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Die Freiheit des wahrhaft Frommen

Bernardo Luini: Christus unter den Doktoren (1515)

Nicht allein Repräsentanten der gegenwärtigen katholischen Theologie – wie etwa der Freiburger Fundamentaltheologe Magnus Striet – gelten als Fürsprecher eines reformorientierten, in die postmoderne Welt eingebetteten, zeitgemäßen Verständnisses der Freiheit des Menschen auch in Theologie und Kirche. Hierzu beruft sich Striet in seinen Texten etwa immer wieder auf die Philosophie Immanuel Kants.

Leiden aber gläubige Katholiken unter dem kirchlich gebotenen Gehorsam, unter einer scheinbar strengen, doch im Grunde wahrhaft menschenfreundlichen Morallehre? Müssen sich Katholiken im Glauben heute emanzipieren? 

Benedikt XVI. hat in seiner Jesus-Trilogie über Freiheit und Gehorsam nachgedacht, am Beispiel des zwölfjährigen Jesus, der mit seinen Eltern zum Pascha-Fest nach Jerusalem pilgert. Maria und Josef beginnen ihren Sohn zu suchen. Die Familie will heimkehren, aber Jesus ist verschwunden. Sie sind in Sorge um ihn. Ist er etwa fortgelaufen? Beginnt eine rebellische Phase? Jesus sei, so Benedikt, weder ein "Liberaler" noch ein "Revolutionär". Er eröffne eine "neue Dimension der menschlichen Beziehung zu Gott" und zeige in der "Freiheit des Sohnes" die "Freiheit des wahrhaft Frommen": "Als Sohn bringt Jesus eine neue Freiheit, aber es ist nicht die Freiheit des Bindungslosen, sondern die Freiheit dessen, der eins ist mit dem Willen des Vaters und der den Menschen zu der Freiheit des inneren Einsseins mit Gott verhilft." (Joseph Ratzinger/Benedikt XVI.: Jesus von Nazareth. Prolog: Die Kindheitsgeschichten. Freiburg im Breisgau 2012, 129) Die Freiheit Jesu, damit auch die Freiheit der Kinder Gottes liegt also nicht in der absolut gedachten Unabhängigkeit eines Menschen, der sich selbst seine Ziele setzt und einem eigenen Lebensentwurf folgt, sondern in der liebenden Einfügung in den Willen des Vaters. Maria und Josef verstehen das nicht sogleich. Die "göttliche Sendung Jesu" werde immer wieder für Menschen zu einem "dunklen Geheimnis". Maria spüre den Schmerz in diesem Augenblick, von dem der greise Simeon gesprochen habe: "Je näher ein Mensch zu Jesus kommt, desto mehr wird er in das Mysterium seiner Passion einbezogen." (ebd., 131)

Was Jesus erwidert, als sie sagt – "Dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht." –, macht zunächst sprachlos, denn der junge Jesus korrigiert die Mutter: Er müsse im Haus seines Vaters sein – und dieser Vater sei nicht Josef, der Pflegevater, sondern "Gott selbst": "Zu ihm gehöre ich, bei ihm bin ich." So begibt sich Jesus nicht als jugendlicher Rebell, sondern im Gehorsam des Sohnes in den Tempel: "Er muss beim Vater sein, und so wird sichtbar, dass das, was als Ungehorsam oder als ungehörige Freiheit den Eltern gegenüber erscheint, in Wirklichkeit gerade Ausdruck für seinen Sohnesgehorsam ist. Er ist im Tempel nicht als Rebell gegen die Eltern, sondern gerade als Gehorchender, mit dem gleichen Gehorsam, der zum Kreuz und zur Auferstehung führt." (ebd., 132) Maria versteht ihren Sohn noch nicht, aber sie begleitet ihn – so wie der treue Josef – in der leisen Pilgerschaft des Glaubens, der noch wachsen und reifen muss. Diese Situation ist auch uns heute vertraut. Manchmal rätseln, manchmal hadern wir, auch wenn wir im Vaterunser stets darum beten, dass Gottes Wille geschehe – nicht nur äußerlich, sondern auch in uns. Wir möchten diesen Willen annehmen, sehen und immer tiefer eingliedern. Die Kirche ist eine Weg- und Pilgergemeinschaft, die sich gegenseitig stützen und im Glauben bestärken kann. Maria, so Benedikt XVI., erscheine nicht nur als "große Glaubende", sondern auch als "das Bild der Kirche, die das Wort Gottes in ihrem Herzen bewahrt und weiterträgt" (ebd., 133). Zugleich wird der hohe Anspruch, vielleicht sogar die Zumutung deutlich, die Jesu Worte für uns bedeuten können. Dann wächst manchmal die Neigung, ja die Versuchung, einiges nur symbolisch zu nehmen oder in ungemäßer Weise zurechtzuschneiden, damit diese anstößigen Worte doch noch irgendwie in die Wirklichkeit unseres Alltags und unseres Lebens hineinpassen. Zeigen wir dann nicht ein freiheitliches Bewusstsein, gewissermaßen den aufrechten Gang des modernen Gläubigen, der sich nicht alles sagen und vorsetzen lässt? Nicht nur unserer Zeit, nicht nur uns fehlt heute oft die Demut. Wir sind bisweilen versucht, Gott ins Menschlich-Allzumenschliche hineinzuziehen, ihn kleiner und harmloser zu machen, wie es auch die Gebetssprache verrät, die Jesus Christus auf den Bruder zu verkürzen scheint: Gott ist aber nicht wie ein netter, freundlicher Nachbar, mit dem wir uns auf Augenhöhe befinden und mit dem wir ergebnisoffen diskutieren können – er ist der Herr.

Benedikt XVI. erinnert daran, dass zur "rechten Auslegung" in besonderer Weise "die Demut gehöre, diese uns oft überfordernde Größe stehen zu lassen, nicht Jesu Worte zu verkleinern mit der Frage, was wir ihm »zutrauen« dürfen. Er traut uns Großes zu. Glauben heißt, sich dieser Größe zu unterwerfen und langsam in sie hineinzuwachsen." (ebd., 133) Wir lernen vielleicht unser ganzes Leben im Glauben hindurch, auch das anzunehmen, was wir mit unserem endlichen Verstand nicht oder nicht ganz erfassen können. Wir sind also nicht dazu berufen, uns zu einem säkularen Freiheitsverständnis zu bekennen und dieses wie einen Götzen zu verehren, sondern in die Nachfolge des Herrn zu treten. Als Vorbilder und Wegbegleiter auf der Pilgerreise unseres Lebens sind uns die Heiligen geschenkt, unsere Namenspatrone, auch unsere Familie und unsere Schwestern und Brüder im Glauben, die mit uns unterwegs sind auf den Wegen Gottes.

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Hinweis: Meinungsbeiträge wie dieser spiegeln die Ansichten der jeweiligen Autoren wider, nicht unbedingt die der Redaktion von CNA Deutsch. 

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