19 Januar, 2021 / 5:02 PM
Der weithin bekannte Ethiker Dietmar Mieth hat sich mit einem provokativen Beitrag über die kirchliche Praxis der Vergabe des "Nihil obstat" zu Wort gemeldet und als "römischen Machtanspruch" kritisiert.
Ganz einfach gedacht: Ein Student der Katholischen Theologie darf erwarten, dass er in Katholischer Theologie unterwiesen wird, vertreten von Lehrpersonen, die fachlich geeignet sind und zugleich im Einklang mit der Lehre der Kirche aller Zeiten und Orte stehen. Natürlich gibt es auch kluge und wissenschaftlich versierte Spezialisten, die sich vom Lehramt der Kirche kritisch absetzen. Über Sinn und Zweck des "Nihil obstat"-Verfahrens wird seit langer Zeit kontrovers diskutiert. Zunächst aber gilt es, sich einige Aspekte bewusst zu machen:
"Die Lehre der Theologie nimmt in eigener Weise an der amtlichen Verkündigung der katholischen Glaubenslehre gemäß c. 747 Codex Iuris Canonici (CIC 1983) teil und bedarf insofern einer Beauftragung durch die zuständige kirchliche Autorität (vgl. cc. 812, 818 CIC 1983; Art. 27 § 1 Apostolische Konstitution 5apientia christiana vom 15. April 1979 - SapChrist). … Das Nihil obstat ist die Erklärung der zuständigen kirchlichen Autorität gegenüber der zuständigen staatlichen Autorität, dass gegen die für eine Lehrtätigkeit vorgeschlagene Person seitens der Kirche keine Einwendungen erhoben werden. … Von den Professoren – einschließlich den Juniorprofessoren – der Katholischen Theologie wird vorbildliches Leben, Echtheit der Lehre und Pflichtbewusstsein sowie die volle Gemeinschaft mit dem authentischen Lehramt der Kirche, insbesondere mit dem Papst, vorausgesetzt (Art. 26 SapChrist; ce. 750 und 760 CIC 1.g83). Nach den Konkordaten und den anderen staats- kirchenrechtlichen Vereinbarungen bezieht sich das Nihil obstat sowohl auf die Lehre als auch auf den Lebenswandel des Kandidaten. Für die Erteilung des Nihil obstat ist die umfassende Würdigung der Person und des wissenschaftlichen Werkes (Veröffentlichungen und Lehrtätigkeit) ausschlaggebend."
Wir wissen nicht, wie viele Studenten der Theologie das Studium abgebrochen haben, weil die Lehrenden nicht ihre Privatmeinungen oder ein Sammelsurium neuzeitlicher Kirchenkritik verkündet haben, sondern treu zum Lehramt standen. Wir wissen auch nicht, wie viele Studenten der Theologie das Studium abgebrochen haben, weil ihnen von Lehrenden der Theologie ein Reichtum an kirchenkritischen Meinungen, exegetischen Fantasien und systematischen Religionsphilosophien als Katholische Theologie vorgestellt wurde – von Lehrenden, denen das "Nihil obstat" erteilt wurde. Mir ist und bleibt unbegreiflich, warum eine Person, die nicht den Anforderungen des kirchlichen Lehramtes genügen möchte oder kann, die kirchliche Lehrbefugnis überhaupt anstrebt. Wir haben in der Nachkonzilszeit eine Vermehrung der Entfremdungsprozesse von der Lehre der Kirche erlebt, die weit in den Raum der Kirche hineinreichen.
Wir wissen natürlich auch, dass – etwa im Fall von Henri de Lubac, der zeitweilig wegen des Modernismus verdächtigt und seitens der Ordensgemeinschaft der Jesuiten mit einem Lehrverbot von 1950 bis 1958 belegt wurde – Beanstandungen öffentlich bekanntgemacht und wieder korrigiert wurden. Mehr als 220 katholische Theologieprofessorinnen und -professoren aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und den Niederlanden unterzeichneten 1989 "Kölner Erklärung" warben für eine "offene Katholizität" und kritisierten die Ausübung des Lehramtes durch Johannes Paul II. – und wie viele Manifeste dieser Art folgten seither.
Wer Katholische Theologie studieren möchte, bedarf der Begleitung im Gebet und der Unterstützung. Jeder Student hat das Recht, auch in Katholischer Theologie unterwiesen zu werden, also von Theologinnen und Theologen, die im Einklang mit dem Lehramt stehen und nicht aus persönlichen Gründen dagegen opponieren. Der Regensburger Bischof Dr. Rudolf Voderholzer erklärte am 26. Januar 2016: "Die Theologie hat ihre Aufgabe in der Reflexion des Glaubens auf der Basis des vom Lehramt vorgelegten Glaubensgehaltes. Ein Musterbeispiel für die Zurückhaltung eines Theologen in Bezug auf seine Aufgabe ist der Lehrer von Joseph Ratzinger Prof. Gottlieb Söhngen. Er gehörte zu den deutschen Universitätstheologen, die im Vorfeld der Dogmatisierung der Leiblichen Aufnahme Marias in den Himmel 1948/49 in Gutachten die Nichtdefinierbarkeit aufgrund eines nicht hinreichenden Traditionsbefundes erklärten. Söhngen gehörte damit zur überwiegenden Mehrheit der deutschen Universitätstheologen. Ein besonders scharfer Gegner war Prof. Berthold Altaner. Aber auch Bernhard Poschmann hat ein ganz kritisches Gutachten vorgelegt.
Von Söhngen wird erzählt, das man ihn, als man sich zur vorlesungsfreien Zeit nach dem Sommersemester 1950 verabschiedete, gefragt hat, was er denn mache, wenn der Papst in der Zwischenzeit das neue Dogma verkündet. Söhngen muss gesagt haben: Dann werde ich mich daran erinnern, dass die Weisheit der Kirche und ihr Glauben größer ist als die Weisheit eines kleinen Professors und ich werde mich selbstverständlich beugen und das neue Dogma anerkennen. … Die Theologie ist nicht zufällig die erste der Fakultäten. Sie hat – zusammen mit der Philosophie – den vornehmsten Erkenntnisgegenstand, nämlich Gott, und als Theologie speziell die göttliche Offenbarung sowie deren Vermittlung und Implikationen. Und wer sonst als die Theologen – zusammen mit einer mutigen Philosophie – werden die Sensibilität für die ethischen Herausforderungen von Wissenschaft und Technik in einer globalisierten Welt wachhalten und zugleich Kriterien und Orientierung für verantwortungsvolles Handeln vermitteln? Hier besonders ist Interdisziplinarität gefordert. Und wo sonst als bei der Theologie sind Kompetenz und Sachverstand in den religiösen Menschheitsfragen, die keineswegs erledigt sind, sondern mit neuer Wucht weltweit auf den Plan treten?
Nicht nur zum Zweck der Priesterausbildung braucht es die Theologie, sondern für alle anderen Wissensgebiete auch. Nicht zuletzt der in den kommenden Jahren wohl immer wichtiger werdende Dialog mit dem Islam braucht eine vitale Theologie, die sich freilich auf ihre Prinzipien und ihr Wesen besinnen muss. Ich werde mich leidenschaftlich für den Fortbestand der Theologischen Fakultäten nicht nur in Eichstätt, sondern auch an den anderen Standorten in Bayern einsetzen. Ich erwarte aber auch von der Theologie, dass sie wirklich Theologie sei."
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