Bischof Heiner Wilmer von Hildesheim hat kürzlich eine "spirituelle Revolution" in der Kirche gefordert. Das finde ich gut! Er sagte zwar nicht, worin die "radikale Veränderung unserer Kirche" konkret bestehen soll, aber darüber kann man sich ja Gedanken machen.
 
Revolution bedeutet Herrschaftswechsel. In den letzten Monaten lebten wir, um einen Ausdruck des jüdischen Historikers Michael Wolffsohn zu benutzen, unter dem virologischen Imperativ. Damit meinte er, dass die Gefahr, die vom Coronavirus ausgeht, das Handeln von Staat und Kirche tiefgreifend bestimmt hat. Das ist zunächst einmal eine zutreffende Beschreibung, völlig unabhängig davon, wie man diesen Imperativ bewertet. Die einen sehen ihn mehr oder weniger kritisch, andere sind dankbar für die immense Mühe, die Staat und Kirche auf sich nehmen, um uns vor Krankheit zu schützen. Die einen fühlen sich bedroht, die anderen beschützt in der fast virendichten Schutzhülle von Maßnahmen, die uns umgeben. Corona herrscht über uns - zum Segen oder zum Fluch? Das ist jetzt nicht der Punkt, um den es mir geht. Konsens besteht aber darin, dass fast weltweit der virologische Imperativ hindurchregiert bis ins Allerheiligste der Kirche hinein, in ihren zentralsten Lebensvollzug: in die Liturgie und den Umgang mit dem Leib des Herrn. Alles wurde diesem einen Gesichtspunkt untergeordnet, der uns vom Coronavirus diktiert wurde: Kommunionzange, Handschuhe, Mund-Nasen-Schutz, Abstand, Plexiglas, bis hin zum Totalausfall von öffentlicher Liturgie und Sakramentenspendung.
 
In dem Maße, wie die Pandemie zurückgeht, wird es Zeit für eine spirituelle Revolution: Nicht mehr Corona, sondern Christus soll über uns herrschen, nicht mehr der virologische Imperativ, sondern der eucharistische! Die Corona-Ära hat uns gezeigt, wie entschlossen die Bischöfe sein können, Anweisungen durchzusetzen, die ihnen wirklich am Herzen liegen. Was würde passieren, wenn ihnen mit derselben Konsequenz die Ehrfurcht vor dem Allerheiligsten und der Glaube an die Realpräsenz am Herzen lägen? Die Auswüchse im Umgang mit der Eucharistie während der Coronakrise (z.B. das Verpacken konsekrierter Hostien in einem Gottesdienst-Set zum Mitnehmen) oder Auslassungen einiger Theologen (z.B. die Empfehlung von Do-it-yourself-Messen) offenbaren das ganze Ausmaß des Zusammenbruchs von Glaube und Gespür fürs Allerheiligste. Diese Skandale sind nur die letzten Ausläufer. Begonnen hat es schon Jahrzehnte vor Corona.
 
Papst Paul VI. schrieb 1969 über die Handkommunion: "Es steht auch zu befürchten, daß die neue Form der Kommunionspendung Gefahren nach sich zieht: Minderung der Ehrfurcht vor dem allerheiligsten Altarsakrament, Profanierung eben dieses Sakramentes und Verfälschung der rechten Lehre." Und er gab damals den Bischöfen die Vollmacht zur Erlaubnis der Handkommunion nur unter der Bedingung, dass diese Befürchtungen nicht wahr werden. Die Befolgung dieser Auflage würde genügen, um eine Revolution in der Kirche auszulösen.
Die große eucharistische Heilige und Mystikerin Magdalena von Pazzi sagte, dass der Empfang der hl. Kommunion die größte und würdigste Handlung sei, die man überhaupt verrichten könne. Was für eine Revolution, wenn dies in der Art des Kommunionempfangs wieder sichtbar würde!
 
Der überlieferte Ritus steht ganz unter dem eucharistischen Imperativ. Mit äußerster Sorgfalt wird mit dem Allerheiligsten umgegangen. Das fängt mit dem Kelch an, der nur vom Geistlichen berührt werden darf, und reicht bis zur liturgischen Vorschrift, dass der Zelebrant ab der ersten Berührung der konsekrierten Hostie mit Zeigefinger und Daumen nichts anderes mehr berühren darf. Und das alles nicht aus Furcht vor einem Virus, sondern aus Liebe zum Herrn! Der eucharistische Imperativ ist keiner, der aus der Angst geboren ist, sondern den Geist des hl. Paulus verkörpert, der gesagt hat: "Die Liebe Christi drängt uns."
 
Vom virologischen zum eucharistischen Imperativ: Das wäre doch eine spirituelle Revolution, die tatsächlich radikale Veränderungen in der Kirche bewirken würde.
 
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