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Der neue Benedikt-Film ist "tendenziös und manipulativ"

Papst emeritus Benedikt XVI. im Sommer 2017.

Der neue Film über Papst Benedikt XVI. von Regisseur Christoph Röhl ist „tendenziös und manipulativ“. Das sagt Christian Schaller, der stellvertretende Direktor des Regensburger Instituts Papst Benedikt XVI., im Gespräch mit Julia Wächter. Wesentliche historische Fakten seien bewusst ausgespart worden – und: Joseph Ratzinger werde diffamiert.

Julia Wächter: Herr Dr. Schaller, Sie haben den Film gesehen – was ist Ihr erster Eindruck?

Dr. Christian Schaller: Der erste Eindruck ist, dass es ein Film ist, der sich mit dem Anspruch einer Dokumentation in den Kinos präsentiert. Allerdings erscheint mir die Qualifizierung als Dokumentation falsch, weil eine Dokumentation bemüht ist, zunächst einmal alle Seiten, alle Fakten, alle Umstände auszuleuchten. Das ist hier nicht der Fall.  

Wesentliche Fakten wurden ausgelassen?

Ja, Fakten, die, wenn es sich um eine Dokumentation handeln soll, unbedingt dazugehören. Zum Beispiel wird in keiner Weise erwähnt, dass Joseph Ratzinger bereits Mitte der 1980er Jahre die Missbrauchsproblematik sah. Die Missbrauchsfälle, die es auf der ganzen Welt und in den verschiedensten, auch nicht-kirchlichen Einrichtungen gegeben hat, wurden erstmals von der Kirche überhaupt als Problem wahrgenommen. Zwei Dinge erscheinen mir hier als Hintergrundinformation wichtig: Zum einen kam es in der Zeit nach der Promulgation des neuen kirchlichen Gesetzbuches (1983) zu Unsicherheiten bezüglich der Zuständigkeit für Fälle sexuellen Missbrauchs. Primär lag die gesetzliche Zuständigkeit auf der diözesanen Ebene, nicht bei der Glaubenskongregation. Diese erlangte vielfach gar keine Kenntnis davon. Zum anderen herrschte aber auch eine generelle Zurückhaltung was die Verhängung von Strafen betraf. Auf diese Schwächen wies Ratzinger – und das ist dokumentiert! – bereits 1988 hin, auch mit der Überlegung, Verfahren zu verkürzen und zu vereinfachen, um eine schnellere Bestrafung zu ermöglichen. Für ihn war schon damals völlig klar: Hier muss zum Wohle der Gläubigen gestraft werden! Bereits vor über 20 Jahren richtete er genau aus diesem Grund eine Kommission ein, die sich mit der Überarbeitung des kirchlichen Strafrechts insbesondere in Bezug auf die Straftat des sexuellen Missbrauchs durch Kleriker befassen sollte, um für ein härteres, entschiedeneres Vorgehen die rechtlichen Grundlagen zu schaffen.  

Gab es Ergebnisse?

Ergebnis war das 2001 veröffentliche Motu proprio Sacramentorum Sanctitatis tutela, das Klarheit bezüglich der Zuständigkeiten wie auch hinsichtlich der Vorgehensweise brachte und die verfahrensmäßige Behandlung von Fällen sexuellen Missbrauchs allein der Glaubenskongregation vorbehielt. Ferner hatte Ratzinger bereits in den 2000er Jahren von Johannes Paul II. die Sondervollmacht erhalten, in besonders schwerwiegenden Fällen die Verjährung gänzlich aufzuheben. 2010 wurde dies dann in die revidierte und noch einmal deutlich verschärfte Fassung von Sacramentorum Sanctitatis tutela aufgenommen, die die bis heute geltende Rechtsgrundlage darstellt. In welcher weltlichen Rechtsordnung wäre eine derartige Möglichkeit überhaupt nur denkbar? Ist es auf diesem Hintergrund wirklich gerechtfertigt, Joseph Ratzinger / Benedikt XVI. Untätigkeit vorzuwerfen? Darf ein Film, der als Dokumentation verstanden werden will, diese Fakten einfach verschweigen? Daneben wird auch sein Engagement in der Aufarbeitung des Falls des Gründers der „Legionäre Christi“ völlig ignoriert. Im Gegenteil, er wird sogar beschuldigt, er sei für die Nichtaufdeckung verantwortlich. Das kann ich alles nicht als seriöse Dokumentation bewerten.

Im Film kommen Zeitzeugen zu Wort. Wie bewerten Sie diese?

Entscheidende Elemente wurden bei der sogenannten Zeitzeugenbefragung außenvorgelassen, etwa dass Frau Reisinger, die sich in dem Film zu Wort meldet, vor zwei weltlichen Gerichten in zwei verschiedenen Ländern, in Deutschland und Österreich, gescheitert ist. Denn die Anklagen gegen hohe Kurienmitarbeiter, die von ihr der Vergewaltigung beschuldigt worden waren, wurden abgewiesen. Eine Information, die doch nicht unbedeutend ist.

Ebenso werden Interviews, die zweieinhalb Stunden gedauert haben, nur mit einer Minute oder zwei Minuten gezeigt und ich weiß, dass dort Fakten angesprochen worden sind, die aus einer objektiven Betrachtungsweise heraus wesentlich gewesen wären. Das halte ich für tendenziös und manipulativ.

Insgesamt muss man sagen: Die Person Joseph Ratzinger wird in einer Weise dargestellt, die mit der Realität und seiner Person, seinem Werk, seinem Pontifikat nicht übereinstimmt.

Woran machen Sie das fest?

Es ist zum Beispiel die Rede davon, dass er eine Art von Kleinbürgerlichkeit präsentieren würde, die mit der modernen Welt und der Realität nicht zurande kommt. Aber ich glaube, dass es sehr schwierig ist, einem Menschen, der über sechzig Jahre hinweg von Hongkong bis Südamerika, von Prag bis Paris zu Vorträgen und Veranstaltungen eingeladen war, vorzuwerfen, er würde die Welt nicht kennen und sich mit ihr nicht beschäftigen. Das ist schon wirklich grotesk.

Wenn ich an sein ökumenisches Bemühen, seinen von ihm wesentlich angestoßenen Dialog mit dem Islam und seine Diskussion mit Jürgen Habermas, einem Schüler Adornos, der schließlich der Theoretiker der 68er-Bewegung war, denke, dann klingt das schon sehr absurd, zu behaupten, Ratzinger hätte Angst vor der Welt oder ein Trauma. Kaum ein Theologe hat das Gespräch mit der modernen Welt so gesucht wie Benedikt XVI.

Sie kennen den emeritierten Papst sehr gut – wie würden Sie ihn beschreiben?

Er ist jemand, der mit großer Intellektualität auch die drängenden Fragen der Gegenwart im Blick hat und schon vor sechzig Jahren auf Dinge hingewiesen hat, die in unserer Gesellschaft, in der Kultur, in der Kirche in die falsche Richtung weisen.

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Joseph Ratzinger hat – ob als Professor, Erzbischof, Kardinal, später natürlich auch als Papst – einen großen Dienst für die Kirche geleistet. Wie würden Sie diesen beschreiben?

Joseph Ratzinger war Zeit seines Lebens immer ein Priester, der den Glauben verkündet hat. Zwischen Katheder und Kanzel war bei ihm kein Unterschied. Theologie ist Verkündigung, aber Verkündigung muss auch inhaltlich bestimmt sein und das konnte keiner so gut wie Joseph Ratzinger, der für jeden Adressaten – ob es die kleine Gemeinde in einem Dorf oder die Kathedrale von Notre Dame in Paris war – den richtigen Ton gefunden hat.

Warum glauben Sie, dass genau das im Film nicht rüberkommt?

Weil man sich einem Ziel verschrieben hat, nämlich, dass man die Person Joseph Ratzinger zu einer Symbolfigur hochstilisiert, die für alles verantwortlich sei, was in der Kirche schiefgelaufen ist. So schildert der Regisseur seine Intention übrigens selbst in einem Artikel. Da passt ein positiver Blick auf Ratzingers Werk natürlich nicht ins Bild. Man wollte gezielt eine Person attackieren und diffamieren und sie als unfähig hinstellen, den Dienst in der Kirche und für die Menschen zu bewerkstelligen.

Wie geht es Ihnen persönlich, wenn Sie im Film sehen, dass Joseph Ratzinger bzw. Papst Benedikt ganz anders dargestellt wird als Sie ihn kennen?

Es erschüttert wieder einmal mein Weltbild und mein Menschenbild. Für mich persönlich ist diese offenkundige Stoßrichtung unerträglich. Der Film entspricht nicht den historischen Tatsachen, die eigentlich leicht zugänglich gewesen wären aber ausgeblendet wurden, um sich alles so zurechtzubiegen, damit herauskommt, was der Regisseur von Anfang an wollte, nämlich Papst Benedikt XVI. als Komplizen der Missbrauchstäter zu enthüllen.

Die Kirche ist aktiv, was die Aufarbeitung von Missbrauch und seine Prävention angeht…

Ich kenne keine andere Institution gegenwärtig neben der katholischen Kirche, die sich mit ähnlicher Kompetenz und Energie der Prävention und der Aufarbeitung von Missbrauchsfällen, die sich ja durch die gesamte Gesellschaft ziehen, einsetzt. Ich wüsste es nicht von Sportvereinen, staatlichen Schulen, Internaten etc. Wo wird dort über Aufarbeitung und Prävention nachgedacht? Das ist auch eine Art der Verhöhnung der Opfer.

Was würden Sie den Menschen, die sich den Film in den Kinos ansehen, mit auf den Weg geben?

Ich würde nicht den Kniefall vor einer Pseudodokumentation machen, sondern ich würde tatsächlich versuchen, mich mit der Person Joseph Ratzinger zu beschäftigen, mit seiner Literatur, mit seinem Leben, auch mit dem, was er geleistet hat. Die Geschichte wird ein objektiveres Urteil für diesen Gelehrten auf dem Stuhl des heiligen Petrus finden, wenn zusehends seine denkerische und menschliche Größe deutlicher herausragt. Wir sollten ihm für all sein Wirken und sein konsequentes Handeln dankbar sein.

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