Als ich meine Studien in Freiburg im Breisgau begann, auf dem Höhepunkt der studentischen Revolte, wurden wir Corpsstudenten von den kommunistischen Studentengruppen als reaktionär und als hinterwäldlerisch verhöhnt. Jene hingegen verherrlichten den stalinistischen und maoistischen Kommunismus, faselten vom Stamokap, vom Staatsmonopolkapitalismus, und forderten, dass die Lehren von Marx und Mao Grundlage der Gesellschaft werden müssten. Die Forderung nach dem Klassenkampf erreichte an den Universitäten einen Höhepunkt. Das Paradies auf Erden – so die Parolen der kommunistischen Studenten, die aber fast nie auch nur ansatzweise Studierende waren – könnten wir in der Sowjetunion und in Rotchina bewundern, dort herrsche die wahre Ideologie, die wahre Gerechtigkeit, dort habe die wahre Freiheit ihren Platz gefunden, ja, dort könne sich der wahre Neue Mensch entfalten und in Glückseligkeit leben. Solche abstrusen ideologischen Verherrlichungen prasselten jeden Tag auf uns ein, penetrant, ununterbrochen und ohne Substanz, und dabei musste ich immer an die Begegnungen mit den Opfern des Maoismus denken, an jene von der Folter schwerst gezeichneten franziskanischen Missionare aus China, die die Sonntagspredigt in meiner Kindheit nutzten, um der Gemeinde die Verbrechen vor Augen zu führen, die im Namen des sogenannten fortschrittlichen Maoismus begangen worden sind. Einer dieser Missionare ist mir unauslöschlich in Erinnerung geblieben. Sein Kopf zuckte immer wieder konvulsivisch, seine Augen verdrehten sich, seine Sprache stockte, und er hinterließ den Eindruck eines gebrochenen und zutiefst gezeichneten Mannes. Wie wir später erfahren konnten, habe er jahrelang in chinesischen Gefängnissen geschmachtet, einer ständigen Gehirnwäsche unterzogen. Wochenlang sei immer Wasser auf seinen Kopf getropft, ununterbrochen, Tag und Nacht – bis er wirr wurde.

Ja, diese Qualen hatte ich immer vor Augen, als ich den Maoisten in der Universität begegnen musste. Meine Einwände wurden von den Mitgliedern dieser Gruppierungen hämisch und höhnisch als Lüge zurückgewiesen. Es seien vielmehr berechtigte Maßnahmen gewesen, schließlich seien es Feinde des Fortschritts gewesen, diese hätten in vollkommen berechtigter Weise ausgeschaltet werden müssen, um die Verheißung des Maoismus durchsetzen zu können.

Diese Erinnerungen an die damaligen Vorfälle stiegen wieder herauf, als ich das Erinnerungsbuch von Rose Hu, dem sie den Titel „Mit Christus im chinesischen Straflagern“ gab, gelesen habe. Sie beschreibt ihren dornigen und steinigen Weg im kommunistischen China, den sie als tief gläubige Katholikin gegangen ist und der ihr 26 Jahre Gefängnis und Arbeitslagerhaft einbrachte. Die Verurteilung erfolgte lediglich aus dem Grund, dass sie als Katholikin getauft worden ist und Jesus Christus als das Ziel ihres Lebens angesehen hat, schließlich empfand die kommunistische Partei Chinas die katholische Kirche, vertreten durch den Papst, als – wie es die Autorin formulierte – „den größten Feind“. In diesem Hass auf die Kirche zeigt sich ein Phänomen, das auch in anderen Gesellschaften virulent auftritt. Der wahre Katholik ist nicht nur dem jeweiligen Staat, in dem er lebt, verantwortlich und verpflichtet, er ist auch Rom und dem Papst gegenüber verpflichtet – einer Institution, über die die jeweilige staatliche Macht keine Verfügungsmöglichkeit hat, was als eine Minderung, ja, Missachtung der eigenen Staatlichkeit angesehen wird.

Der Herausgeber des Buches, Franz Kronbeck, gibt einen kurzen Überblick über die Geschichte Chinas in den Fängen des Maoismus, beschreibt die massenhaften Verbrechen, die im Namen der als Heilslehre verklärten Ideologie begangen worden sind und erwähnt, dass 45 Millionen Menschen während des von Mao durchgeführten „Großen Sprunges nach vorn“ und der Kulturrevolution – andere Quellen sprechen sogar von 77 Millionen Verhungerten und Getöteten – ihr Leben haben lassen müssen. Er skizziert darüber hinaus auch den Versuch der kommunistischen Regierung, einen Ausgleich mit Rom zu finden. Christen mussten im Untergrund leben, immer der Verfolgung ausgesetzt, immer mit einem Bein im Gefängnis. Um die Untergrundkirche zu schwächen, gründete der Staat um 1957 die „Katholisch-Patriotische Vereinigung“, die ohne römische Erlaubnis selbstständig Bischöfe einsetzte, aber mit Rom wegen eines Ausgleiches verhandelte. Doch die chinesischen Katholiken wollten mehrheitlich nicht Mitglied dieser Staatskirche sein und wählten deshalb den Weg in den Untergrund, wo sie den Papst als Oberhaupt der Kirche anerkennen wollten. Im Jahre 2000 lebten 58 Millionen katholische Chinesen in der Untergrundkirche – mehr als doppelt so viele Katholiken wie in Deutschland. Allerdings hat Papst Franziskus nicht den Ausgleich mit der Untergrundkirche gesucht, sondern denjenigen mit der Staatskirche in der „Katholisch-Patriotische Vereinigung“, was selbstverständlich auf keine Begeisterung der Mitglieder der Untergrundkirche stieß.

Nach diesem Exkurs in die politische Geschichte des Reiches der Mitte beschreibt die Autorin Rose Hu ihren Weg zu Gott, ihren leidgeprüften Weg zu Jesus Christus. Sie besuchte christliche Schulen und dort offenbarte sich ihr auch der Glaube an Gott. Sie lernte Jesus Christus als Dreh- und Angelpunkt ihres Lebens kennen, und es bildete sich das Fundament, das es ihr ermöglichte, Gott selbst in der schrecklichsten Bedrohung durch die Gefangenschaft treu zu bleiben. Ihr wurde schon als Schülerin klar, dass die materielle Welt, die der Nihilismus verherrlicht, nur „zeitliches Glück“ anbieten könne. Sie seien nur „Wolken, die in einem Augenblick vorbeiziehen.“ Für sie war viel wichtiger, die Suche nach der Wahrheit zu wagen, die mystische Begegnung mit Jesus Christus, um die Gottesfreundschaft, so wie es die Mystiker der Kirche beschrieben haben, zu finden. Sie war zwar nicht theologisch gebildet, doch schon seit ihrer Bekehrung zum Christentum wusste sie, dass sich Kommunismus und Katholizismus gegenseitig ausschließen. Da ihr die Marienfrömmigkeit am Herzen lag, trat sie schon früh der Legio Mariae bei – eine Entscheidung, die ihr die langjährige Gefangenschaft eintrug, aber auch die Erfüllung ihres Lebens. In dieser Gemeinschaft konnte ihre Liebe zu Gott immer weiterwachsen, so dass Jesus Christus, die Nähe zu ihm, ja, die Begegnung mit ihm, zum eigentlichen Sinn ihres Lebens wurde. Deshalb hat sie bekannt, was es für ein Glück wäre, „wenn ich eines Tages für den katholischen Glauben sterben könnte“.

Die Prüfungen und die Folterungen, welchen die Autorin Hu ausgesetzt war, waren schrecklich, und es fällt dem Rezensenten schwer, zu erkennen, wozu Menschen fähig sind, ja, wie sie verblendet sein können, um eine Ideologie durchzusetzen, und wie sich Menschen bereit erklären können, Maßnahmen anzuordnen und durchzuführen, die sie selbst nicht am eigenen Leibe spüren möchten.

Rose Hu war von dem Glauben an die Herrschaft Gottes beseelt, sie wusste, dass wahres Glück nur vom allmächtigen Gott kommen könne. „Für ihn allein sind wir geschaffen“, wie sie bekannte. Um aber diese Erkenntnis zu brechen, hat die kommunistische Regierung die Öffentlichkeit aufgehetzt und die Menschen, unter Verheißung von Vorteilen, dazu gebracht, zu denunzieren, dass also „einer den anderen verrät“. Wie schon im atheistischen Jakobinismus der französischen Schreckensherrschaft üblich, sollten Begebenheiten, die der staatlichen Ideologie zuwiderliefen, staatlichen Stellen benannt werden, um die Verfolgung aufnehmen zu können. Nicht mehr nur der Staat sollte als Verfolgungsbehörde auftreten, sondern auch die gesamte Bevölkerung, um Versuche von Staatsbürgern, den Staat zu kritisieren und die Ideologie nicht zu verherrlichen, im Keime zu ersticken – ein politischer Gedanke, der auch im von der Bundesregierung geplanten Gesetz zur Demokratieförderung aufgegriffen wird, um scheinbar den Staat delegitimierende und verhöhnende Äußerungen, selbst wenn diese im ursprünglichen rechtlichen Sinn strafrechtlich irrelevant sein sollten, verfolgen zu können. Dass auf diese Weise auch viele Unschuldige aus persönlichen Gründen in die Gefangenschaft gerieten, da schließlich im maoistischen China die Schuld kaum in einem rechtmäßigen Gerichtsverfahren nachgewiesen werden musste, ist in der subalternen Natur so vieler Mitläufer, die sich im Denunzieren zu übertreffen schienen, begründet. Allerdings erkennt die Autorin auch die Zwickmühle, in die die Regierung das Staatsvolk hat laufen lassen. Durch die Denunziation und den Verrat wurde dem Anzeigenden Vorteile versprochen. Deshalb konnte sich der Denunziant zwar der eigenen Verfolgung entziehen, doch musste er dann mit der Schuld leben, den Nächsten verraten zu haben. Die Autorin nahm lieber die Gefangenschaft in Kauf, als dass sie sich durch einen Verrat versündigt hätte.

Rose Hu beschreibt den Versuch der Kommunisten, nicht nur ihren Willen zu brechen, sondern auch denjenigen ihrer Mitgefangenen. Doch sie hält allen Versuchen und Versuchungen stand, kann sogar durch ihr Vorbild als streng gläubige Katholikin viele Mitgefangene stärken und ihnen dadurch die Haft erleichtern. Ihr gab während der 26 Jahre der Gefangenschaft das Bekenntnis zu Gott, diese Hoffnung, die nur er schenken kann, die Kraft, diese vielfältigen Prüfungen zu bestehen und die Leiden auszuhalten. Ihren Weg durch all diese Herausforderungen und Versuchungen im Buch nachzuerleben, ist wie ein eigenes Glaubenserlebnis – wie eine Hilfe, auch eigene Anfechtungen bestehen zu können. Rose Hu ist eine wahre Christin und eine Zeugin dafür, wie der Glaube den Menschen stark und widerstandfähig machen kann, um das Ziel des Lebens erreichen zu können. Sie ist eine wahre Glaubenszeugin, die durch ihren Bericht der Welt aufgezeigt hat, dass die wahre Glückseligkeit im Leben nur durch die Nähe zu Gott erreicht werden kann. Diesem Bericht aus der von ideologiebesessenen Menschen geschaffenen Hölle ist deshalb ein breiter Leserkreis zu wünschen.

Rose Hu: Mit Christus im chinesischen Straflager. Freude im Leiden; Sarto-Verlag; 14,80 Euro; ISBN 9783964060778

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