103 katholische Theologen haben in einem gemeinsamen Aufruf die deutschen Bischöfe aufgefordert, sich solidarisch mit den Aktivisten zu zeigen, die sich „gewaltfrei für die Rettung der Schöpfung einsetzen“. Ziviler Ungehorsam sei bis in die Gegenwart hinein Bestandteil christlicher Praxis. Mehrere Redaktionen veröffentlichten dazu Fotos von Aktionen der „Letzten Generation“.

Der Initiator des Aufrufs kritisierte gleichzeitig das harte Vorgehen in Bayern gegen Demonstranten. Der Freistaat zeichne sich weniger durch Klimaschutz als durch Härte aus. Damit stellte er einen Bezug zu den aktuellen Aktionen her.

Der Vorgang macht mehrere Entwicklungen deutlich. Eine davon ist die bewusste Aushöhlung des Rechtsstaates. Recht und Gesetz sind in Deutschland übrigens älter als die Demokratie. Im Rechtsstaat werden alle Bürger gleich behandelt. Da spielen weder Ansehen noch Vitamin B eine Rolle. Wer aber einem moralisch hoch gestellten Ziel nacheifert, nimmt gegenwärtig für sich in Anspruch, Regeln und Gesetze brechen zu dürfen. Auch durch die Begehung von Straftaten: Hausfriedensbruch, Nötigung und Sachbeschädigung gehören dazu, vielleicht auch die Bildung einer krimineller Vereinigung. Die „Letzte Generation“ wirbt auf ihrer Homepage um Unterstützung mit Fotos von Eingriffen in den Straßenverkehr, Nötigung und – soweit erkennbar – Sabotageakten an Bahnlinien.

„Spiegel“-Kolumnist Nikolaus Bloome schreibt dazu: „Strafbefehle gegen Straßenblockierer sind hart, aber gerecht. Wo kämen wir hin, wenn alle, die etwas Wichtiges auf dem Herzen haben, sich irgendwo festklebten?“ Er nennt diese Aktionen „lächerlich“. Selbst eine manifeste Klimakrise begründe kein Widerstands- oder Notwehrrecht. In der „Welt“ schrieb Anna Schneider: „Die Letzte Generation ist der Steinzeit näher als der Zukunft.“

103 deutsche Theologen sehen das offenbar anders. Ihre Aufforderung an die deutschen Bischöfe kann als ein weiteres Signal für den Niedergang erheblicher Teile der heimischen Theologie verstanden werden. Denn sie praktizieren einen Bruch mit dem Rechtsstaat und den Grundlagen unserer Demokratie. „Aktivisten“ sind demnach – soweit Gesinnung und Anliegen stimmen – etwas Besseres als normale Menschen. Der Rechtsstaat wird für sie ausgesetzt. Das ist keineswegs harmlos, es bringt die Kategorien durcheinander, es höhlt das Vertrauen in das Recht und in den gesellschaftlichen Zusammenhalt aus.

Halt! War da nicht die Rede von zivilem Ungehorsam? Der Inder Gandhi nutzte den zivilen Widerstand im Unabhängigkeitskampf, Martin Luther King im Kampf gegen die Rassentrennung in den USA. Beide waren wirkliche Pazifisten und beschädigten weder Kunstwerke noch durchschnitten sie Leitungen der Bahn. Auch das Grundgesetz kennt ein Widerstandsrecht, aber nur begrenzt auf den ganz seltenen Fall, dass jemand damit beginnt, (staatsstreichmäßig) Demokratie und Grundgesetz zu beseitigen. Nein, passiver Widerstand verzichtet darauf, Unbeteiligte durch kriminelles Handeln zu schädigen, und nimmt nur sich selbst in die Pflicht, zum Beispiel durch Hungerstreiks oder Mahnwachen. Durch den Theologen-Aufruf wird Verwirrung gestiftet, zulässige und unzulässige Methoden werden vermischt.

Welches Staatsverständnis liegt diesem Aufruf zugrunde? Wird nicht verstanden, dass wir heute dankbar sein können für die historisch mit Abstand gerechteste und friedenschaffende Staatsform? Und dass wir darin über wertvolle Errungenschaften verfügen, weil wir aus der häufig schwankenden Geschichte mit ihren jeweiligen Lernprozessen Erkenntnisse und Erfahrungen gewonnen haben, die wir geschichtsbewusst anerkennen und nutzen?

Ähnlich geht es mit der Kirche. Sie steht heute nicht am Nullpunkt. 2000 Jahre Kirchengeschichte bedeuten weder einen unzumutbaren Ballast noch eine Fixierung am Althergebrachten. Das Gegenteil stimmt: Die Kirche schöpft aus den Erfahrungen von vielen Heiligen und aus dem Nachdenken von mehr als 20 Konzilien, von Kirchenvätern und Kirchenlehrerinnen. Jesus hat seiner Kirche zugesagt, dass sie der Heilige Geist tiefer in die volle Wahrheit einführen werde. Das ist keine Ermächtigung, sich zu „Ingenieuren“ einer selbst erdachten Kirche auszurufen und zu ermächtigen, Veränderungen nach eigenen Vorlieben umzusetzen.

Wie Staat und Gesellschaft auf unverzichtbaren Traditionen wie Recht und Gesetz beruhen, so lebt auch die Kirche von unverrückbaren Grundlagen, die sie im Laufe der Jahrhunderte vertieft und verfeinert hat. Was änderbar ist, darüber lässt sich trefflich streiten – mit Argumenten, nicht allein mit der Berufung auf moralisch hochstehende Absichten und auf Methoden, welche Gegenmeinungen pauschal und unzulässig ins Unrecht setzen. Weder gut gemeinte Vorschläge noch Mehrheiten bei Abstimmungen können solche Glaubensgrundlagen ersetzen, die von Gott vorgegeben, also offenbart worden sind. Was veränderbar in der Hand der Nachfolger der Apostel liegt und was nicht, das lässt sich mit geistlichen Methoden unterscheiden. Aber nur im sauberen, fairen Austausch der Argumente, in der synodalen Suche nach einem Konsens und in entsprechender geschwisterlicher Offenheit. Und im gemeinsamen Hören auf den Heiligen Geist, was mit hohen geistlichen Anforderungen verbunden ist. Diese Anstrengung lohnt sich in jedem Fall!

Hinweis: Meinungsbeiträge wie dieser spiegeln allein die Ansichten der jeweiligen Gast-Autoren wider, nicht die der Redaktion von CNA Deutsch.

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