30 April, 2018 / 2:30 PM
Als vor 5 Jahren unsere erste Tochter geboren wurde, saß mein Mann zur Beantragung der Geburtsurkunde auf dem Standesamt und wurde gefragt, ob wir auch die Religionszugehörigkeit eintragen lassen wollen. Ja sicher, warum denn nicht? Die Antwort kam unumwunden und direkt: "Naja, vor 70 Jahren hätten sie ja auch nicht "Jude" im Ausweis stehen haben wollen." Mein Mann war perplex. Die Dame, die ihm gegenüber saß hatte dies sicher nur beispielhaft und nicht antisemitisch gemeint, aber es klang doch irgendwie hart und in Anbetracht des harmlosen Vorhabens, zu dem er ins Standesamt gekommen war, irgendwie unverhältnismäßig.
Er hatte plötzlich das Gefühl eine lebenswichtige Entscheidung treffen zu müssen, überlegte, ob er mich anrufen muss, um gemeinsam zu beraten und hat dann schließlich alle wirren Gedanken verworfen und entschieden, dass selbstverständlich die Religion eingetragen wird.
Mit mulmigen Gedanken kam er nach Hause und wir fühlten uns komisch, irgendwie auch wie Revoluzzer und gleichzeitig unfrei. Ja, wir fühlten uns in unserer Religionsfreiheit bedroht. Denn letztlich ist doch genau diese Entscheidung der Anfang vom Ende. Wenn ich mir ernsthaft überlegen muss, ob ich meinen Glauben öffentlich machen möchte, dann stimmt etwas nicht in dieser Gesellschaft und erst recht nicht in den Köpfen der Menschen.
Natürlich erzähle ich davon, auf Grund der aktuellen Ereignisse in Berlin, bei denen Juden auf offener Straße angegriffen, bepöbelt und bespuckt wurden. Bei denen eine Israelische Flagge entrissen wurde und führende jüdische Vertreter davon abraten mit Kippa auf die Straße zu gehen. In Talkshows sitzen Experten, die von Antisemitismus in der Mitte der Gesellschaft sprechen und andere, von einem muslimischen Antisemitismus, der besonders durch Geflüchtete ins Land gekommen sei, aber auch unter schlecht integrierten Migranten verbreitet sei.
Puh, also wer hegt denn in Deutschland antisemitische Gedanken? Haben diese Leute im Geschichtsunterricht nicht aufgepasst? Was stimmt mit denen nicht? Und was ist mit dem muslimischen Antisemtismus, der mit dem Nahostkonflikt sowie einem fehlenden Verständnis für Religionsfreiheit vermischt ist?
Beide Formen sind mir absolut fremd, aber sie besorgen mich und machen mir Angst, denn ich will in keiner Gesellschaft leben, in der ich nicht selbst entscheiden kann, ob ich meinen Glauben öffentlich machen möchte oder ihn im stillen Kämmerlein praktizieren muss. Nun wird viel darüber geredet, viele Experten melden sich zu Wort, Politiker, Demos werden organisiert, aber an meinem Sicherheitsgefühl verbessert das nichts. Hätten wir die Religionszugehörigkeit besser nicht in die Geburtsurkunde eintragen lassen? Wie mag es da wohl den Juden gehen?
Viele Fragen, wenige Antworten, auch wenn ich eigentlich ein positiv gestimmter, lösungsorientierter Mensch bin. In dieser Sache habe ich das Gefühl, dass in den letzten Jahren viel versäumt wurde, viel hingenommen wurde und besonders beim Thema Integration zu oft die pädagogischen Samthandschuhe ausgepackt wurden, anstatt mit klar definierten Erwartungen unsere hiesigen Werte und Grundpfeiler der Gesellschaftsordnung, durchgesetzt wurden.
Selbst der Vorstoß der bayerischen Landesregierung, überall Kreuze aufzuhängen, beruhigt mich nicht. Es zeigt mir nur einmal mehr, dass es nötig ist, beinah trotzig und kämpferisch mit religiösen Symbolen umzugehen, um die Religion und die Werte zu verteidigen. Mich erinnert das auch ein wenig an meine Töchter, die immer noch einen höheren Turm als die Schwester bauen wollen. Immer einer mehr als du, bis einer der Türme zusammen bricht. Müssen wirklich überall Kreuze hängen, um die Religionsfreiheit und die Werteordnung aufrecht zu erhalten?
Bei uns zu Hause hängen Kreuze, weil sie unserem Haus und unserer Familie Schutz und Segen bringen sollen. Das ist aber vor allem eine Glaubensfrage, denn ohne Glaube, sind die Kreuze nichts wert. Das Kreuz will mit Inhalt gefüllt sein, damit es die Botschaft senden kann, die ihm innewohnt, es einfach nur um des Kreuzes Willen irgendwo aufzuhängen, wird dem nicht gerecht.
Ob es mutig ist, heute zu seinem Glauben zu stehen, weiß ich nicht. Bis vor ein paar Tagen hatte ich nicht das Gefühl, dass es sonderlichen Mut erfordert, da ich aus einem klaren Selbstverständnis heraus glaube und dies auch nicht geheim halte. Dennoch scheint es Mut zu erfordern sich zu solidarisieren mit den Juden und klare Kante zu zeigen, wenn es um Hass und Anfeindung geht.
Das Blog "Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter" mit Elisabeth Illig erscheint jeden Montag bei CNA Deutsch. Alle bisherigen Blogposts finden Sie hier im Überblick.
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