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"Ein Tag zum Niederknien": Kardinal Woelki erklärt, wie Fronleichnam nährt und nahe ist

Fronleichnamsprozession

Fronleichnam feiert das Gegenteil von "Social Distancing", ist ein Kontrapunkt in einer Welt in der Coronavirus-Pandemie, denn dieses Fest macht Gott spürbar und sein Heilswerk sichtbar.

Das hat Kardinal Rainer Maria Woelki in seiner Predigt am heutigen 11. Juni im Kölner Dom gesagt.

Aufgrund der Coronavirus-Pandemie sind Fronleichnamsprozessionen in diesem Jahr nur unter besonderen Auflagen möglich. In vielen Gemeinden wird daher ausnahmsweise keine Prozession begangen. Die weltweite COVID-19-Epidemie deckt viele menschliche Abgründe und Verwundbarkeit auf, so der Erzbischof. Doch in diese hinein "klingt Gottes Versprechen!"   

"Das Versprechen Seiner Nähe, Seines Mitgehens, Seiner Gegenwart in der heiligen Eucharistie, die uns leben und atmen lässt. Fronleichnam ist das Versprechen Gottes mitten unter uns, der selbst kein 'social' oder 'physical distancing' kennt und uns hilft, diese zu überwinden. Immer."

Kardinal Woelki fuhr fort: "Im Sakrament der hl. Eucharistie schenkt uns der Herr diese Liebe, diese Nähe und Zärtlichkeit... und noch so viel mehr: Er lässt darin sein gesamtes Heilswerk gegenwärtig sein".

Die heilige Kommunion ist aus katholischem Verständnis der Empfang Christi, der sagt: "Das bin ich wirklich, leibhaftig! Ich gehöre euch", erklärte der Kardinal.

CNA Deutsch dokumentiert den vollen Wortlaut der Predigt, wie ihn das Erzbistum zur Verfügung gestellt hat: 

Liebe Schwestern, liebe Brüder,

wie aus dem Nichts tauchte sie auf, die Coronavirus-Pandemie. Zunächst weit weg im fernen Asien ... dann in Italien, Spanien, Frankreich, bei uns in Deutschland und inzwischen weltweit hat sie unser aller Leben mit einer zuvor nicht für möglich gehaltenen Heftigkeit verändert. Grundrechte wurden und werden empfindlich berührt. Alltägliche Verhaltensweisen umgekrempelt. Kulturelle Praktiken ausgesetzt. Zu Hause bleiben war und ist für manche noch immer angesagt. Physische Distanz üben. Analoge Kommunikation reduzieren. Keine, zumindest keine größeren Veranstaltungen besuchen. Auf digitale Kommunikation umstellen. Soziale Nähe und Sorge füreinander auf neuen Wegen einüben. Sonntagsgottesdienste ohne Gläubige. Lange Wochen des Wartens ohne die Möglichkeit den Herrn im Sakrament der Eucharistie zu empfangen. Also "physical" oder gar "social distancing" auch zu ihm? Zum Herrn?

Fronleichnam, liebe Schwestern, liebe Brüder, ist das genaue Gegenteil! Denn Fronleichnam feiert die bleibende Nähe Gottes in seinem Sohn Jesus Christus. Näher, als wir selbst es uns sein können. Spürbar, sichtbar: Uns Menschen, seiner Kirche ganz gleich, was auch passieren mag. In der hl. Eucharistie nämlich, die wir an diesem Tag in besonderer Weise verehren, ist er, Christus, wirklich da, ist er selbst bei uns. Die Tatsache, dass er in den heiligen Zeichen von Brot und Wein verborgen gegenwärtig ist, mildert die Wirklichkeit seiner Gegenwart nicht im Geringsten. Denn er ist ja nicht "einfach" nur bei uns. Er gibt sich uns sogar zur Speise. Im Brot, das er uns reicht, schenkt er sich selbst: "Nehmt und esst; das ist mein Leib" (Mt 26,26), heißt es während der Wandlung in der hl. Messe. Nehmt und esst; das ist mein Leib. Das bin ich selbst. Das bin ich wirklich, leibhaftig! Ich gehöre euch.

Und, liebe Schwestern, liebe Brüder, er gibt sich uns als Speise des ewigen Lebens. Brot ist ja da, um Leben zu stärken und Leben zu erhalten. So schenkt er sich uns, um uns Leben zu geben sein Leben. Ja, er teilt sein Leben mit uns. Erschenkt sich uns im Brot des Lebens, das er selbst ist. "Ich bin das lebendige Brot, 

das vom Himmel herabgekommen ist. Wer von diesem Brot isst, wird in Ewigkeit leben. Das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch für das Leben der Welt" (Joh 6,51). Gerade in diesen Zeiten ist es wichtiger denn je, am heutigen Festtag Christus, das Brot für das Leben der Welt, hinaus in die Öffentlichkeit unserer Stadt zu tragen. Denn die Umstände der Coronavirus-Pandemie decken ja die Abgründe und die Verwundbarkeit unseres Zusammenlebens in vielen Bereichen auf: in Krankenhäusern, Pflegeheimen oder Kinderschutzeinrichtungen, in Fabriken oder der industriellen Landwirtschaft und nicht zuletzt im Alltag armer Familien, armer Rentnerinnen und Rentner oder wohnungsund obdachloser Menschen.

In all das hinein klingt Gottes Versprechen! Das Versprechen Seiner Nähe, Seines Mitgehens, Seiner Gegenwart in der hl. Eucharistie, die uns leben und atmen lässt. Fronleichnam ist das Versprechen Gottes mitten unter uns, der selbst kein "social" oder "physical distancing" kennt und uns hilft, diese zu überwinden. Immer. Nicht nur in Pandemie-Zeiten. Denn wir Menschen brauchen beides! Wir können ohne soziale Nähe nicht gut leben. Und auch körperliche Distanz halten wir nur zeitweise aus. Wir brauchen die freundlichen und liebevollen, die aufbauenden und unterstützenden Gesten und Berührungen von Kindesbeinen an bis wir vielleicht irgendwann gebrechlich ans Bett gefesselt sind. Im Sakrament der hl. Eucharistie schenkt uns der Herr diese Liebe, diese Nähe und Zärtlichkeit ... und noch so viel mehr: Er lässt darin sein gesamtes Heilswerk gegenwärtig sein. Wenn wir heute unter den geltenden Schutzbedingungen mit Ihm durch die Straßen unserer Stadt ziehen, dann dürfen wir uns sicher sein, dass Er auch mit seinem zerschundenen Leib und seinem zerschundenen Antlitz unter uns ist.

Denn in ihm begegnen wir auch den Menschen unserer Tage mit geschundenen Leibern und verzweifelten Gesichtern. Wir begegnen den Millionen Menschen weltweit, die in den letzten Wochen mitunter von einem Tag auf den anderen ihre Arbeit verloren haben und an der Not, die das auslöst, zu verzweifeln beginnen. Wir begegnen den Kindern, Jugendlichen und Frauen, die oft schon lange unter häuslicher Gewalt leiden und deren Leid sich in der Corona-Zeit noch verschärft hat. Wir begegnen den Tausenden Frauen und Männern, die für Niedriglohn arbeiten, pflegen, ernten, putzen, Botendienste erledigen oder Lebensmittel herstellen, viele von ihnen kaum wahrgenommen mitten unter uns. Und schließlich begegnen wir den weltweit mehr als 400.000 im Zusammenhang mit Covid-19 verstorbenen Menschen und all denen, die schwer erkrankt auf den Intensivstationen der Welt um ihr Leben kämpfen und dabei unter Einsamkeit und dem Besuchsverbot ihrer Liebsten leiden. Wie viele Menschen gestorben sind, ohne dass ihnen jemand die Hand gehalten oder ihnen die Tröstung der letzten Wegzehrung gereicht hat, weiß nur Gott.

Als ich in den Wochen vor Ostern auf dem Weg in unseren Dom war, um dort in den Zeiten des strengen "Lockdown" die hl. Messe für unser Erzbistum zu feiern, bin 

ich durch leergefegte Straßen gegangen. Niemand begegnete mir. Nahezu alle folgten dem Rat der Virologen und Politiker, daheim zu bleiben, Hygienestandards und Distanzgebote einzuhalten. Spätestens auf dem Bahnhofsvorplatz war ich dann nicht mehr allein. Wen habe ich dort getroffen? Keine Reisenden oder Touristen und auch kaum Menschen auf dem Weg zur Arbeit! Wohl aber die Armen unserer Stadt! Die habe ich dort getroffen! Die, die nicht zuhause bleiben können, weil sie kein Zuhause haben! Die, die auf der Straße leben, wo sie in vielerlei Hinsicht schutzlos sind. Die, die sich nicht regelmäßig die Hände waschen und desinfizieren und die nicht selbstverständlich sanitäre Anlagen aufsuchen können. Die, für die es keine warme Mahlzeit wenigstens einmal am Tag gibt, die habe ich dort getroffen.

Ich habe mich in dieser Situation an ein Wort von Johannes Chrysostomus, einem Kirchenlehrer des 4. Jahrhunderts, erinnert. Er sagt einmal: "Wenn du den Leib des Herrn ehren willst, dann vernachlässige ihn nicht, wenn er unbekleidet ist. Ehre ihn nicht (hier) im Heiligtum mit Seidenstoffen, um ihn dann draußen zu vernachlässigen, wo er Kälte und Nacktheit erleidet. Jener, der gesagt hat: ‚Dies ist mein Leib‘, ist der gleiche, der gesagt hat: ‚Ihr habt mich hungrig gesehen und mir nichts zu essen gegeben‘, und ‚Was ihr dem geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.‘ ... Was nützt es, wenn der eucharistische Tisch überreich mit goldenen Kelchen bedeckt ist, während er Hunger leidet? Beginne damit, den Hungrigen zu sättigen, dann verziere den Altar mit dem, was übrigbleibt".

So also, liebe Schwestern, liebe Brüder, haben wir die Weisung des Herrn aus dem Evangelium heute zu verstehen, wenn es darum geht, Ihn den Menschen als das Brot des Lebens zu zeigen mehr noch: ihn als das Brot des Lebens an die Menschen auszuteilen. Ganz alltäglich. Ganz konkret. Das ist Fronleichnam. Das ist das Fest, für das wir heute zusammengekommen sind. Deshalb bin ich auch den jungen Leuten so von Herzen dankbar, die in den vergangenen Wochen in unserem Priesterseminar zeitweise täglich bis zu 150 wohnungsund obdachlosen Menschen eine warme Mahlzeit serviert haben: Theologiestudierende, Seminaristen, Auszubildende, Malteserinnen und Malteser, Berufstätige, die sich eigens Urlaub für diesen Dienst genommen haben. Von Herzen dankbar bin ich nicht zuletzt auch den sogenannten Ultras des 1. FC Köln, die mit einer großen Gruppe von Leuten Tag für Tag mit größter Zuverlässigkeit da waren und unsere Wohnungsund Obdachlosen u.a. mit Nase-Mund-Schutzmasken versorgt haben, damit sie überhaupt in der Lage sind, in einem gewissen Umfang am gesellschaftlichen Leben unter Coronabedingungen teilnehmen zu können.

Die wohnungsoder ob-dachlosen Menschen haben aber nicht nur ihre warme Mahlzeit genossen. Sie haben es genossen was für die meisten von uns selbstverständlich ist -, ihre Mahlzeit an einem gedeckten Tisch sitzend einnehmen zu können und nicht irgendwo am Straßenrad hockend. Gelebt haben sie nicht nur von dem guten, warmen Essen. Genauso gelebt haben sie von der Freundlichkeit, der Zugewandtheit und den liebevollen Blicken dieser jungen Leute, vom Gespräch miteinander, den helfenden Händen und ermutigenden Worten. Diese jungen Leute sind in den vergangenen Wochen selbst Brot für das Leben ihrer Mitmenschen geworden. Sie sind zu Botschafterinnen und Botschaftern von Fronleichnam geworden! Ich danke Euch allen, liebe junge Leute! Ich danke euch allen, heute und in aller Öffentlichkeit für diesen sakramentalen Christusdienst! Ihr wart und seid wie eine Monstranz, durch die Christus, der Sohn Gottes gut wie Brot, aufgrund Eures Dienstes für viele konkret erfahr-bar und berührbar geworden ist. Weil es Euch gegeben hat und immer noch gibt -, konnten und können wir hier in Köln schon seit Wochen Fronleichnam feiern.

So soll es sein! Denn die Kirche hat zu allen Zeiten gerade in den Armen und an den Rand Gedrängten das Sakrament Christi erkannt. Wenn wir daher gleich den Leib des Herrn unter eingeschränkten Bedingungen auf einem verkürzten Weg in einer kostbaren Monstranz durch die Straßen unserer Stadt tragen, dann ist das derselbe Leib des Herrn, den wir jeden Tag auf unseren Straßen antreffen nah oder fern: in den Wohnungsund Obdachlosen; den Armen und prekär Beschäftigten; den Flüchtlingen und Asylsuchenden in unseren Städten oder in den Lagern Griechenlands, der Türkei, Italiens, Spaniens oder Libyens; unter ihnen vor allem in den unbegleiteten Minderjährigen, den traumatisierten Kindern und Jugendlichen aus den Kriegsund Krisenregionen unserer Welt und ihren verzweifelten Müttern und Vätern.

Liebe Schwestern, liebe Brüder, Christus begegnet uns in jeder Frau, in jedem Mann und jedem Kind, das auf Zukunft hofft und sich nach einem menschenwürdigen Leben sehnt. Ihr Schrei nach Gerechtigkeit, nach Frieden, Freiheit und Würde ist Gottes Schrei! Fronleichnam lädt uns daher nicht nur dazu ein, Christus heute feierlich im Allerheiligsten Sakrament zu verehren, sondern dazu, Ihm alltäglich die Ehre zu geben, indem wir Ihn auch in den Ärmsten der Armen suchen und verehren. Denn das Sakrament der hl. Eucharistie, in dem uns der Herr sein Leben, seine Liebe und seine bleibende Gegenwart schenkt, will sehr konkret in der Monstranz, aber eben immer auch sehr konkret im Menschen gesucht und gefunden werden.

Darum ist heute ein Tag zum Niederknien: Zur Anbetung Gottes und für die Würde eines jeden Menschen JEDER Hautfarbe. In diesem Sinne wollen wir Christus, unseren Herrn, Ihn, der das wahre Brot für das Leben der Welt ist, nun gleich durch die Straßen unserer Stadt und damit hinaus in die Welt tragen mit Herz und Hand. Denn allein von diesem Brot leben wir alle wirklich.

Amen.

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