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Heilige Weisheit: Der reiche Jüngling, Sokrates und Jesus Christus

Thron der Weisheit: Maria in der Trierer Matthiaskirche.
Professor Dr. Stefan Heid ist Kirchenhistoriker. Der Priester der Erzdiözese Köln ist unter anderem Direktor des Römischen Institutes der Görres-Gesellschaft.

Will man aus den heutigen Lesungstexten ein Thema herausgreifen, so wähle ich die Weisheit. Das Stichwort „Weisheit“ taucht in den Texten mehrfach auf. Schon die erste Lesung war aus dem alttestamentlichen Buch der Weisheit. Dort hieß es: „Ich betete und es wurde mir Klugheit gegeben; ich flehte und der Geist der Weisheit kam zu mir“. Weisheit ist etwas Gutes, und deshalb soll man darum beten, damit man Weisheit hat. Herr, ich bin am Ende mit meiner Weisheit, schenke mir Weisheit! Weisheit kann man eigentlich gar nicht genug haben, oder?

Aber was ist Weisheit? Was ist wahre Weisheit? Ich will meine Antwort mit drei Personen verbinden: mit Sokrates, mit dem reichen Jüngling des Evangeliums und mit Jesus Christus.

Niemand weiser als Sokrates?

Erst Sokrates. Von dem Philosophen Sokrates sagt das Orakel von Delphi, niemand sei weiser als er. Sokrates will das nicht glauben, befragt alle Philosophen ringsum, und stellt jedesmal fest, dass er verglichen mit diesen Intelligenzbolzen nichts weiß. Und da dämmert ihm, was das Orakel von Delphi sagen will: Er ist der weiseste von allen, weil er weiß, dass er nichts weiß. 

Die wahre Weisheit besteht im Wissen um die eigene Unwissenheit angesichts der großen Rätsel dieser Welt. Der wahre Philosoph hört nie zu fragen auf. Er ist immer auf dem Weg zu mehr Wissen. Er ist ein Liebhaber der Weisheit, Philo-sophos. Weisheit als Mehr-Wissen-Wollen ist etwas Gutes, weil sie uns auf diese Art immer am Laufen hält, nie selbstgefällig und fertig werden lässt. 

Ich weiß, dass ich nichts weiß – Herr, schenke mir die Weisheit, meine Ignoranz einzugestehen!

Damit ist schon einmal ein guter Anfang gemacht. Ich weiß, dass ich nichts weiß. Danke, Sokrates! 

Aber wie geht es weiter? Weisheit ist doch auch Lebensweisheit, die Kunst, klug zu leben. Weisheit hat mit Lebensweisheit, mit Krisen- und Lebensbewältigung zu tun. Solche praktischen Lebensweisheiten finden sich zuhauf im Alten Testament. Da gibt es die Weisheitsbücher. Dazu zählen die Psalmen, vor allem aber die späten Schriften: das Buch Hiob, das Buch der Sprüche und das Buch Kohelet. Hiob etwa: „Der Herr hat‘s gegeben, der Herr hat‘s genommen, gepriesen sei der Name des Herrn!“ Oder Kohelet: „Windhauch, Windhauch, alles ist Windhauch“. 

Im heutigen Psalm haben wir einen anderen Weisheitsspruch gehört: „Unsere Tage zu zählen, lehre uns, dann gewinnen wir ein weises Herz“. 

Unsere Tage zu zählen – wie ist das gemeint? Sollen wir zählen, wie viele Tage wir noch zu leben haben? Wie soll das gehen, ich weiß ja nicht, wie lange ich noch lebe. Zählen kann man doch nur die Tage, die man schon gelebt hat. Genau das ist gemeint!

Und so hat man es in der Antike auch gemacht. Auf vielen antiken Grabsteinen steht nicht der Todestag, sondern dort stehen die Jahre, Monate und Tage, die der Betreffende gelebt hat: Er hat soundsoviele Jahre, Monate und Tage gelebt – vixit annos XY menses XY dies XY!

Der antike Mensch hat also jeden seiner Tage gezählt. Er wusste vielleicht nicht seinen Geburtstag, aber er kannte seine Lebensspanne. Die alten Grabsteine belehren uns also, dass hier weise Menschen begraben sind, die ihre Tage zu zählen wussten. Wer seine Tage zählt, lebt jeden Tag ganz bewusst, und er wird nicht jenen entscheidenden Tag verpassen, an dem sein Leben eine grundlegende Entscheidung und Wende verlangt.

Der reiche Jüngling

Damit sind wir schon beim reichen Jüngling des heutigen Evangeliums. Er hat alle Gebote erfüllt. Jesus ist begeistert, er umarmt ihn herzlich. Diese Umarmung des Rabbi ist ja geradezu schon die Adelung und ist eigentlich schon die Aufnahme des jungen Mannes in den Schülerkreis Jesu. 

Aber Jesus flüstert diesem reichen Jüngling bei seiner Aufnahme gerade noch ins Ohr: Verschenke deinen Reichtum und folge mir dann nach! War das ein weiser Ratschlag? Der Jüngling lehnt ihn bekanntlich ab und ist traurig. Er bleibt lieber doch nicht bei Jesus, und er verspielt sein ewiges Leben. Jesus wusste wohl, dass das Geld diesen Jüngling nochmal umbringen würde, und hielt es für weiser, ihn davon loszubringen. 

Der Jüngling hat nicht gesündigt, er hat die 10 Gebote erfüllt, aber es wäre für ihn weise gewesen, diesen entscheidenden Perspektivwechsel zu vollziehen und zu erkennen, dass er mit all seinem Reichtum zwar die 10 Gebote erfüllen kann, aber dass es ihm nicht gelingen wird, bei Jesus zu bleiben.

(Die Geschichte geht unten weiter)

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Erfüllt in Jesus Christus

Nach Sokrates und dem reichen Jüngling nun noch ein Drittes, Letztes: Die Weisheit erfüllt sich in Jesus Christus. Für uns Christen ist Christus selbst die Weisheit. Er ist nicht bloß ein Ratgeber, ein Weisheitslehrer, so eine Sammlung von Kalendersprüchen.

Christus ist viel mehr: Er ist die göttliche Weisheit. „Gott, gib mir die Weisheit, die an deiner Seite thront“, betet Salomo im Buch der Weisheit (9,4). Das ist Christus. Er ist der Logos, die ewige Weisheit Gottes.

Der reiche Jüngling ist letztlich daran gescheitert, dass er dies nicht gemerkt hat. Er war dieser Wahrheit so nahe wie niemand sonst: Christus hat ihn umarmt. Doch er bleibt lieber bei seinem Geld. Dem reichen Jüngling entgeht, dass Christus selbst die vollkommene, in sich ruhende Weisheit ist, der Quell aller Weisheit, das Alpha und Omega.

Hagia Sophia: Die Heilige Weisheit

Sie alle kennen das berühmte Kirchengebäude in Istanbul: die Hagia Sophia, ehemals die Palastkapelle des byzantinischen Kaisers. Die Hagia Sophia, diese riesige Kuppelkirche am Bosporus, ist der Heiligen Weisheit geweiht: auf Griechisch: „Hagia Sophia“. Mit der „Heiligen Weisheit“ ist kein anderer als Christus gemeint. Die Hagia Sophia ist eine Christuskirche. 

Die Kuppel der Hagia Sophia überwölbt alles: alle Menschenweisheit, und alle religiöse Weisheit. Philosophie und Theologie, Vernunft und Glaube, gehören zusammen in dem einen Kultraum, in der einen Göttlichen Liturgie, die dort gefeiert wird. Menschenweisheit und Gottesweisheit finden auch wir hier und jetzt, wenn wir auf das Wort Christi hören und in der Eucharistie Fleisch von seinem Fleisch werden.

Es ist Oktober, Marienmonat. In der Lauretanischen Litanei wird Maria als die Sedes Sapientiae verehrt, als Thron der Weisheit, man könnte auch sagen: als die Kathedra, der Lehrstuhl der Weisheit. Das ist eine uralte Vorstellung: Maria ist sozusagen der lebendige Thron der ewigen Weisheit.

In der erwähnten Hagia Sophia in Istanbul, gibt es ein riesiges, goldglänzendes Apsismosaik, das jetzt verdeckt wurde, weil die Kirche wieder eine Moschee geworden ist. Auf diesem Mosaik sah man die Gottesmutter Maria auf einem königlichen Thron sitzen, aber so, dass nun das Christuskind auf ihrem Schoß wie auf einem Thron sitzt. Maria wird so zum lebendigen Thron der ewigen Weisheit. 

Heilige Maria, Thron der Weisheit, bitte für uns!

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