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Benedikt XVI.: Gehorsam gegenüber der Wahrheit

Die Verkündigung in einer Darstellung von Henry Ossawa Tanner aus dem Jahr 1898.

Die "grundlegende Tugend des Theologen", so sagte Benedikt XVI. in einer frei gehaltenen Predigt, sei die "harte Disziplin des Gehorsams gegenüber der Wahrheit". Für mich gehört dieser Text zu den schönsten und wichtigsten Meditationen über die Heilige Schrift aus seinem Pontifikat, eine "lectio divina", die kaum beachtet wurde. 

Mit dem Begriff Gehorsam tun sich viele Weltchristen, aber auch Kleriker schwer. Fordern oder fördern Situationen den Geist des Widerstandes? Die Corona-Pandemie ist eine weltweite Herausforderung, die buchstäblich in unser aller Leben einschneidet. Auch die Kirche hat dazu Verfügungen erlassen, die beachtet werden müssen. Wir können und dürfen geistlich kommunizieren, aber die öffentliche Feier der heiligen Eucharistie ist nicht möglich. Dasselbe gilt für jede andere kirchliche Veranstaltung und jeden Gottesdienst. Niemand muss diese Anordnungen mögen, aber sie bestehen. Wir dürfen auch darunter leiden. Wir dürfen traurig sein, aber nicht ungehorsam. Oder verlieren heute fromme Katholiken den Glauben an die Wirksamkeit der geistlichen Kommunion – etwa in der Anbetung des Herrn vor dem Tabernakel – oder an den Segen des Priesters oder gar des Papstes, der aus der Ferne für uns betet und uns segnet?

Mein ganzes Leben hindurch habe ich der Wahrheit die Treue halten wollen. Der Ort dieser Begegnung mit der Wahrheit war nicht die Schule, nicht die Universität, sondern die Kirche des Herrn. Die Wahrheit, an die ich von innen her glaube, bildet das Fundament meiner geistigen und geistlichen Existenz, weil ich im Letzten nicht meiner eigenen Einsicht, sondern Ihm, diesem Jesus von Nazareth glaube und damit unverbrüchlich Seiner Kirche vertraue. Wenn Er nicht – wie der Evangelist Johannes die Worte Jesu überliefert – "Weg, Wahrheit und Leben" (Joh 14,6) ist, wenn Er nicht von den Toten auferstanden wäre, dann wäre mein Glaube ohne Kraft und ohne historischen Bezugspunkt, nur eine sinnlose Meinung mehr. Der Glaube der Kirche ruft uns in die Zeugen- und Jüngerschaft, in den Gehorsam gegenüber Christus und Seiner Kirche, damit auch in den Gehorsam jenen gegenüber, die nicht als kluge oder mächtige Personen Anspruch auf geistliche Führung erheben, sondern in der Nachfolge der Apostel stehen. Die Bischöfe sind die Lehrer des Glaubens.

Benedikt XVI. hat 2006 Theologen an den Gehorsam erinnert. Zunächst ermunterte er zu Schweigen und Kontemplation, um die Einheit mit Gott zu bewahren: "Das ist das Ziel: daß in unserem Herzen immer die Einheit mit Gott gegenwärtig ist und unser ganzes Sein verwandelt." Er bittet die Theologen, in das "Schweigen Gottes" einzutreten, Seinem Wort Raum zu geben: "Zur Reinigung unserer Worte und damit zur Reinigung der Worte der Welt brauchen wir jenes Schweigen, das Kontemplation wird, die uns in das Schweigen Gottes eintreten und so dorthin gelangen läßt, wo das Wort, das erlösende Wort geboren wird." Er spricht vom hl. Thomas von Aquin, der gesagt habe, dass Gott nicht das Objekt, sondern das "Subjekt der Theologie" sei: "Derjenige, der in der Theologie spricht, also das sprechende Subjekt, sollte Gott selbst sein. Und unser Sprechen und Denken sollte nur dazu dienen, daß das Sprechen Gottes, das Wort Gottes, in der Welt gehört werden, in ihr Raum finden kann. Und so fühlen wir uns erneut eingeladen zu diesem Weg des Verzichts auf unsere Worte; zu diesem Weg der Reinigung, damit unser Wort nur Werkzeug ist, durch das Gott sprechen kann, und so tatsächlich Gott nicht Objekt, sondern Subjekt der Theologie ist."

Im ersten Petrusbrief werde von der "oboedientia veritatis" (1 Petr 1,22) gesprochen, also vom Gehorsam gegenüber der Wahrheit, die unser Herz, unsere Seele enthaltsam machen, zum rechten Wort und zur rechten Tat führen solle. Dieser Gehorsam sei der Diktatur der Meinung entgegensetzt, die Benedikt scharf als eine "Prostitution des Wortes und Seele" bestimmt: "Die »Enthaltsamkeit«, auf die der Apostel Petrus anspielt, bedeutet, sich nicht diesen Standards zu unterwerfen, nicht den Beifall, sondern den Gehorsam gegenüber der Wahrheit zu suchen. Und ich denke, das ist die grundlegende Tugend des Theologen, diese zuweilen harte Disziplin des Gehorsams gegenüber der Wahrheit, der uns zu Mitarbeitern der Wahrheit, zu einem Mund der Wahrheit macht, damit nicht wir es sind, die in diesem Wortschwall der heutigen Zeit sprechen, sondern, wirklich gereinigt, rein gemacht durch den Gehorsam gegenüber der Wahrheit, die Wahrheit in uns spricht. Und so können wir wirklich Überbringer der Wahrheit sein." Der Herr lädt uns ein, in Sein Schweigen einzutreten, in ein Schweigen, das darum weiß, dass unsere Worte zu gering, zu klein sind. Eine Ahnung davon vielleicht schenkt uns die Stille in der eucharistischen Anbetung. 

Noch einmal erinnert Benedikt an den Kirchenlehrer Thomas von Aquin, der sich in den Tagen seines Abschieds von der Welt ins Schweigen zurückgezogen hatte: "In diesen letzten Wochen hat er nicht mehr geschrieben und nicht mehr gesprochen. Seine Freunde fragen ihn: Meister, warum sprichst du nicht mehr, warum schreibst du nicht? Und er sagt: Gegenüber dem, was ich geschaut habe, erscheinen mir jetzt alle meine Worte wie Stroh. Der große Kenner des hl. Thomas, Pater Jean-Pierre Torrel, warnt uns davor, diese Worte falsch zu verstehen. Das Stroh ist nicht nichts. Das Stroh trägt das Korn, und darin besteht der große Wert des Strohs. Es trägt das Korn. Und auch das Stroh der Worte bleibt wertvoll als Träger des Korns. Aber ich würde sagen, das ist auch für uns eine Relativierung unserer Arbeit und zugleich eine Aufwertung unserer Arbeit. Es ist auch ein Hinweis, damit unsere Arbeitsweise, unser Stroh, wirklich das Korn des Wortes Gottes trägt." Das Evangelium, über das Benedikt spricht, endet mit den Worten: "Wer euch hört, der hört mich." (Lk 10,16) Er beschließt seine Homilie mit den Worten: "Was für eine Warnung, was für eine Gewissensprüfung sind diese Worte! Ist es wahr, daß, wer mich hört, wirklich den Herrn hört? Beten und arbeiten wir, damit es immer wahrer wird, daß, wer uns hört, Christus hört."

Die Mahnung gilt Theologen und Priestern, aber sie gilt auch den Christen, die zum Dienst in der Welt bestellt sind. Sie verkünden vielleicht nicht durch Worte, aber still durch ihr Zeugnis, durch ihr Beispiel im Alltag. Wir alle sind zum Gehorsam gegenüber Christus und Seiner Kirche gerufen, das gilt für die Treue zum Lehramt und zur Lehre, das gilt auch für den Gehorsam gegenüber den Anordnungen der Bischöfe, gerade in dieser Zeit. Sie sind zu ihrem Dienst nicht gewählt, sondern erwählt – und Nachfolger der Apostel. Benedikt XVI. versprach am Tag seines Amtsverzichts dem nächsten Papst seinen bedingungslosen Gehorsam. Wer dem Papst gehorcht, vollzieht diesen Akt aus Hingabe und Liebe, zum Herrn und zu Seiner Kirche. Mögen wir alle auch in den Anfechtungen dieser schweren Zeit unserem Herrn Jesus Christus wie dem Diener der Diener Christi und den Nachfolgern der Apostel den gebotenen und rechten kirchlichen Gehorsam erweisen.

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