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Der Philosoph und der Hirte

Papst Benedikt XVI beim Weltfamilientreffen in Mailand mit Kardinal Angelo Scola am 4. Juni 2012

Die Lebenskunst der Antike und ihre Lehrmeister werden heute noch von vielen Menschen bewundert. Sentenzen von Philosophen klingen imposant, klug, bisweilen schneidig und geistvoll. Erfüllt sind diese Aussprüche oft vom Geist, ebenso vom Ungeist der Zeit. Benedikt XVI. unterscheidet in der Enzyklika „Spe salvi“ den Philosoph und den Hirten. Dazu ist es wichtig, das ehrwürdige Bild des Philosophen, das auch heute noch vorherrschend ist, kritisch zu betrachten. Benedikt spricht über Darstellung auf antiken Sarkophagen und legt dar: „Der Philosoph war vielmehr derjenige, der die wesentliche Kunst zu lehren wußte: die Kunst, auf rechte Weise ein Mensch zu sein – die Kunst zu leben und zu sterben.“ 

Sind Philosophen also darum bewundernswerte Menschen, deren Weisheiten bereichernd, wertvoll und wichtig sind? Die Philosophen damals waren Teil einer Sklavenhaltergesellschaft, und sie waren ihr auch zu Diensten. Zudem gab es viele Philosophen, die Lebenslehren verkündeten, aber – so Benedikt – „nur Scharlatane waren, die sich mit ihren Worten Geld verdienten und über das wahre Leben gar nichts zu sagen hatten“. Der Philosoph also, rhetorisch versiert, weltklug, gefällig und geschmeidig, wird von einigen Zeitgenossen als ein Scharlatan erkannt. Der Blick für die Wirklichkeit zeigt anschaulich: Sokrates und Platon folgten den eigenen Dämonen wie Okkupationen – und nahmen mitnichten Abstand von den Lust- und Liebesmählern ihrer Zeit. Platons Dialoge „Phaidros“ und „Das Gastmahl“ berichten sehr anschaulich von den bacchantisch-dionysischen Gepflogenheiten und der faktischen Sittenlosigkeit in der hellenischen Welt, bis hin zu geduldeten, ja verklärten Formen der Päderastie. Auch Aristoteles blieb ganz eingebettet in die Sklavenhaltergesellschaft, in der die Frau wie ein Objekt zum Hausstand gehörte. Kein heidnischer Philosoph im alten Rom empörte sich wider das geltende Recht, das die Kindstötung durch den Vater gestattete. Fragen wir weiter: Kennen Sie Philosophen heute, die sich über Abtreibung empören und für den Lebensschutz einstehen?

Benedikt sieht die Vorbehalte der ersten Christen gegen die Philosophen. Die Menschen wünschten sich verlässliche Orientierung und nicht ein Sammelsurium weltlicher Lehren und Gedanken: „Um so mehr suchte man nach dem wahren Philosophen, der wirklich den Weg zum Leben zeigen konnte. Ende des dritten Jahrhunderts begegnet uns erstmals in Rom auf einem Kindersarkophag im Zusammenhang der Auferweckung des Lazarus die Gestalt Christi als des wahren Philosophen, der in der einen Hand das Evangelium, in der anderen den Wanderstab des Philosophen hält. Mit diesem seinem Stab überwindet er den Tod; das Evangelium bringt die Wahrheit, nach der die Wanderphilosophen vergeblich gesucht hatten.“ 

Gebildete wie einfache Menschen fanden und finden zu Christus, der sagt, „wer der Mensch wirklich ist und was er tun muß, um wahrhaft ein Mensch zu sein“: „Er zeigt uns den Weg, und dieser Weg ist die Wahrheit. Er selbst ist beides und daher auch das Leben, nach dem wir alle Ausschau halten. Er zeigt auch den Weg über den Tod hinaus; erst wer das kann, ist ein wirklicher Meister des Lebens.“ Christus ist der gute Hirte. Ihm dürfen wir uns anvertrauen: „Der wirkliche Hirt ist derjenige, der auch den Weg durch das Tal des Todes kennt; der auf der Straße der letzten Einsamkeit, in der niemand mich begleiten kann, mit mir geht und mich hindurchführt: Er hat sie selbst durchschritten, diese Straße; ist hinabgestiegen in das Reich des Todes, hat ihn besiegt und ist wiedergekommen, um uns nun zu begleiten und uns Gewißheit zu geben, daß es mit ihm zusammen einen Weg hindurch gibt.“ Dieses Bewusstsein schenkt die neue Hoffnung des Glaubens. Trost und Zuversicht schöpfen Christen aus dieser Hoffnung, im Leben und im Sterben.

Die Geistlichen Betrachtungen zu den Enzykliken Papst Benedikt XVI. finden Sie hier im Überblick.

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