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Das Kreuz als Schnittmenge

Aus der Berliner Gemäldegalerie: Kreuztragung (Detail) von Brueghel dem Jüngeren, aus dem Jahr 1606

Auf einer Reise nach Berlin am letzten Wochenende wollte ich mit meiner Kamera die "Gemäldegalerie" wieder einmal anschauen, die ich zuletzt vor Jahrzehnten besucht hatte.

Ein Fest für die Augen!

Mit seinen Schätzen der alten europäischen Malerei braucht sich Berlin hinter keiner Metropole zu verstecken. Wenn wir aber alle Meisterwerke des Mittelalters bis zum Barock in einen großen Rechner geben würden, um jenes eine Bild herauszufiltern, das unsere Kultur in diesen entscheidenden Jahrhunderten unserer Geschichte am meisten kennzeichnet, dann käme sehr nüchtern Folgendes heraus: Die Schnittmenge unserer Bilder ist das Kreuz. Es ist unser kulturelles Alleinstellungsmerkmal, gefolgt von dem Gesicht Gottes und dem Gesicht der Gottesmutter. Das hat keine andere Religion oder Zivilisation. Ich habe fotografiert, bis die Batterie leer war, und kann mich auch jetzt in Rom noch kaum satt sehen an dieser Beute.

Als ich letzten Samstag aber von der Gemäldegalerie mit dem 200er Bus zurück zum Prenzlauer Berg fuhr – über all jene Plätze und Straßen, die Kanzler Kohl quasi im Alleingang Besuchern aus dem Westen und der ganzen Welt wieder geöffnet hat: den Potsdamer Platz, die Friedrichstraße, Unter den Linden – sah ich rechts vom Berliner Dom über der Baustelle der Stadtschloss-Rekonstruktion auch die nackte Betonkuppel, um die sich zuletzt die Debatte darüber entzündet hat, ob denn eigentlich auch das Kreuz wieder wie früher diesen Neubau krönen dürfe.

Ich bin alt genug, um den Streit von Anfang an verfolgt zu haben und habe den trostlosen Marx-Engels-Platz an dieser Stelle noch lebhaft vor Augen und den "Palast der Republik" mit seiner Aura einer überdimensionierten Sparkasse. Unvergessen auch, wie Wilhelm von Boddien 1993 mit großen Planen eine erste Simulation des neuen Stadtschlosses in die "leere Mitte" Berlins setzen ließ. Ich bin damals dafür eigens von München in die neue Hauptstadt geflogen, um mir das anzusehen.

Heute stimmt zwar, dass die Gegner des Kreuzes über diesem Schloss noch immer von jenem geschichtsvergessenen Ungeist beseelt sein mögen, der die Bolschewiken 1950 dazu bewogen hat, die Barock-Residenz der preußischen Könige und Kaiser ebenso barbarisch wie vollständig dem Erdboden gleichzumachen. Bei der Rückreise im Bus kam mir auch die Erkenntnis Peter Scholl-Latours noch in den Sinn: "Ich fürchte nicht die Stärke des Islams, ich fürchte die Schwäche des Christentums."

Vor allem kam mir aber bei der Rückreise in den Sinn – und das sehe ich auch jetzt noch in allen Fotos, die ich aus Berlin mitgebracht habe – wofür das Kreuz überhaupt steht. Es steht für unseren Gott – den einzig wahren, wie wir wissen! –, der für uns am Kreuz ausgeblutet ist wie ein geschlachtetes Lamm.

Der Schöpfer des Himmels und der Erde, der sich uns in Jesus Christus offenbart hat, war niemals ein Monstrum, der mit Blitzen zugeschlagen hat wie Zeus oder ein anderer himmlischer Wüterich. Dieser Offenbarung verdanken wir jenen Raum der Freiheit, der zum kostbarsten Raum unserer Kultur geworden ist. Auch die Freiheit der Atheisten, furchtlos glauben zu dürfen, dass es Gott nicht gibt, verdankt sich dieser Freiheit. Göttliche Dialektik! Auch die straffreie Tumbheit all jener unter uns, die Christus leidenschaftlich hassen, verdankt sich dem Erbarmen jenes Gottes, der für uns am Kreuz gestorben ist.

Zuerst erschienen bei der "Tagespost". Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung.

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