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Zum Streit um die Versuchungsbitte im Vaterunser

Professor Klaus Berger

Die deutsche Wendung „in Versuchung führen“ ist zumindest doppeldeutig. Daher gibt es auch  bei uns dazu immer wieder Anfragen, die eine große Irritation verraten. Denn jede der beiden deutschen Bedeutungen führt zu theologischen und religiösen Unmöglichkeiten

Versteht man „in Versuchung führen“ als Versuchen, also als Bemühen zu Fall zu bringen, dann kann man sagen: Das tut Gott nicht. Und bestätigt wird das durch den Jakobusbrief 1,13 („Gott versucht keinen“). Und Jak 1,14 sagt auch, dass wir bei Versuchungen immer wieder über die eigene Schwäche stolpern, aber eben Gott dafür nicht verantwortlich machen dürfen. Nein, Gott versucht nicht, und wenn die Evangelien sagen, dass der Teufel in Versuchung führe, dann meinen sie zweifellos, das zu einer Versuchung, in die man hineinfällt, immer zwei gehören: der schwache Mensch und eine rätselhafte, zur Sucht führende Macht von außen.  

Versteht man „in Versuchung führen“ als Hineinführen in eine Situation, in der dann der Teufel die Menschen versucht, dann widerspricht dem augenscheinlich wiederum die Schrift selbst. Denn nach Mk 1,12 heißt es: „Und sogleich trieb der Heilige Geist Jesus in die Wüste“; dort wird Jesus dann versucht. Gott selbst also führt Jesus in die Versuchung. Der Teufel versucht Jesus, aber Gottes Geist treibt Jesus förmlich in die Versuchung durch den Teufel hinein. Auch das sieht nach einer Unmöglichkeit aus. Denn Gott tut hier genau das mit Jesus, was er nach dem Vaterunser mit den Jüngern nicht tun soll. Geht es also auch hier um eine theologische Unmöglichkeit? 

Ergebnis: Beide mögliche Bedeutungen führen zu Absurditäten. Doch wer so denkt, hat das Vaterunser nicht verstanden.

Denn es ist in der Tat so, dass Gott nach Mk 1,12 mit Jesus das tut, was er mit den betenden Jüngern nicht tun soll.  Denn im Vaterunser bringt Jesus den Jüngern bei, wie sie beten sollen. Jesus hat das Vaterunser nicht mit den Jüngern zusammen gebetet, diese Annahme würde schon bei der Vergebungsbitte in neue Absurditäten führen. Denn Jesus, der ohne Sünde ist, kann nicht um Vergebung seiner Schuld bitten. 

Die Versuchungsbitte macht vielmehr dann Sinn, wenn man sie übersetzt: Und lass uns nicht in Versuchung geraten.

Das versteht man besser, wenn man den Text Mk 14,35-42 (Versuchung in Gethsemane) hinzunimmt. Jesus lässt die Jünger schlafen, währender betet. Er weiß, dass er ihnen nicht zumuten kann, was ihm zugemutet wird. Denn er weiß, dass er Sohn Gottes ist (seit Mk 1,11), die Jünger aber sind das gerade nicht. Eine Versuchung, wie er sie überstanden hat, kann er den Jüngern gerade nicht zumuten. 

Und wenn die Versuchung doch kommt (denn das könnte trotz allem Gottes Wille sein, vgl. Mk 14,36b), dann gibt er den Jüngern ein Mittel an die Hand, sie zu überstehen: Gott auf sein Vater-Sein hin ansprechen, wie Jesus es nach Mk 14,36 (und nur dort!) mit dem hebräischen Wort ABBA tut. Das ist ein Signal für die Einzigartigkeit der Sohnschaft Jesu. 

In diesem und nur in diesem Sinne – unter Beachtung  von Punkt 2.bis 4. meiner Argumente – kann ich übersetzen: „Lass uns nicht in Versuchung geraten“. Denn das könnte Gott tun, wie man an Jesus sieht. Doch er soll es lieber nicht tun (außer wenn er es dezidiert will, was auch Jesus sagt: Nicht mein, sondern dein Wille geschehe) Denn das Vaterunser betont durchweg die Hilfsbedürftigkeit und Schwäche der Menschen, von der Brotbitte bis hin zur Vergebungsbitte. Und da passt die Bitte um Verschonung von Testsituationen gut hinein. 

Erläutert, umgesetzt ins Gebet heißt demnach die Übersetzung „Lass uns nicht in Versuchung geraten“: Mute uns das nicht zu, was Jesus siegreich überstehen konnte. Er ist auf einzigartige Weise  dein geliebter Sohn, voll des Heiligen Geistes; so konnte er nach seiner Taufe dem bösen teuflischen Geist widerstehen. Wir aber sind schwache, sündige Menschen, schwache Lichter. Verschone uns, Herr. Verschone uns von Situationen, denen wir nicht gewachsen sind. Nimm dieses als unser demütiges Eingeständnis. Die Rolle stolzer Glaubenskrieger können wir nicht wahrnehmen. Wir sehen es in Mk 14 an den Jüngern, die selbst dazu nicht in der Lage waren, mit Jesus wach zu bleiben. 

Im Alten Testament heißt es: Gott versuchte Abraham (Gen 22,1). Doch das hebräische Verb heißt an dieser Stelle „erproben“, „auf die Probe stellen“, „prüfen“.  nicht aber: heimtückisch, listig und mit dem Ziel des Absturzes in die Irre leiten. Wenn die Seelsorge von „Prüfungen“ spricht, dann meint sie so etwas. Wir kennen das auch von Führerscheinprüfung, Abiturprüfung usw. Prüfungen müssen sein, sie gehören zu jedem Beruf. Im Falle Abrahams, dessen Beruf war, „Muster aller Glaubenden“ zu sein, hat die jüdische Tradition Abrahams Prüfungen  dann im Sinne von Schicksalsschlägen gedeutet, z.B. den Tod Saras. Und von den Schicksalsschlägen wissen wir, dass sie jeden treffen können und immer wieder treffen werden. Abraham übersteht das alles, weil er durch seinen Glauben gestärkt Gottes Freund ist. Die Opferung Isaaks ist ein Sonderfall, auf den ich an anderer Stelle gerne eingehe. Hier könnte gelten: Es kann geschehen, dass einer mehr geprüft wird je nach der Größe und Verantwortung seines Amtes bzw. seiner Rolle in der Heilsgeschichte oder in der Kirche. Beim Vaterunser geht es darum nicht. Denn wir wollen uns ja bewähren. Aber dem Teufel oder der Kreuzigung leibhaftig ausgeliefert sein wie es Jesus geschah, da bitten wir um Schonung. 

Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung von VATICAN Magazin.

Hinweis: Kommentare spiegeln die Meinung des Autors wider – nicht unbedingt die der Redaktion von CNA Deutsch.

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