Obwohl die christliche Gemeinschaft in Nigeria mit einem Anteil von fast 50 Prozent sehr bedeutend und in den letzten fünf Jahrzehnten stark gewachsen ist, leben Christen dort in großer Gefahr. Regelmäßige Angriffe von islamistischen Fulani-Gruppen auf Dörfer, Morde, Vertreibungen und Entführungen machen Nigeria zu einem gefährlichen Land für Christen. CNA Deutsch sprach mit Hassan John, Projektmanager bei Christian Solidarity International (CSI), über die dramatische Situation vor Ort.

Herr John, Sie haben vor Kurzem Ihre Tätigkeit bei Christian Solidarity International aufgenommen. Wie kamen Sie dazu und welche Verantwortung haben Sie dort?

Ich habe über zehn Jahre als Journalist im Bundesstaat Plateau, Nigeria, gearbeitet, unter anderem als Reporter für CNN während der schweren Boko-Haram-Aufstände von 2010 bis 2016. Ich habe die Medien verlassen und bin seit 2009 anglikanischer Priester der Church of Nigeria. Bis 2023, als ich nach England kam, war ich Kommunikationsdirektor und Forschungsdirektor der Church of Nigeria, Anglican Communion. Ich bin jetzt der CSI-Partner für Subsahara-Afrika und verantworte die Projektarbeit in den Ländern dort.

Kürzlich wurde das Priesterseminar in Ivhianokpodi angegriffen. Was genau ist passiert?

Eine Gruppe bewaffneter Männer griff am Donnerstag, dem 10. Juli 2025, das Vorseminar „Unbefleckte Empfängnis“ in Ivhianokpodi im Bundesstaat Edo an. Dabei töteten sie ein Mitglied des Zivilschutzes, der als Wachmann in der Einrichtung eingesetzt war, und entführten drei Seminaristen im Alter zwischen 14 und 17 Jahren. Dasselbe Seminar war bereits am 27. Oktober 2024 angegriffen worden, als bewaffnete Männer die Kapelle stürmten und den Leiter, Pater Thomas Oyode, mitnahmen. Damals wurde berichtet, der Leiter habe sich selbst den bewaffneten Männern angeboten, um die Studenten zu schützen. Er wurde nach elf Tagen freigelassen.

Entführungen von Geistlichen kommen regelmäßig vor. Kirchen, Pfarrer und Seminare werden gezielt von islamistischen Fulani-Milizen angegriffen. Geht es dabei ausschließlich um Lösegeld?

Kirchliche Einrichtungen sind tatsächlich im Fokus der Fulani, wobei es aber nicht immer nur um Lösegeld geht. Man schätzt, dass in den letzten Jahren über 300 Geistliche von der Terrorgruppe Boko Haram oder von islamistischen Fulani-Milizgruppen entführt wurden. Die katholische Kirche gab an, dass in den letzten zehn Jahren 145 ihrer Priester entführt wurden. Allein in diesem Jahr wurden 15 Geistliche entführt und zwei ermordet, selbst nachdem Lösegeld gezahlt wurde. Die Ermordung von Pfarrer Lawan Andimi durch Boko Haram am 21. Januar 2020 ist da nur eines von vielen traurigen Beispielen. Sie lehnten das angebotene Lösegeld ab, enthaupteten ihn und stellten die Tötung online, um eine Botschaft an die Christen zu senden. Erst kürzlich wurde ein CSI-Projektpartner, der katholische Priester Alphonsus Afina, entführt und nach 51 Tagen glücklicherweise wieder befreit.

Die Medien berichten immer wieder über Angriffe auf Dörfer. Wie ist die aktuelle Situation für Christen in Nigeria?

Die Situation ist, um es gelinde auszudrücken, schlimm. Fast jede Woche wird eine christliche Gemeinde ins Visier genommen und angegriffen. Das Muster ist in der Regel, zuerst die Kirche anzugreifen und niederzubrennen sowie dann die Geistlichen zu töten oder zu entführen. Anschließend werden die Häuser geplündert, bevor sie in Brand gesteckt werden. Fliehende Dorfbewohner werden wie Tiere erschossen oder mit Macheten niedergemacht. Diese Strategie wird manchmal in einer zweiten Angriffswelle in derselben Gemeinde wiederholt, wenn sich die Menschen zur Beerdigung der getöteten Opfer versammeln. Wochen und Monate danach, insbesondere während der Erntezeit, zerstören die Fulani-Milizen in Zusammenarbeit mit anderen Fulani die Ackerflächen der zuvor angegriffenen Dörfer und Gemeinden. Es handelt sich dabei um eine ausgeklügelte Strategie, die Menschen aus ihren Dörfern und von ihrem Land zu vertreiben, sie zur Flucht zu zwingen oder sie zu töten. Es ist ein Völkermord in Zeitlupe.

Bei einem Angriff am 15. Juli 2025 wurden 27 Christen im Dorf Bindi getötet. Einer von vielen Betroffenen ist Solomon Sunday, der an diesem Tag mit seiner Familie auf den Feldern gearbeitet hatte, als sie die Fulani bemerkten. Sie meldeten dies sofort dem Militär und kehrten nach Hause zurück. Dort hörten sie Schüsse, und als es still wurde, kochten und aßen sie. Solomon riet seiner Familie dann, in die Kirche zu gehen, weil er dachte, es sei der sicherste Ort. Seine Frau und Tochter wurden in der Kirche von Fulani-Milizen verbrannt. Seit dem Angriff ist die Gemeinde völlig verwüstet. Es gibt keine Nahrung und kein Wasser mehr. Die meisten Dorfbewohner sind geflohen, und viele befinden sich jetzt in Lagern in Riyom. Die Bedingungen dort sind katastrophal – es fehlt an allem: Nahrung, medizinische Versorgung und Schlafplätze. Menschen wie Solomon leben in einem ständigen Zustand der Unsicherheit und des Leidens.

Wie leistet CSI Nothilfe nach solchen Angriffen und wie wird diese vor Ort koordiniert?

CSI arbeitet seit vielen Jahren in Zentral-Nigeria und leistet Nothilfe über lokale Partnerorganisationen. Dadurch erhalten Betroffene der christenfeindlichen Gewalt Lebensmittel, Kleidung, Moskitonetze, Decken und Schlafmatten. Gerade Dinge des täglichen Bedarfs fehlen den Opfern. CSI leistet zudem Unterstützung bei der Bezahlung von Arztkosten und vergibt Schul-Stipendien an Kinder, die durch diese Angriffe zu Waisen geworden sind.

Welche langfristigen Folgen sehen Sie für die betroffenen Gemeinden?

Die Zerstörung der Dörfer und der Landwirtschaft durch die islamistischen Fulani führen unmittelbar zu Hungersnöten. Bei Kindern zeigt sich allmählich Unterernährung, und das Trauma treibt Jugendliche zu unsozialem Verhalten. Es mag jetzt noch unrealistisch klingen, aber wenn die Probleme nicht bald angegangen werden, werden sie in Zukunft den Migrationsdruck massiv erhöhen und damit zu einem globalen Problem.

Warum sind Christen so oft das Ziel solcher Angriffe?

Viele Menschen sind sich des historischen Kontextes der Region namens Nigeria nicht bewusst. Bei der Unabhängigkeit im Jahr 1960 wurde Nigeria ein Land, aber es war nie eine Nation. Bereits 1963 scheiterte der Versuch, unterschiedliche ethnische und religiöse Gruppen unter einem Dach zu vereinen.

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Schluss mit der Suche nach katholischen Nachrichten – Hier kommen sie zu Ihnen.

Eine manipulierte Volkszählung im Norden führte zu ungerechten politischen Verhältnissen. So wurde der christlich geprägte Middle Belt widerwillig dem muslimisch dominierten Norden zugeschlagen. Viele Unruhen sorgten für eine Instabilität im ganzen Land, was im blutigen Militärputsch von 1966 gipfelte, der zum Biafra-Krieg führte. Dieser Bürgerkrieg forderte fast eine Million Todesopfer und war maßgeblich geprägt von der Mobilisierung zwischen den christlichen Igbo und den nördlichen Muslimen, die gegen die Dominanz der „südlichen Ungläubigen“ kämpften.

Das Land hat sich seitdem nie wirklich geeint. Die derzeitige Struktur ist durch sowohl subtile als auch offene Spannungen zwischen Christen und Muslimen belastet. Die Christen haben nie die Akzeptanz des islamischen Kernkalifats und der religiösen Führer des Nordens gefunden. Deshalb werden Christen bis heute diskriminiert und verfolgt. CSI gibt ihnen eine Stimme. Beispiele sind die brutale Tötung von Deborah in Sokoto und unsere Kampagne für Rhoda Ya’u Jatau, eine christliche Pflegekraft aus dem Bundesstaat Bauchi, die fälschlicherweise der Blasphemie beschuldigt worden war, und viele andere.

Hinweis: Interviews wie dieses spiegeln die Ansichten der jeweiligen Gesprächspartner wider, nicht notwendigerweise jene der Redaktion von CNA Deutsch.