Ich kenne kein Gebot Jesu, das so häufig missachtet wurde wie das, von dem wir kürzlich in einem Sonntagsevangelium gehört haben: "Wenn ihr ein Festmahl gebt, dann ladet die Armen, die Krüppel, die Lahmen und die Blinden ein" (Lk 14,13).

"Ah, aber meine Gemeinde macht das an Thanksgiving (Erntedankfest); sie veranstaltet ein Essen für die Obdachlosen. Wir spenden Dosenware." Es tut mir leid, aber das ist nicht das, was im Griechischen genau steht. Nur die New American Standard Bible (die wortgetreueste der gängigen englischsprachigen Übersetzungen) macht es ganz richtig: "wann immer ihr ein Festmahl gebt". Jesus spricht hier von einer allgemeinen Regel, nicht von etwas, das man nur ab und zu tut. Bei jeder Gelegenheit, bei der ihr ein Festmahl gebt, sagt er, sollt ihr genau das tun.

Darüber hinaus deutet er an, dass nur diejenigen eingeladen werden sollten, die nicht die Mittel haben, es zurückzuzahlen (Lk 14,14). Ein oder zwei arme Menschen einzuladen, entspräche nicht der Absicht seines Gebots.

Ich habe an Tausenden von " Festmählern" teilgenommen – das lukanische Wort (dochē) umfasst jede Art von Empfang oder Gastfreundschaft: offene Häuser, "Mixer", Empfänge nach Veranstaltungen, Cocktailstunden, Hochzeitsempfänge (natürlich), Spendenaktionen, ganz zu schweigen von Familienzusammenkünften und Dinnerpartys. Nicht ein einziges Mal, als Christen Gastgeber waren, wurde die Regel unseres Herrn befolgt. Ein Spruch, der immer befolgt werden sollte, wird nie befolgt.

Was ist hier also los? Ist das Sprichwort ohne Bedeutung? Ist er so übertrieben, dass er grundsätzlich unpraktisch ist?

Seltsamerweise hat mir ein Argument in Adam Smiths Wealth of Nations die Lehre verdeutlicht. Wo sind all die Feste geblieben? Das fragt Smith an einer Stelle (III. iv). In den Geschichten des Mittelalters und der Antike könne man nachlesen, dass wohlhabende Männer fast täglich Feste veranstalteten. Smith weist darauf hin, dass diese Praxis unter den Stammesführern der Highlands bis in die frühen 1700er-Jahre üblich war.

Ich erinnere mich an Sir Walter Scotts Beschreibung eines solchen Festmahls am Anfang von Waverley. In Quo Vadis sind die Feste am Hofe Cäsars eine große Versuchung. Natürlich wurde Johannes der Täufer von einem zügellosen Herodes bei einem seiner Feste hingerichtet. Aber in modernen Gesellschaften ist diese Praxis hinfällig geworden. Überlassen wir es Adam Smith, sich zu fragen, warum.

"In einem Land, in dem es weder Außenhandel noch irgendeine der feineren Manufakturen gibt", erklärt Smith, "verzehrt ein Großgrundbesitzer, der nichts hat, wofür er den größeren Teil der Erträge seines Landes, der über den Unterhalt der Landwirte hinausgeht, eintauschen kann, das Ganze in rustikaler Gastfreundschaft zu Hause. Wenn dieser Überschuss ausreicht, um hundert oder tausend Menschen zu ernähren, kann er ihn auf keine andere Weise nutzen als durch den Unterhalt von hundert oder tausend Menschen.

So hatten wohlhabende Männer, "vom Herrscher bis hinunter zum kleinsten Baron", immer ihr Gefolge an treuen Anhängern, die sie ständig bewirteten. Und alles, was darüber hinausging, wurde genutzt, um die Abhängigkeit der Pächter zu vergrößern. Auf diese Weise hielten die Reichen ihre Macht aufrecht, sagt Smith, indem sie Abhängigkeit förderten, vor allem durch Feste.

Smith entwickelt ein Argument von David Hume weiter, wonach der Aufstieg der Manufakturen und des Außenhandels merkwürdigerweise zum Zerfall der fürstlichen Macht führte, da die Wohlhabenden nun ihr Geld für die Anhäufung von Luxusgütern ausgeben konnten. Damit "unterstützten" sie zwar immer noch das Netzwerk von Manufakturen und Händlern, die diese Luxusgüter lieferten. Aber sie hatten keine Macht über dieses Netz, weil es weit verstreut war und weil ihr eigener Beitrag zu seinem Unterhalt relativ gering war. Auf diese Weise unterstützte der Aufstieg der Handelsgesellschaft den Aufstieg einer freien Gesellschaft.

Es geht mir hier nicht darum, dieses faszinierende Argument zu bewerten. Es ist klar, dass das, was Smith als Freiheit ansieht, die Autonomie der Verbraucher und Produzenten, Nachteile hat, über die wir uns zunehmend Sorgen machen. Außerdem sind Analogien zum mittelalterlichen Fürsten und seinem abhängigen Gefolge in der heutigen Politik des Wohlstandstransfers sehr lebendig.

Ich möchte vielmehr betonen, dass das "Festmahl" in traditionellen Gesellschaften für die Verwendung des überschüssigen Reichtums steht. Unser Herr wendet das an, was Rhetoriker als Synekdoche des pars pro toto bezeichnen – er bezieht sich auf eine Verwendung des überschüssigen Reichtums, die einzige zu dieser Zeit verfügbare Verwendung, um anschaulich auf jede Verwendung des überschüssigen Reichtums hinzuweisen.

Das Gebot über die Gastmähler ist also ein Gebot, den überschüssigen Reichtum für Almosen zu verwenden. Natürlich behält es seine Gültigkeit in kommerziellen Gesellschaften.

Und doch haben einige Christen das Gebot nahe an seiner ursprünglichen Bedeutung erfüllt. Ich denke dabei an die heilige Elisabeth von Thüringen und die heilige Margarete von Schottland. Diese Frauen tauschten im Wesentlichen das Gefolge ihrer Königshöfe aus und ersetzten es durch die Ärmsten der Armen. Anstatt täglich Hunderte von Adligen und Kriechern zu bewirten, waren diese Heiligen dafür berühmt, dass sie in der Nähe ihrer Paläste Hospitäler errichteten und sich vor allen anderen um die Krüppel, Lahmen und Blinden kümmerten.

Aber die anderen Christen, die das tun, sind Eltern, vor allem Eltern von großen Familien. Ich erwähne kinderreiche Familien, weil der gesamte Einsatz des überschüssigen Reichtums in diesem Fall in der Regel deutlicher ist und die Tafeln von kinderreichen Familien am ehesten den Ausgaben eines mittelalterlichen Hofes gleichen.

Ihre Kinder sind blind, d. h. ungebildet; sicherlich arm, ohne Rechtsanspruch auf Besitz; verkrüppelt – manche können nicht einmal laufen – und lahm, d. h. unreif. Sie können es jetzt nicht zurückzahlen, und wenn sie gut erzogen werden, werden sie es auch nicht zurückzahlen, da sie ihre Dankbarkeit am besten dadurch zeigen können, dass sie später das Gleiche für ihre eigenen Kinder tun.

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Wir müssen die falschen Argumente zurückweisen, die besagen, dass Eltern, die Kinder großzügig aufnehmen, sich nur selbstsüchtig "verwirklichen" oder dass es kein Verdienst ist, sich um ihre Kinder zu kümmern, da sie dazu beigetragen haben, dass es ihre eigenen Kinder gibt. Sicherlich dienen solche Eltern dem Gemeinwohl, indem sie in einer Zeit des katastrophalen demografischen Rückgangs viele Kinder haben.

Ja, Eltern von kinderreichen Familien halten dieses Gebot unseres Herrn mit großer Klarheit ein.

Der Autor, Michael Pakaluk, lehrt an der "Catholic University of America" in Washington, D.C.

Übersetzung des englischen Originals mit freundlicher Genehmigung von "The Catholic Thing".

Hinweis: Meinungsbeiträge wie dieser spiegeln allein die Ansichten der jeweiligen Gast-Autoren wider, nicht die der Redaktion von CNA Deutsch.

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