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Münsteraner Dogmatiker Seewald kritisiert theologische Arbeit von Benedikt XVI.

Sterbliche Überreste von Papst Benedikt XVI. im Petersdom

Der Münsteraner Dogmatiker Michael Seewald hat den am Samstag verstorbenen Papst emeritus Benedikt XVI. dafür kritisiert, dass er in seiner theologischen Arbeit durch sein „stilistisches Können“ mitunter „wohlklingend über offene Fragen hinwegformulierte“.

Das „Umfeld“ des einstigen Oberhaupts der katholischen Kirche auf Erden habe auf Kritik an ihm „oft dünnhäutig“ reagiert. Derzeit werde „an der Legende eines verkannten und von seinen Kritikern böswillig missverstandenen Kirchenlehrers gebastelt, der den Stürmen der Zeit getrotzt habe und deshalb umso heftiger von jenen, die dem Zeitgeist verfallen seien, angegriffen werde“.

Seewald ist Priester und mit gerade 35 Jahren weiterhin einer der jüngsten Theologieprofessoren in Deutschland. Bereits 2017 hat er sich für die Frauenordination eingesetzt, obwohl Papst Johannes Paul II. erst 1994 unter Berufung auf die Überlieferung bestätigt hatte, dass die Kirche keine Vollmacht hat, Frauen das Weihesakrament zu spenden. 2021 kritisierte Seewald den Katechismus der Katholischen Kirche als „normativ aufgeladenen Text“, der „zu einer Art lehramtlichem Superdokument“ geworden sei.

Die „Tragik“ von Joseph Ratzinger bestehe darin, so Seewald am Mittwoch im Gespräch mit dem Kölner Stadt-Anzeiger, „dass viele seiner heutigen Verehrer ihm applaudieren, weil sie seine kirchenpolitischen Schlussfolgerungen gut finden. Einen wirklichen Zugang zu Ratzingers Theologie in ihrer ganzen Weite haben viele derjenigen jedoch nicht, die sich jetzt seine ‚neuen Schüler’ nennen, obwohl sie mit dem Professor Joseph Ratzinger als akademischem Lehrer nie etwas zu tun hatten.“

„Ratzinger war vor allem ein Meister des Aufsatzes, also der kleinen, fast essayistischen Form“, sagte Seewald. „Als Leser versteht man sofort das Problem, um das es ihm geht. Man bekommt auch schön formulierte Lösungen geboten, bemerkt aber manchmal die darunter liegenden Untiefen oder Abgründe nicht mehr. Die Konsequenzen von Ratzingers blumigen Ausführungen konnten oft dornig und schroff sein.“

Seewald kritisierte außerdem, dass es nicht immer offensichtlich war, ob Ratzinger als Präfekt der Glaubenskongregation oder als einfacher Theologe argumentierte: „Ratzinger konnte als Präfekt der Glaubenskongregation hart austeilen. Er hat Kritik an lehramtlichen Texten, etwa im Umfeld des Neins zur Priesterweihe von Frauen, auch als private theologische Dispute fortgeführt. Katholische Zeitschriften publizierten, wenn er darin etwas gelesen hatte, was ihm missfiel, ‚Stellungnahmen‘ von Joseph Ratzinger.“

„Aber wer war nun der Autor oder gar die Autorität hinter solchen Texten?“, fragte der Münsteraner Dogmatiker. „Der Privatgelehrte Joseph Ratzinger? Oder der Präfekt der Glaubenskongregation? Das wusste man manchmal nicht so genau.“

Über das Zusammenspiel von Glaube und Vernunft im Werk von Joseph Ratzinger sagte Seewald, ihm sei „keine Stelle aufgefallen, wo die Vernunft sich dazu hätte aufschwingen dürfen, bestimmte Zustände in der Kirche oder gar die Lehre der Kirche zu kritisieren. Glaube und Vernunft waren für ihn immer in einem harmonischen Verhältnis, dessen Regeln aber von der Lehre – und das heißt auch: dem Lehramt – der Kirche bestimmt wurden.“

Gegenüber der Neuzeit habe Benedikt XVI. „eine – wenn nicht durchgehend ablehnende, so doch zumindest – abwehrende Haltung“ eingenommen, kritisierte der Theologieprofessor. „Er nahm das neuzeitliche Denken vorwiegend als Angriff auf den Glauben wahr. Diese Tendenz mag für einige moderne Denker zutreffend sein, aber längst nicht für alle. Doch Ratzinger geriet in eine dauernde Verteidigungshaltung.“

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