in der Offenbarung des Johannes thematisiert. Dort heißt es über das himmlische Jerusalem, welches die zukünftige Gemeinschaft der Erlösten darstellt, dass sie wie eine „Braut“ aus dem Himmel herabkommen werde (Offb 21,2). Die zukünftige Gemeinschaft der Erlösten ist wie eine Braut! Und Jesus Christus ist ihr Bräutigam.
Auch Johannes der Täufer erklärte über Jesus, als alle Leute unserem Herrn nachliefen: „Wer die Braut hat, ist der Bräutigam.“ (Joh 3,29) Auch hier findet sich dieser Gedanke: Jesus ist Bräutigam; und die Gemeinschaft der Gläubigen ist seine Braut.
Unser letztes Ziel ist also eine ewige himmlische Hochzeit: wir in Einheit mit Jesus, unserem Bräutigam. Die Vereinigung mit ihm wird das volle Glück unserer Seele sein! So dass für unsere Zeit hier auf Erden gilt, dass wir aufgerufen sind, in bräutlicher Beziehung zu Gott zu leben; in Erwartung dieser himmlischen Hochzeit; bereits jetzt in Gott verliebt; und uns nach ihm sehnend. Und auch er sehnt sich nach uns.
Als Vorgeschmack und als ein Vorzeichen dieses letzten Zieles der Weltgeschichte gibt Gott uns aber die Ehe von Mann und Frau!
Jedes Hochzeitspaar hier auf Erden – und jedes Ehepaar, das so lebt, wie Gott es in die Ehe hineingeschrieben hat – spiegelt schon hier das ewige Ziel wider: Jedes Ehepaar, das in gegenseitiger Liebe, Treue und Unauflöslichkeit seinen Weg geht, ist ein Abbild für die ewige Liebe und Treue, die dereinst im Himmel zwischen uns Erlösten und unserem Erlöser bestehen wird; ist ein Abbild für das ewige Glück. Jede Liebe und Treue in der Ehe gibt uns einen Vorgeschmack für das, was kommen wird.
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Das bedeutet unterm Strich: Mann und Frau und Ehe sind nicht egal. Sondern Gott hat sie gezielt auf diese Abbildhaftigkeit hin ausgedacht. Es ist nicht so, dass Gott die Ehe als Vorausbild der zukünftigen himmlischen Hochzeit einfach zufällig in der Natur entdeckt hat und gesagt hat: „Das ist ja prima, dass es Mann und Frau gibt! Die geben ein schönes Vorausbild ab!“ Nein, Gott hat vielmehr schon von Erschaffung der Welt an das ewige Ziel im Blick gehabt und hat daher bei der Entstehung des Menschen bewusst dafür gesorgt, dass es zwei Geschlechter – Mann und Frau – gibt, die uns auf dieses kommende Ziel hinweisen.
Wobei die Unterschiedlichkeit von Mann und Frau in der Ehe nun auf die Unterschiedlichkeit der beiden ewigen Partner hinweist: Denn auch in der kommenden himmlischen Vereinigung bleibt Jesus Gott; und der Mensch ist und bleibt ein Mensch.
Der Mann steht für Christus und die Frau für die erlöste Kirche. Diese unterschiedliche Symbolik kann zu Irritationen führen. Denn wenn der Ehemann Jesus Christus darstellt und die Ehefrau „nur“ die zukünftige heilige Kirche, zählt dann der Ehemann nicht mehr als die Ehefrau? – könnte man fragen. Nein, ist die Antwort. Denn Folgendes ist zu bedenken: Auch wenn die beiden himmlischen Partner grundlegend ungleich sind – der himmlische Bräutigam ist Gott und seine himmlische Braut besteht nur aus Menschen – so werden die beiden von Gott doch auf eine Ebene gestellt sein. Jesus und die vollendete Kirche sind in der ewigen Einheit zwar unterschiedlich, sie befinden sich aber dennoch auf der gleichen Ebene!
Gott wurde in Jesus nämlich ein Mensch. Er hat sich erniedrigt und ist in Jesus zum Gott-Menschen geworden. Und er hat die Menschen durch die Gabe des Heiligen Geistes auf die Ebene des göttlichen Lebens gehoben. So sind wir als Christen im Heiligen Geist göttliche Menschen. Und damit gelangen wir beide auf die gleiche Ebene. Und zwar in Ewigkeit: Gott Mensch und vergöttlichte Menschen stehen auf einer Ebene als ein ewiges Paar. Und das ist höchst faszinierend!
Die zukünftige himmlische Hochzeit zwischen Christus und der Kirche wird in der Heiligen Schrift als eine Beziehung gleichrangiger gegenseitiger Liebe beschrieben. Im ersten Johannesbrief heißt es zum Beispiel, dass wir dereinst Jesus „gleichartig“ sein werden (1 Joh 3,2). Und in der Offenbarung des Johannes lesen wir, dass wir auf Jesu „Thron sitzen“ (Offb 3,21) und „mit ihm herrschen“ werden (Offb 5,10; 20,4; 22,5). Welch unglaubliche Berufung, wenn man sich das vorstellt: Wir werden mit Jesus auf seinem Thron sitzen!
Es geht Gott also um eine ewige gleichrangige Beziehung dieser beiden Partner – trotz der im Hintergrund stehenden unendlichen Unterschiedlichkeit. Es geht um ein ewiges Füreinander-Da-Sein und gegenseitiges Lieben – wobei jeder das einbringt, was er von seiner Seite einbringen kann.
Aus der Sicht Gottes stehen diese Gleichrangigkeit und Liebe bei der ewigen Vermählung im Vordergrund. Und daher hat er auch Mann und Frau auf diese Gleichrangigkeit hin gestaltet. Schon rein körperlich. Denn wenn man zum Beispiel Mann und Frau nebeneinander hinstellt, sind beide äußerlich gesehen ziemlich ähnlich. Sie sind von ihrem Aussehen und ihrer Art her eher gleich als unterschiedlich. Hätte Gott bei der Erschaffung des Menschen hingegen den unendlichen Unterschied zwischen Gott und Mensch im Bild von Mann und Frau ausdrücken wollen, so hätte er Mann und Frau erheblich unterschiedlicher gestalten müssen! Den Mann zum Beispiel als Riese. Und die Frau so groß wie eine Ameise. Aber er wollte nicht die Unterschiedlichkeit betonen, sondern eben jene Gleichrangigkeit und Ebenbürtigkeit, die dereinst bei den beiden Partnern der himmlischen Hochzeit realisiert werden wird.
In der revidierten Einheitsübersetzung heißt es über die Erschaffung der Frau, dass Gott wollte, dass Adam ein Wesen an seine Seite gestellt bekomme, das ihm „ebenbürtig“ sei (Gen 2,18.20). Das Wort „ebenbürtig“ kann auch übersetzt werden mit: „ein Gegenüber“. Oder mit: „ein Gegenpart“. Diese Formulierungen – „Gegenüber“, „Gegenpart“ und „Ebenbürtig-Sein“ – bringen genau das zum Ausdruck, um was es geht: dass nämlich Mann und Frau im Gegenüber die ewige Einheit von Christus und der Kirche darstellen sollen; eine Einheit, die gekennzeichnet ist durch ein gegenseitiges Füreinander Dasein und Sich-Hinschenken aus Liebe.
Dass hier auf Erden der Mann manchmal meint, über die Frau herrschen zu können, ist hingegen eine Folge des Sündenfalls. Diesbezüglich ist die biblische Schöpfungsgeschichte eindeutig: „Der Mann aber wird über dich herrschen!“ (Gen 3,16) – das ist eine Feststellung Gottes, die erst aufgrund des Sündenfalls erfolgte. Die herrscherliche Attitüde mancher Männer ist also nicht der ursprüngliche Plan Gottes!
Der ursprüngliche Plan Gottes für das Miteinander von Mann und Frau beinhaltet vielmehr das gleichrangige beiderseitige Füreinander-Dasein. Wobei jeder das einbringt, was ihm eigen ist. Und wenn schon, so kommt es eher dem Mann zu, immer wieder den ersten Schritt zu unternehmen, wenn es um die Liebe geht. Denn auch Jesus – das Urbild jedes Bräutigams – hat den ersten Schritt unternommen, als er für uns, seine Braut, ein Mensch wurde und am Kreuz starb. Im Werben um Liebe ging er voran.
Die Gemeinschaft von Ehemann und Ehefrau: Paulus beschrieb sie als ein „großes Geheimnis“, das auf Christus und die Kirche zu beziehen sei (Eph 5,32). Möge der Herr unseren Eheleuten schenken, dass in ihrem Miteinander immer neu das in ihnen liegende Geheimnis aufleuchtet: das letzte Ziel der Welt.
Pater Markus Langer ist Pfarrer von St. Maria Rotunda in Wien und seit Februar 2019 im Kloster in der Dominikaner in der österreichischen Haupstadt.